Welcher Boykott wäre
nötig
Haim Bresheet, Al-Ahram, April 2007
Während der letzten
Monate gab es nicht zum 1. Mal eine Kampagne mit widerlicher Propaganda gegen
liberale jüdische Intellektuelle, die die dominierenden jüdischen Gemeinden der
größten westlichen Länder verärgert haben.
Was wird ihnen
vorgeworfen? Nichts geringeres als Antisemitismus. In verschiedenen
Gemeinschaften zeigt ein anklagender Finger auf jene jüdischen Denker und
Künstler, die es gewagt haben, Israel und seine unlogische, barbarische und
kontraproduktive Politik und sein Verhalten zu kritisieren. Jeder, der von der
einfachen Linie der vollen Unterstützung Israels – egal was es an Empörendem
auch tut – abweicht, wird mit Antisemitismus beschimpft, der wie ein Mantra
gegen Häretiker außerhalb des zionistischen Glaubens benützt wird.
In Paris fand es der
Philosoph Alain Finkielkraut angebracht, den israelischen Filmemacher Eyal Sivan
mit mehr als Antisemitismus zu beschuldigen. Er würde zum Mord an Juden
aufstacheln - und dies nur wegen eines Films („Route 181“) mit dem pal.
Filmemacher Michel Khleifi. Der Film, eine raffinierte Enthüllung der
Lebensbedingungen der Palästinenser in Israel und in den besetzten Gebieten,
hinterfragt Israels Berichte über Brutalität und Gesetzlosigkeit. Nirgendwo wird
im Film dazu aufgerufen, Juden oder Israelis irgend ein Leid anzutun. Der Film
wurde auch an vielen Orten in Israel selbst gezeigt, wo der Filmemacher lehrt
und arbeitet.
Die Anklagen gegen die
Filmemacher wurden in einem populären Radiokanal erhoben – mit einem Aufruf an
die Zuhörer, solche verdächtigen Leute mit irgend etwas, was ihnen geeignet
erscheint, zu stoppen. Die Filmemacher brachten den Fall in Paris vor Gericht,
da der in Frage kommende Philosoph, für seine extrem rassistischen Bemerkungen
bekannt und berüchtigt ist. Er machte in einem Interview auf Hebräisch
Bemerkungen, von denen er anscheinend annahm, dass sie nicht übersetzt werden.
Aber er täuschte sich. Die Übersetzung war auch im Internet zu lesen; sie machte
ihn zum Feind Nummer eins bei den ethnischen Minderheiten in Frankreich. Das
Gericht fand die verleumderischen Anklagen tatsächlich ohne Begründung. Man
stimmte ihm aber zu, sie aussprechen zu dürfen. Der Fall ist noch nicht
abgeschlossen . …Die Furcht vor dem Zorn der jüdischen Gemeinschaft in
Frankreich ist real, und das System versucht alles zu tun, ihren Zorn nicht zu
erregen.
Jenseits des großen
Teiches hat die amerikanische zionistische Lobby… neue Opfer gefunden: sie
isoliert den Linguisten Noam Chomsky, damit er kein Betätigungsfeld mehr in den
US-Medien findet, um seine Kritik an Israel zu äußern. Die neuen Ziele sind der
Autor Tony Kushner und der prominente Historiker Tony Judt. Was wirft man ihnen
vor? Dasselbe --- sie wagten, nicht damit einverstanden zu sein, dass Israel …
überall im Nahen Osten bombt, zerstört und egal wen verhaftet. Wie im
Observer im Januar anscheinend berichtet wurde, planen organisierte Juden, sich
gegen solche Juden zu stellen und sie des Antisemitismus’ und Schlimmerem zu
verklagen.
Während es für
Intellektuelle in einigen Ländern erlaubt ist, ihre Regierungen zu kritisieren –
und dies sogar zu den demokratischen Rechten des freien Ausdrucks gehört, so
scheint es dieses Recht nicht zu geben, wenn es Israel betrifft.
Britisch-zionistische hohe Tiere haben diese Botschaft beherzigt. Eine ähnlich
hässliche Kampagne läuft gegen den akademischen Forscher Tony Lerman, den eben
ernannten Direktor des Instituts der Jewish Policy Research mit den jetzt
üblichen Anklagen, die in den USA ausgefeilt wurden, um den Forscher
anzugreifen, wenn er auf seinem Recht bestehen sollte, kritische Analysen zu
machen.
All dies ist Teil eines
weiter zu fassenden Problems: die Reihen innerhalb der jüdischen Gemeinschaften
vereinigen sich gegen die zunehmend herrschende Stimme jüdischer Kritiker
israelischer Brutalität in Palästina und außerhalb. Es ist noch nicht lange her,
dass Israel bei seinen letzten Wiederbesetzungen des Gazastreifens nicht nur
viele palästinensische Zivilisten tötete, die einzige Quelle von Strom
zerstörte, den Nachschub von Lebensmitteln in den Gazastreifen stoppte, sondern
auch die Grenze versiegelte, dass nicht einmal dringend benötigte Medizin
durchgelassen wurde.
Als man gerade dabei
war, zu überlegen, was angesichts der totalen Untätigkeit der internationalen
Gemeinschaft getan werden muss, erfolgte die stümperhafte Besatzung des Libanon
mit einer Million Flüchtlingen, zehntausend zerstörter Gebäude und zerstörter
Infrastruktur des Südlibanons. Da die internationale Gemeinschaft immer zorniger
wurde, fiel es auf die üblichen Verdächtigen, Bush und Blair, dafür zu sorgen,
dass die UN nicht gegen die letzte Brutalität handelte; so hatte das israelische
Militär freie Hand, ungehindert weiter Tod und Zerstörung zu verbreiten.
Wir kennen alle das Ende
dieser Geschichte : Israel hat seine Ziele nicht erreicht, weder in Gaza noch im
Libanon. Was erreicht wurde, war Zerstörung in apokalyptischen Ausmaßen und ein
weiteres gestörtes Gleichgewicht in der Region. Zusätzlich hilft es,
extremistischen Organisationen bei ihrer Verstärkung, eine Region zu
destabilisieren, die am Rand des Abgrunds steht . Es wird noch einmal bewiesen,
dass Israel mit seinem zerstörerischen und illegalen Verhalten völlige
Straffreiheit genießt und dazu außerdem vom Westen geschützt wird. Es ist kaum
verwunderlich, dass viele Juden darüber wütend sind ..
Wenn solche Aktionen von
anderen Ländern ausgeführt würden, dann würden die UN mit Militärmacht
intervenieren, wie sie es 1991 getan haben, als Saddam Hussein Kuwait besetzte.
Die zynische Verwendung
und der Missbrauch des Holocaust scheint die geheime Waffe Israels und seiner
jüdischen ( und nicht-jüdischen) unkritischen Unterstützer zu sein. Die meisten
Nicht-Juden fürchten die Beschuldigung des Antisemitismus wie die Pest. So ist
es unwahrscheinlich, dass man sich laut gegen den Paria-Staat äußert, zu dem
Israel inzwischen geworden ist. …
In vielen Gemeinden ist
es Juden klar geworden, dass es Zeit ist, aufzustehen und berücksichtigt zu
werden, eben wegen des Missbrauchs des Holocaust, um Dinge zu verteidigen, die
nicht zu rechtfertigen sind. Viele haben sich dem wachsenden Boykott Israels
angeschlossen – im Handel, bei akademischen und kulturellen Boykotts – als
gewaltfreie Optionen allgemeiner und internationaler Aktionen gegen Israel und
seine fortgesetzte Aggression gegen Palästina und andere arabische Länder.
Das ist die wirkliche
Quelle für Aufregung für organisierte zionistische Institutionen. Dieser größer
werdende Schneeball beginnt sich endlich zu bewegen, sammelt auf seinem Weg
Kräfte und Schwung und beeinflusst in einer Anzahl von Ländern die öffentliche
Meinung gegen Israel und ihren unkritischen Schutz durch westliche Mächte.
Die Folgen solcher
Protestaktionen können vorausgesehen werden. Wir waren Zeugen, wie aus einer
kleinen Gruppe Radikaler und Aktivisten eine weltweite Aktion wurde, die
Anti-Apartheidbewegung größer wurde und das südafrikanische Regime mit seinen
Ungerechtigkeiten hinwegfegte. Das ist es, was Israel und seine durch
Verbrechen mit ihm Verbündeten am meisten fürchten – eine echte Volksbewegung,
die die internationale Beteiligung dazu zwingen wird, eine friedliche und
gerechte Lösung für den Konflikt zu finden, nachdem alle westlich initiierten
Versuche elendiglich gescheitert sind, weil sie sich völlig der israelischen
Sache verpflichtet hatten, also auch der fortdauernden Besatzung und
Ungerechtigkeiten.
Während dieser
allgemeine Boykott an Tempo gewinnt und als antisemitisch angegriffen wird, wird
seit einem Jahr ein anderer Boykott erfolgreich angewandt. Seit Januar 2006, als
durch die demokratisch ausgeführten palästinensischen Wahlen die Hamas große
allgemeine Unterstützung erhielt, haben Israel und seine westlichen Verbündeten
– das sog. Quartett – Palästina und seine Regierung auf jede nur mögliche Weise
illegal boykottiert.
Millionen von Dollars
palästinensischer Steuergelder wurden von Israel zurückgehalten, das sich
weigerte, die palästinensische Regierung anzuerkennen oder mit ihr zu
verhandeln. Die EU und die US kappten das Hilfsprogramm, das für Palästina eine
Rettungsleine in der Stunde seiner größten Not hätte sein sollen.
Stillschweigend wurde dies unterstützt von seinem Präsidenten Abbas - einer
US-Marionette - unterstützt, der versuchte, die Hamas entweder mit Gewalt oder
durch eine verfassungswidrige Wahl loszuwerden.
Es gibt anscheinend
viele Wege, „Demokratie“ zu unterstützen.
Der Boykott durch das
Quartett, das die UN einschließt, ist illegal, wie die vorausgegangenen Fiaskos
in Afghanistan und im Irak und wird wahrscheinlich das entgegen gesetzte
Ergebnis von dem haben, das seine Urheber planten. Es ist zudem ein Boykott, der
zerstörerisch und entzweiend wirkt und der die Bevölkerung einer
Nahrungsmittelknappheit, dem Mangel an Medizin und Mitteln für die
Grundbedürfnisse aussetzt. Er wurde nie in Parlamenten diskutiert und darüber
abgestimmt. …
Welchem Boykott sollte
der Vorzug gegeben werden? Dem, der wahrscheinlich noch mehr Leid verursachen
wird oder dem, der zu einer zukünftigen gerechten Lösung und friedlichen
Koexistenz beitragen wird? Man sollte sich an Süd-Afrika erinnern. Durch eine
falsche Anschuldigung von Anti-Semitismus sollte eine vernünftige und dringend
nötige Debatte nicht verhindert werden..
Der Autor ist
israelischer Akademiker, der in London lebt und arbeitet. Er ist der Co-Autor
des Buches: „Introducing the Holocaust“ (IconBooks)
(dt. und
geringfügig gekürzt: Ellen Rohlfs)
|