Felicia Langer
Sehr
geehrter Vorsitzender der Offenen Kirche, Evangelische Vereinigung
in Württemberg,
Sehr geehrte Geschäftsführung des Amos-Preises,
Sehr geehrter Schirmherr des Amos-Preises, Dr. Erhard Eppler,
Sehr geehrte Dr. Sumaya Farhat-Naser,
Sehr geehrter Reuven Moskovitz,
ich
bedanke mich herzlich für die Ehre, die Laudatio halten zu dürfen
anlässlich der Verleihung des Amos-Preises an die honorigen Dr.
Sumaya Farhat Naser und Reuven Moskovitz.
Im
Buch Amos 5(15 bzw. 24) sagte der sozialkritische Prophet, der für
Gerechtigkeit eintrat: „Hasst das Böse, liebt das Gute…Sorgt lieber
dafür, dass jeder zu seinem Recht kommt. ……Recht und Gerechtigkeit
sollen das Land erfüllen wie ein Strom, der nie austrocknet.“
Es
gibt kein Recht und keine Gerechtigkeit in Israel/Palästina, und
unsere Preisträger kämpfen dagegen seit vielen Jahren, bis zum
heutigen Tag. Es ist ein Segen, sie dafür auszuzeichnen und zu
weiterem Einsatz für Gerechtigkeit zu ermutigen. Danke Ihnen!
In dem Aufruf palästinensischer Christen und Christinnen zur
Beendigung der Besatzung (Kairos Palästina, 11.12.2009) wird die
Besatzung als ein Übel und eine Sünde bezeichnet. Ich erlaube mir
die Bemerkung, dass ich das Übel persönlich miterlebt habe, als
Augenzeugin. Es gibt in dem Dokument einen Appell an die
Weltgemeinschaft, die „Doppelmoral“ zu beenden und die
internationalen Resolutionen zur Palästinafrage auf alle Parteien
anzuwenden. Auch Deutschland ist hier gemeint, insbesondere die
pro-israelische Einseitigkeit von Frau Merkel, ohne die
friedensblockierende Haltung Israels und seine grausamen
Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Palästinensern zu
verurteilen. Frau Merkel muss begreifen, dass wir in einer Ära der
Revolutionen leben. Die unvergesslichen Bilder vom Tahrir-Platz in
Kairo, wo Millionen für die Freiheit demonstriert haben, sprechen
Bände. Diese Massen werden, anders als die bezahlten Despoten, deren
Zeit abgelaufen ist, die Entrechtung der Palästinenser nicht länger
dulden. Es ist heute eine historische Preisverleihungg,
ohne Anführungszeichen, meine liebe Damen und Herren!
Sumaya Farhat-Naser: geboren 1948 im Jahr der israelischen
Staatsgründung in Birseit
bei Jerusalem. Schule im deutschen Internat Thalita Kumi in
Beit Dschala bei Bethlehem. Studium der Biologie, Geographie und
Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg, Promotion in
angewandter Botanik. 1982 -1997 Dozentin an der palästinensi-schen
Universität Birseit. Seit Mai 1997 Leiterin des palästinensischen
„Jerusalem Center for Women“. Regelmäßige Vorträge u. A. über
Erziehung, Alltag, Ökologie, Frauen und die politische Lage in
Palästina, Deutschland, Österreich und der Schweiz. Lebt in Birseit.
1989 erhielt sie „für ihr öffentliches Eintreten für die politische
Aussöhnung von Palästinensern und Juden in Gerechtigkeit und
Freiheit“ die Ehrendoktorwürde der theologischen Fakultät der
Universität Münster, Westfalen. 1995 wurde sie mit dem
Bruno-Kreisky-Preis und 1997 mit dem Buchpreis des Deutschen
Verbandes Evangelischer Büchereien sowie mit dem Versöhnungspreis
„Mount Zion Award“ in Jerusalem ausgezeichnet.
(aus „Thymian und Steine“ 1995/2005)
Sumaya Farhat-Naser schrieb weitere Bücher: „Verwurzelt im Land der
Olivenbäume“ (2002); „Disteln im Weinberg“ (2008). In ihrer Heimat
leistet sie hervorragende Friedensarbeit; in Deutschland wurde sie
1994 über den Streit der von Palästinenserinnen erstellten
Weltgebetstags-Liturgie bekannt – durch viele Veranstaltungen; sie
spricht fließend deutsch und hat besondere Beziehungen zu dem
Förderzentrum der Herrnhuter Brüdergemeinde für Kinder und
Jugendliche mit Behinderungen auf dem Sternberg bei Ramallah, dessen
Leitung sie in den Jahren 2008 und 2009 innehatte.
Sumayas langjährige Freunde, Mechthild und Hans Karl Henne, die sich
auch für Verständigung und Frieden engagieren, charakterisieren
Sumaya als warmherzig, gewinnend, liebenswert und freundlich. Sie
ist heimatverbunden, bestimmt, mutig, gradlinig, gerecht und
durchsetzungsfähig. Sie ist eine gute Pädagogin, macht
Friedensarbeit an Schulen, an der Uni, mit jungen Menschen. Sie hegt
keinen Hass, sondern ist immer um Verständnis bemüht, obwohl ihr
Sohn und der Schwiegersohn im Gefängnis saßen. Unrecht benennt sie
deutlich.
In ihrem Buch „Verwurzelt im Land der Olivenbäume“ (S. 30-31)
erzählt Sumaya, wie sie mit der Familie nach Ramallah gefahren ist,
und auf dem Rückweg haben die Soldaten, neuen Bestimmungen zur
Folge, die Autos nicht durchgelassen. Hunderte von Menschen und
Autos standen an dem Checkpoint. Sumaya schrieb:
Ein junger Mann konnte sich nicht beherrschen und gab dem
Soldaten mit der Hand einen Stoß. Wütend richtete dieser sein Gewehr
auf die Brust des Mannes. „Schieß doch! Ich habe nichts zu
verlieren“, schrie dieser. Ich trat dazwischen, so dass das Gewehr
nun auf mich zielte. Der Soldat brüllte mich an: „Geh weg, was
mischst du dich ein!“ Ich sagte: „Ich möchte dich schützen! Du hast
ein Gewehr, doch ich spüre deine Angst. Du könntest mein Sohn sein,
ich möchte nicht, dass du zum Mörder wirst!“ Ein anderer Soldat, der
dies gehört hatte, holte seinen Kameraden weg. „Danke!“, sagte ich.
„Wir leiden alle gleichermaßen unter der Situation.“ Der Soldat
sagte: „Ich bin aus Holon in Israel, und am liebsten wäre ich dort.“
– „Dann geh nach Hause, weigere dich, hier Dienst zu tun!“,
entgegnete ich ihm. „Es ist schrecklich für dich, es macht dich
kaputt.“ Er nickte. - Dies ist Sumaya.
Mabruk, liebe Sumaya, ich gratuliere Dir herzlich zum Amos-Preis
2011!
Reuven Moskovitz wurde 1928 im nordrumänischen Schtetl Frumusica
geboren. Mit elf Jahren wurde er ins Getto vertrieben.
Reuven Moskovitz war Mitbegründer der Siedlung „Neve Shalom/Wahat al
Salam“, in der israelische Juden und Palästinenser zusammenleben. Er
organisierte Studienreisen durch Israel, mit denen er sich sowohl um
die jüdisch-palästinensische Aussöhnung wie auch um die
deutsch-israelische Aussöhnung bemühte. Er initiierte das Projekt
„Versöhnungsräume und Versöhnungswege“ in Neve Shalom/Wahat al
Salam, hielt in Deutschland Vorträge in Kirchengemeinden und
engagierte sich bei Kirchentagen, auch bei besonderen Anlässen wie
zum Beispiel beim Hungerstreik von Firas Maraghy vor der
israelischen Botschaft in Berlin (August 2010) sowie für ein Schiff
der „European Jews for Just Peace“ gegen die Blockade von Gaza
(September 2010). Vorbildlich, so die Jury, sei Moskovitz darin,
„Wege zu suchen und zu gehen, um Feinde zu Freunden zu machen“.
Diejenigen, die ihn kennen, sagen, dass er ein lieber und
engagierter Mensch ist. 2001 wurde Moskovitz mit dem „Mount Zion
Award“ und 2003 mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet. Er hat
das Buch „Der lange Weg zum Frieden. Deutschland – Israel –
Palästina. Episoden aus dem Leben eines Friedensabenteurers“
veröffentlicht.
Die freie Enzyklopädie Wikipedia schreibt, dass Moskovitz die
israelische Politik gegenüber den Palästinensern für verfehlt hält.
Demütigungen und Gewaltanwendung seitens der Israelis, so Moskovitz,
müssten seiner Meinung nach immer mehr palästinensische Gewalt
provozieren. Bis heute bekämpft er diese Politik als
menschenrechtswidrig und gefährlich. Er engagierte sich früh in der
israelischen Friedensbewegung und wurde nach dem Sechs-tagekrieg
Sekretär der neu entstandenen „Bewegung für Frieden und Sicherheit“.
Reuven Moskovietz erzählt in seinem Rundbrief über seine
Entscheidung, sich an der Bootsfahrt nach Gaza zu beteiligen, um die
Gaza-Blockade zu durchbrechen. Er schreibt, dass ihm klar war, dass
ein kleines Boot mit einer Handvoll Menschen die politischen
Umstände nicht ändern wird. „Ich habe meine Hoffnung nur darauf
gesetzt, dass nach dem mörderischen Piraterie-Drama auf der Mavi
Marmara meine israelische Regierung sich siebenmal überlegen
würde, ein kleines Boot, hauptsächlich mit Juden besetzt, ebenso zu
überfallen.“
Der Einsatz mörderischer Gewalt gegen die Gaza- Freiheitsflottille
(31.5.2010) war eine Abschreckung seitens Israels. Das jüdische
Gaza-Boot Irene am 26. September war eine Antwort. Reuven
Moskovietz, 82 Jahre alt, war dabei. Er beschreibt in seinem
Rundbrief, dass die Menschen an Bord erklären werden, dass sie sich
in einem Boot unter britischer Flagge befinden, dass sie keinen
gewalttätigen Widerstand leisten. „Die einzigen Waffen, die wir
haben, sind symbolische Güter wie Wasserreinigungsgeräte,
Fischernetze, Medikamente, Kinderspielzeug und 50 Mundharmonikas für
Kinder in Gaza.“ Reuven Moskovitz beschreibt, was danach passierte:
„Dann der blitzartige Überfall: etwa sieben Kommandoschnellboote
umzingelten unseren winzigen Katamaran…Gemäß unserer Entscheidung
saßen wir untergehakt – und ich spielte auf meiner Mundharmonika „Hevenu
Shalom Elechem“ – Wir wollen Frieden für alle. „We shall overcome“
zu singen haben wir nicht mehr geschafft, da plötzlich Dutzende von
schwer bewaffneten Soldaten mit voller Wucht auf das Schiff sprangen
und den Kapitän gewaltsam vom Steuer entfernten. Ich zog instinktiv
einen Hebel, um die Motoren zu stoppen. Dabei merkte ich, dass
mehrere Soldaten und ein Oberleutnant versuchten, Jonathan und Rami
El Chanan zu trennen, und andere fielen über Itamar her, sein
Sendegerät wurde beschlagnahmt und die Antenne zerbrochen. Ich sah,
wie ein Offizier seine Pistole zog und auf Jonathan eine Kugel
abschoss, die einen elektrischen Schock verursachte, worauf er einen
schrecklichen Schmerzensschrei ausstieß. Rami versuchte, Jonathan zu
schützen, und wurde von mehreren Soldaten überfallen. Da fing ich an
zu schreien und zeigte auf meine und die anderen Mundharmonikas,
dass das die einzigen Waffen sind, die wir besitzen. Dazu, dass Rami
kein Verbrecher, sondern Vater einer bei einem Terroranschlag
getöteten Tochter sei. Unser Gepäck, auch die Tasche mit meinen
Medikamenten und Ausweisen, schleuderte man auf die angreifenden
Schiffe. Dann wurden Israelis und nicht-israelische Insassen
getrennt. Jonathan und Itamar wurden mit Gewalt von uns gerissen und
auf ein Kommando-boot transportiert. Mir wurden derweil die
Mundharmonikas, die Geschenke für die Kinder, mit einem Gewehrstoß
aus den Händen geschlagen, und ich hörte das Knirschen der ,Waffen’
unter den Soldatenstiefeln.“
Ich habe jedes Wort von Deinem Bericht, Reuven; verinnerlicht. Danke
Dir, dass Du auf diesem Boot warst und uns das alles so nahe
gebracht hast. Ich betrachte es als Heldentum, beispielhaft für uns
alle.
Mazel Tov, lieber Reuven, ich gratuliere Dir herzlich zum Amos-Preis
2011.
- Danke -
Felicia Langer