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Fall des Pharaos: Aufbruch im
Arabischen Raum
ein Dilemma für die
Heuchler der westlichen Welt
Dr. Izzeddin Musa
Der Pharao ist weg. Die Revolution des Volks hat
gesiegt und die westliche Welt, damit ihre Glaubwürdigkeit
nicht ganz und gar auf der Strecke bleibt, überschlägt sich in
der Abgabe von Äußerungen, Erklärungen, Anweisungen, Ratschlägen
und Forderungen, wie es nun dort weitergehen sollte. Die
Ägypter sind keine Hinterweltler und warten sicherlich nicht
darauf, bevormundet zu werden.
Wo war denn die westliche Welt in den letzten
dreißig Jahre während der Herrschaft des Pharaos? Dreißig Jahre
hat man hier die Schreie hungernder, unterdrückter und
entrechteter Menschen überhört. Mubarak diente so lange als
Aktivposten und Eckpfeiler amerikanisch-europäischer Politik,
zum Schutze Israels in der Region. Er war derjenige, der die
Vichy-Regierung der Palästinenser in Ramallah knetete, um von
ihr mehr Konzessionen abzuverlangen, bis von Palästina nichts
mehr übrig blieb. Bei Mahmoud Abbas und seiner Verräter-Bande
fand der Quisling weit offene Ohren, um Palästina endgültig den
Zionisten zu überlassen. Dafür war der Tyrann gut genug und
durfte alles tun und lassen, was er wollte. Alles wurde vom
Westen durch gewunken.
Die Hypermoralisten in der westlichen Welt wie
Merkel, Sakoszy oder Obama haben die Schreie des Volkes nach
Demokratie und Freiheit dreißig Jahre lang nicht nur überhört,
sondern haben den absoluten Herrscher toleriert, hofiert und
unterstützt. Der Pharao, auch sein Schmarotzerapparat, durfte
Korruption in Megaform betreiben. Mubarak allein, häufte ein
astronomisches Vermögen von 70 Milliarden Dollar an, dazu kommen
unzählige Immobilien, Grundstücke und zahlreiche Firmen‚
geführt unter Decknamen. Die Inhaber der Decknamen wurden für
ihre Untaten fürstlich belohnt und in den Milliardärsstand
gehoben. Sogar der Außenminister Ahmad Abu Al-Gheith gilt, mit
nur zwei Milliarden Vermögen, als „unvermögend“. Summiere man
das Vermögen der korrupten Bande zusammen, überstiege das die
gesamten Auslandsschulden Ägyptens um ein Mehrfaches.
Reichtum und Macht haben den Pharao taub und
blind für die Bedürfnisse und Leiden seines Volkes gemacht,
wodurch ihm schließlich ein unwürdevoller Abgang bereitet worden
ist. Er vertraute auf seinen gewaltigen Unterdrückungsapparat
von 1,4 Millionen Polizei- und Sicherheitskräften, die nicht,
wie üblich, als Beschützer des Volkes dienten, sondern in diesem
ihren Feind sahen.
Das Volk hat zwar nach Freiheit, Demokratie,
Menschenrechte, sozialer Gerechtigkeit, nach Arbeit, Brot,
Beendigung des 30-jährigen Ausnahmezustands und vor allem nach
Würde und Ehre verlangt. Diese und andere wirtschaftliche und
soziale Faktoren spielten eine wichtige Rolle beim Sturz des
Pharaos. Dennoch waren diese Forderungen nicht der Hauptgrund
für die großartige Revolution. Diese bildeten nur die Spitze des
Eisberges. Nein, der Hauptanstoß für den überwältigen Aufstand
lag viel tiefer, und zwar in der Schmach und der Schande, die
der Pharao seinem Volk zufügte und über es brachte, als er ihre
Brüder und Schwestern in Gaza einschloss und an die Zionisten
auslieferte. Auch seine Rolle als Befehlsempfänger Israels und
der USA nahm ihm das stolze Volk übel, da es ihre Ehre zutiefst
verletzte. Das alles, mit dem sozialen Elend, führte schließlich
zur „Alles-oder-Nichts-Revolution“, die mit „Alles“ ein gutes
Ende nahm. Auch in Tunesien war der Fall ähnlich gelagert.
Nachdem Amerika zu der Überzeugung kam, dass die
Spitze dieses Regimes nicht mehr zu retten sei, ist man
versucht, die Säulen des Systems, in Form von Geheimdienstchef
Omar Suleiman und seinesgleichen, zu tarnen und zu installieren.
Das Spiel ist billig und durchschaubar. Keiner ist so naiv, der
nicht die Vergangenheit des Schlächters Omar Suleiman kennt.
Insbesondere seine Verdienste für Israel und dessen
Vichy-Regierung. Deshalb ist das Volk entschlossen, das Regime
samt Säulen zu beseitigen.
Frau Merkel, das wichtigste Sprachrohr Israels in
Europa, nennt es eine historische Wandlung aber gleichzeitig
verbindet damit die Forderung, das Verratsabkommen von Camp
David mit Israel müsse bestehen bleiben. Nun hat sie es uns
mitgeteilt, was ihr zunächst am Herzen liegt. Jedoch, es war und
bleibt ein eiskalter Frieden, der nie in den Herzen und Köpfen
der Menschen in Ägypten stattfand. Das hat der Autokrat auch nie
erzwingen können. Ein Frieden, der nun im Gefrierfach seinen
besten Platz finden wird, begleitet von den Doppelstandards und
Heuchelei westlicher Länder.
Diese revolutionären Funken aus Tunesien und
Ägypten haben den langersehnten Umbruch in der arabischen Welt
bewirkt. Die nächsten sind Algerien, Jemen, Jordanien, Bahrain
und was undenkbar erschien, auch Libyen. Inzwischen sind überall
dort zahlreiche Tote und viele Verletzte zu beklagen. Bahrain,
der wichtigste Partner Amerikas, wo die fünfte US-Kriegsarmada
ankert, hat alle Bahraini-Familien mit je 2.600 US-Dollar
beschwichtigen wollen, was ihm auch nicht nutzte. Positive
Anzeichen im Maghreb sind zu vermelden. Die Kollaborateure in
Ramallah und Saudi Arabien werden sicherlich die Nächsten sein.
Ein Letztes, es ist noch lange nicht alles
überstanden. Es lauern, besonders was Ägypten betrifft, sehr
große Gefahren seitens Israel und seiner Handlanger USA und
Europa. Zumal wenn man bedenkt, Ägypten wird sich während des
Demokratisierungsprozesses nationalistischer ausrichten und
nicht als Befehlsempfänger des Westens fungieren. Es bleibt auch
zu hoffen, dass das neue Ägypten sich gegenüber den
Palästinensern in Gaza anders verhalten wird. Wie das der
westlichen Welt, der Vichy-Regierung in Ramallah, aber auch den
„Gemäßigten“ (willigen) Arabern gefällt ist noch offen. Bei
einem Demokratisierungsprozess im arabischen Raum wird die USA
ein unberechenbarer Risikofaktor sein, da die neuen,
demokratisch gewählten, Machthaber keine „Gemäßigten“
Amerikawilligen sein werden.
Im ganzen Spiel in Ägypten ist die Armee als eine
Schwachstelle zu betrachten, obwohl das ägyptische Volk das
Vertrauen in sie setzt und höchste Achtung für sie hegt. Für
mich ist sie allerdings nicht die Armee von 1952, nicht von 1956
und nicht von 1973. Nach dem Yom-Kippur-Krieg vom Oktober 1973
war sie die Armee von Anwar Sadat, und danach 30 Jahre lang die
vom Diktator Mubarak gewesen. Und diese war, wie der Pharao, von
Amerikas Gnaden abhängig. Es bleibt spannend.