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Stimmen aus den Gemeinden
Karmen Nassar aus
Bethlehem: „Sie wissen jetzt, dass wir keine Angst haben“
Palästinensische Grassroot-Anti-Apartheidmauer-Kampagne, 13.März 2006
Karmen Salim Khalil
Nassar ist 60 Jahre alt und aus Bethlehem. Während sie außerhalb ihres
Restaurant im Schatten der Apartheidmauer steht, berichtet sie vom
Abwürgen des palästinensischen Lebens in der Stadt.
„ Wir bauten 1984
dieses Gebäude . Es war eine gute Zeit für die Stadt. Wir eröffneten ein
Restaurant im Erdgeschoss, und es war immer voll. Die Leute mussten
sogar die Plätze reservieren lassen.“
Heute steht das
Gebäude isoliert vom Rest der Stadt hinter der Mauer, die die ganze
Nachbarschaft umgibt. Es liegt in al-Kubbe, einem Teil Bethlehems, der
nun für die Erweiterung des judaisierten Groß-Jerusalems vorgesehen
ist. Die Palästinenser werden mit allen Mitteln aus ihren Häusern
vertrieben. „In der Vergangenheit, selbst in schlechten Zeiten, war es
uns möglich, Geld vom Restaurantbetrieb zu sparen. Mit der Zeit konnten
wir weitere Stockwerke bauen, so dass wir ein Hotel darin betreiben
konnten. Meine Söhne führten das Hotel und wir hatten ein gutes
Auskommen.
Projekte und Ansporn
für Investment, die mit dem Jahr 2000 verknüpft waren und die erwarteten
Touristenströme in unsern Raum, ermutigte die Familie, Kredit
aufzunehmen, um ihr Geschäft zu erweitern; sie baute ein Hotel mit
mehreren Stockwerken.
Reduziert auf Schutt
Als die Angriffe während der Al-Aqsa-Intifada auf das palästinensische
Leben eskalierte und die Besatzungskräfte regelmäßig Bethlehem
überfielen und die Stadt belagerten, wurde auch Karmens Besitz
angegriffen und die oberste Etage als Militärbasis benützt.
„Sie zerstörten die
Hecke rund um unsern Garten und warfen ihren Abfall überall hin im
Garten und im Haus. Sie verwandelten es in einen Müllabladeplatz und
urinierten überall hin. Wir fühlten uns angeekelt – trotzdem bemühen wir
uns um unser Haus. Wir werden es nicht aufgeben.
„Als die
Besatzungssoldaten kamen, um ihre Militärbasis oben auf dem Haus zu
installieren, nahmen sie meinen Sohn mit sich und stießen ihn vor sich
her. Sie setzten ein Gewehr an seinen Kopf, zerrten ihn in den Garten
und schlugen ihn dort zusammen. In der Zwischenzeit fesselten sie mich.
Ich konnte ihm also nicht folgen. Ich versuchte, mich selbst zu
befreien, um meinen Sohn aus den Händen der Soldaten zu holen. Doch sie
setzten ein Gewehr auch an meinen Hals und sagten mir, sie würden mich
töten, wenn ich mich bewegen oder ein Wort äußern würde. Ich stieß die
Soldaten beiseite und schrie sie an: „Tötet mich; dies ist kein Leben
mehr. Dies ist mein einziger Sohn, ich habe niemanden mehr außer ihm !“
Die alte Frau wurde von all der Aufregung bewusstlos. Als sie wieder zu
sich kam, hinderte man sie daran, zu einem Arzt zu gehen.
„Bevor all dies
geschah, hatten wir bei niemandem Schulden. Nun schulden wir der
Behörde das Geld für Wasser und für Strom, und wir sind nicht in der
Lage, unsere Vermögenssteuer zu zahlen. Wir können nicht einmal das
Schulgeld für unsere Enkel bezahlen. Manchmal erhalten wir von der
Behörde oder anderen Institutionen etwas Geld, damit wir die
Wasserrechnung zahlen können. Aber nun kämpfen wir, um zu überleben.
Paradoxerweise ist
der größere Teil des Wasser- und Stromverbrauchs nicht von Karmens
Familie, sondern geht zu Lasten der Besatzungskräfte, die auf dem Dach
stationiert sind.
„Einmal war ich
alleine zu Hause, als Soldaten laut dröhnend an der Eingangstür laut
schlugen Ich ging zu ihnen und fragte, was sie denn da täten. Sie
sagten mir, ich solle ihnen den Schlüssel für die Tür geben: „ Ihr dürft
diese Tür nicht mehr benützen. Es ist nicht mehr eure Türe.“ Ich fing zu
schreien an, damit die Nachbarn mir zu Hilfe kämen. Die Soldaten
fesselten mich und ließen mich so liegen, bis mein Sohn zurückkam.
Das Militär nahm
alle Schlüssel der Familie und verschloss die Tür. Seitdem ist die
Familie gezwungen, das Haus über eine provisorische Treppe am Balkon zu
verlassen. Die Soldaten nahmen die Schlüssel, verwendeten sie, um
jederzeit in „ihre“ Wohnung zu kommen, beschimpften die Familie und
urinierten überall im Haus.
Überall verursachte
das Militär Schäden im Haus. Einmal wurde die Stromleitung zerschnitten,
ein andermal der PKW zerstört. Die Einrichtung im einst blühenden
Restaurant , Stühle, Möbel u.a. wurden geplündert.
Die Familie wurde
in ihre Wohnung wie in einen Käfig eingesperrt und daran gehindert,
andere Teile ihres Besitzes zu betreten und den Garten zu benützen. Mit
Gewalt wurden sie daran gehindert, nach draußen zu gehen. Es war
gefährlich, da die Soldaten vom Dach zu schießen drohten.
Das Leben unter
Besatzung ist zu einem Alptraum geworden.
Bis dieses Unglück
geschah, lebten wir alle zusammen. Georg und seine Frau mit ihren sechs
Kindern und ich. Aber seitdem die Soldaten in unserm Haus sind,
manchmal schießend uns bedrohen, ist das Leben unerträglich geworden.
„Die Kinder hatten
zu große Angst, um aus ihren Zimmern zu kommen. Nachts konnten sie nicht
schlafen. Ich legte meine Matratze neben sie, damit sie sich sicherer
fühlen. Ich schwöre, dass sie die ganze Nacht nicht schliefen oder
Alpträume hatten, dass die Soldaten ins Haus einbrechen.
„Die meisten Nächte
feierten die Soldaten Partys im Restaurant und waren betrunken; dann
schlugen sie an unsere Tür und beschimpften uns, nannten uns Hunde und
sagten, dass wir aus dem Haus verschwinden sollten. Sie ließen kleine
Lärmbomben detonieren, um uns Angst einzujagen. Doch ich antwortete ohne
Furcht: „wir schlafen in unserm Haus; ihr seid die Hunde, die uns
angreifen“. Einmal kamen sie in der Nacht und ließen uns alle an der
Wand entlang stehen und schlugen George schlimm zusammen.
Auf dem Weg zur
Schule begleitete ich die Kinder bis oben an die Straße und hielt ihre
Hände und holte sie dort mittags wieder ab. Einmal war ich mit ihnen
allein im Haus. Sie spielten im Garten. Als Soldaten unsere Wohnung
betreten wollten, begann ich zu schreien, die Kinder schrieen mit und
weinten. Die Soldaten versuchten, mich zu schlagen. Nach diesem
Vorfall drängten die Kinder danach, unter diesen Umständen nicht weiter
in diesem Haus leben zu müssen.
So entschied die
Familie schließlich, dass Georges Frau mit den Kindern in ein anderes
Haus ziehen sollten, während George und Karmen der Tyrannei der
Besatzung weiter Widerstand leisten und das Haus nicht unbewohnt
lassen wollen.
Sie wollen uns nur
terrorisieren; aber nun wissen sie, dass wir keine Angst vor ihnen
haben.“
Durchhalten
„An einem Tag schlagen sie uns in unserm eigenen Haus zusammen – am
nächsten Tag kommen sie mit einschmeichelnden Worten und wollen es uns
abkaufen,“ erklärt Karmen uns die Taktik, mit der uns die Besatzung aus
unserm Haus weglocken will.
Da sie nicht in der
Lage sind, Hotel und Restaurant in ihrem Gebäude weiterzuführen, hat
George ein kleines Restaurant in Bethlehem gemietet, um der Familie ein
kleines Einkommen zu verschaffen. Doch dieses Einkommen reicht längst
nicht aus, die Familie zu ernähren und zu unterhalten.
Um Vorteil aus der
schwierigen finanziellen Lage der Familie zu ziehen, begann die
Besatzung Agenten zu schicken, die sie überzeugen sollten, ihren Besitz
zu verkaufen. Einmal kam eine Gruppe französischer Besucher in Georges
Restaurant in Bethlehem. Sie sagten ihm: „Du hast einmal sehr
erfolgreich ein berühmtes Restaurant geführt. Wir wollen dieses
Restaurant für dich entwickeln.“ Sie boten ihm Geld an – doch er wies es
zurück. Dann wollten sie Geld investieren, dass er für sie dort
arbeiten könne. An diesem Punkt luden sie ihn sogar nach Jerusalem ein,
um sie dort zu treffen. Sie sicherten ihm einen Passierschein zu, um die
Stadt betreten zu können. George kam dies sehr verdächtig vor und wies
alles von sich.
Karmen bemerkte:„Sie
ließen nicht locker, kamen zurück und drängten ihn, ihnen das Restaurant
zu verkaufen. Sie sagten auch: wir werden die Soldaten vertreiben, und
zusammen können wir das Restaurant wieder in Gang bringen“. Aber George
wollte das Gebäude nicht verkaufen und wies alles zurück. Sie fragten
nach den Kindern: „Wir sind sicher, dass deine Kinder das Leben, wie es
jetzt ist, nicht mögen. Wir wollen mit ihnen reden.“
Georges Kinder sind
noch jung und die ganze Familie ist darüber beunruhigt, wie viele
verschiedene zionistische Agenten versuchten, ihnen etwas vorzumachen
und die Familie unter Druck setzten, ja, dass sie sogar die Kinder für
ihre eigene Zwecke gebrauchen wollten.
Ein anderes Mal
riefen Fremde an, die sich nicht zu erkennen geben wollten, um über das
Haus zu sprechen, die die Dokumente sehen wollten, die das
Eigentumsrecht bestätigen. Einmal boten sie George sogar eine
Möglichkeit an, das Land zu verlassen, einen neuen Pass, neue Arbeit
und eine neue Frau....
Die Familie hat
wenig Hilfe beim täglichen Kampf gegen die Besatzung, ihre Agenten und
Soldaten, erhalten. Gelegentlich gab es finanzielle Almosen von der
palästinensischen Behörde. Karmen sagte dazu:
„ Sie dachten, dass
wir nur Geld wollten. Manchmal speisten sie uns mit ein wenig Geld ab,
damit wir nicht reden. Aber wir wollten kein Geld. Wir wollten
politische Unterstützung. Als George zu einer Menschenrechtsorganisation
ging, gab man ihm Bohnenkonserven (mit verfallenem Datum). Manchmal habe
ich das Gefühl, alles ist gegen uns, wenn wir von allen Seiten
angegriffen werden. Was kann ich sonst noch sagen. Solche und ähnliche
Geschichten geschehen hier jeden Tag.“
Ignoriert von den
Medien, vernachlässigt von den Institutionen, leiden die Familien in
Palästina - aber sie widerstehen der Besatzungskampagne, die sie aus
ihren Häusern und von ihrem Land vertreiben will.
Sie sind
entschlossen, nicht ihre Rechte aufzugeben. Solche standfeste
Entschlossenheit widersteht dem Zionismus.
(dt. ER)
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