TRANSLATE
Politischen Auswirkungen des europäischen
Waffenhandels mit Israel
Shir
Hever
Für uns als
Aktivisten ist es kein Leichtes, Einfluss auf den
Waffenhandel zu nehmen. Die BDS-Bewegung fordert uns
auf, israelische Waren zu boykottieren. Das führt
aber dazu, dass wir uns auf Konsumgüter
konzentrieren. Nur wenige von uns werden sich in
einer Position befinden, in der sie abzuwägen haben,
ob man in Israel hergestellte Waffen kauft oder
nicht.
Die Bedeutung von
Israels Waffenexporten für die israelische
Wirtschaft ist immens, und wir sollten diesen sehr
wichtigen Aspekt des Kampfes gegen israelische
Gewalt, Besatzung und Repression nicht
vernachlässigen. Zudem muss betont werden, dass die
Auseinandersetzung mit dem Waffenhandel besser als
andere Arten des Handels demonstriert, warum der
Kampf für ein freies Palästina ein globaler Kampf
ist. In diesem Sinn stellt der Protest gegen die
israelische Waffen- und Sicherheitsindustrie eines
der Kernelemente im Kampf gegen Israels
Kolonialismus, Besatzung und Apartheid dar.
Als Gegenargument
könnte man in einer sehr zynischen Weise sagen, dass
die Palästinenser ja eine relative kleine Gruppe
sind, (über die Welt verteilt leben rund 11
Millionen Palästinenser, damit sicher keines der
anzahlmäßig größten Völker weltweit) und dass sie
von daher ein solche globale Kampagne im Kampf um
ihre Rechte gar nicht verdienen. Was ist dann also
der Grund dafür, dass wir zu anderen globalen
Ungerechtigkeitsthemen kein solches Medieninteresse,
keine solchen Bemühungen von Geberländern und
internationalen NGOs und keine so weit verbreiteten
Solidaritätsbewegungen erleben?
Und tatsächlich wird
genau dieses Argument von pro-israelischen Gruppen
und seitens des israelischen Außenministeriums oft
benutzt. Israelische
Hasbara-Vertreter
unterstellen, dass der Grund für unseren Hang zu
Freiheit und Gerechtigkeit in Palästina, nicht
unserer Liebe zu den Palästinensern sondern vielmehr
unserem Hass auf Israel entspringe. Im Jahr 2012
ging
das israelische Außenministerium sogar so weit,
Briefe an pro-palästinensische Aktivisten zu
versenden, in denen diese aufgefordert wurden, doch
nach Syrien zu reisen und stattdessen dort die
Menschenrechte zu verteidigen. Zwar liegt der Sinn
dieses Argumentes darin, die Diskussion von Israels
Verbrechen abzulenken, aber wir sollten trotzdem
bereit sein, darauf eine Antwort zu geben.
Unsere Antwort
sollte sein, dass Israels Exporte einerseits das
israelische Militär befördern und zur Finanzierung
der Besatzung und des Repressionsapparates in
Palästina beitragen, während sie sich andererseits
auch auf jene Länder auswirken, die israelische
Güter importieren. Zudem sollten wir ehrlicherweise
zur Kenntnis nehmen, dass der Kampf um Freiheit und
Gerechtigkeit in Palästina, auch ein Kampf um
Freiheit und Gerechtigkeit in Europa und auf der
ganzen Welt ist.
Jedenfalls ist
Israel nicht der größte Waffenexporteur auf der
Welt. Obwohl Waffenexporte die Gewalt fördern,
sollten wir erklären, inwiefern sich Israels
Waffenexporte von denen anderer Länder
unterscheiden. Im Waffenhandel der letzten fünfzehn
Jahre rangiert Israel zwischen Platz 5 und Platz 10.
Es führt weniger Waffen aus als die USA, Russland,
Großbritannien und Deutschland. Gegen die
Waffenexporte dieser Länder sind schon weltweite
Kampagnen im Gang, und diese Kampagnen sind extrem
wichtig. Aber warum sollten wir der Rolle Israels im
Waffenhandel besondere Aufmerksamkeit schenken?
Der Grund dafür ist,
dass Israels Militär- und Sicherheitsexporte sich
qualitativ von denen anderer Länder unterscheiden.
Wenn wir die Art der Militär- und
Sicherheitsprodukte analysieren, die in Israel
hergestellt werden, so stellen wir fest, dass diese
Technologien nicht dazu bestimmt sind, die Zahl der
Opfer aufseiten des Feindes zu maximieren oder
dessen Befestigungen zu überwinden. Diese
Technologien sind vielmehr darauf ausgelegt,
Zivilisten zu kontrollieren, in ihre Privatsphäre
einzudringen und unbewaffnete oder nur leicht
bewaffnete Personen zu inhaftieren, sie in Schranken
zu halten und zum Schweigen zu bringen. Das hat auch
der Krieg zwischen Russland und Georgien im Jahr
2008 demonstriert, als eine mit israelischem Gerät
hochgerüstete Armee (in diesem Fall die georgische
Armee) von einer größeren und stärkeren Streitkraft
niedergeschlagen wurde. Die von Israel entwickelten
und hergestellten Gerätschaften waren nie für den
Einsatz gegen eine organisierte Armee gedacht. Sie
sollen den Starken helfen, den Widerstand der
Schwachen zu unterdrücken.
Dieser Aspekt
israelischer Waffenexporte ist nicht neu. Das
folgende Zitat von 1982 aus Israel Shahak’s Buch
Israel’s Global Role: Weapons for Repression
(Israels globale Rolle: Waffen zur Repression)
war vor dreißig Jahren genauso passend wie heute:
„...von Rhodesien über das Südafrika der Apartheid
bis hin zu den Golf-Monarchien, Israel verknüpft
seine Interessen nicht mit den Massen, die für die
Freiheit kämpfen, sondern mit deren Kerkermeistern“.
Dabei sollten wir
uns vor Augen halten, dass Israel seit dem Jahr
1973, also seit vierzig Jahren, keinen
konventionellen Krieg mehr geführt hat. Seine
Militär- und Polizeikräfte sind jedoch mit einem
steten Kampf zur Unterdrückung des Widerstands
befasst. An Offiziere mit dem Rang eines Oberst oder
höher, die den Militärdienst verlassen, vergibt das
israelische Verteidigungsministerium nahezu
automatische eine Lizenz zum Waffenhandel. Weil das
Ruhestandsalter in den israelischen Streitkräften so
niedrig liegt, sind zahlreiche Offiziere danach auf
der Suche nach einer zweiten beruflichen Laufbahn.
Ihre Erfahrung aus den rund zwanzig Dienstjahren
beim israelischen Militär führt sie direkt in die
Sicherheitsindustrie. Wenn sie ein Produkt
entwickeln und der israelischen Armee ein erstes
Muster verkaufen (was ihnen nicht schwer fällt, weil
sie oft noch Freunde beim Militär haben), dann
können sie lauthals behaupten, dass dieses Gerät
schon bei der israelischen Armee zum Einsatz
gekommen ist. Diese Argumentation hilft, potentielle
Käufer vom Kauf des Produktes zu überzeugen, da
dieses ja bereits durch die israelische Armee
getestet wurde. Und diese Vorgehensweise brachte
auch Naomi Klein im Jahr 2007 dahin zu schreiben,
dass Israel die Besatzung in ein Testlabor
verwandelt hat. So tragen die palästinensischen
Opfer der israelischen Armee zu den Profiten der
Waffenkonzerne bei. An den Gewinnen, die diese
Firmen dank den Palästinensern machen, haben sie
allerdings keinen Anteil.
Im Jahr 2000 war
Israel nur der zehntgrößte Waffenexporteur auf der
Welt (was immer noch ein sehr hoher Platz ist, wenn
man die Fläche des Landes Israel betrachtet; alle
Länder, die auf dieser Liste darüber lagen, sind
weit größer und bevölkerungsreicher). Allerdings war
Israel im gleichen Zeitraum auch der viertgrößte
Waffenlieferant für Entwicklungsländer, Milizen und
paramilitärische Organisationen. Israelische Firmen
ignorierten routinemäßig die von den Vereinten
Nationen verhängten Waffenembargos und erzielten
besonders an jenen Orten auf der Welt enorme
Gewinne, wo "seriösere" Waffenhändler (falls es so
etwas denn überhaupt gibt), vorsichtig darum bemüht
waren, Verwicklungen zu vermeiden.
Die Angriffe vom 11.
September 2001 kommentierte Netanyahu später damit,
dass diese Angriffe „gut für Israel“ seien, weil sie
zur Stützung des Argumentes beitragen würden, dass
der Islam der Feind sei und dass Israels brutale
Methoden gegen den Terrorismus gerechtfertigt seien.
Allerdings waren die Angriffe nicht nur gut für
Israels Image, sie waren auch gut für Israels
Sicherheitsindustrie. Der fortan in den USA so
häufig verwendete Begriff "homeland
security
(Heimatschutz)" kam erst nach diesen Angriffen in
Gebrauch. Die Vereinigten Staaten richteten ein
Heimatschutzministerium ein, das bis heute über ein
Budget in der Größe des gesamten Militärhaushalt
Großbritanniens verfügt.
Die wirkliche
Hauptstadt des "Heimatschutzes" liegt jedoch in Tel
Aviv. In Israel sind mehr als 600 Heimatschutzfirmen
registriert, einfache Sicherheitsfirmen und
Waffenfirmen, die unter anderem auch
Heimatschutzprodukte herstellen, nicht mitgezählt.
Tel Aviv ist auch Standort einer jährlichen
Waffenhandelsmesse, auf der Hunderte von Firmen die
Technologien anbieten, die sie entwickeln:
Überwachungskameras, biometrische Verfolgungs- und
Erkennungstechnologien, Systeme zur
Verhaltensanalyse, Gerätschaften zur Niederschlagung
von Aufständen und zur Auflösung von
Demonstrationen, Hand- und Fußfesseln sowie
Computerprogramme für die Datengewinnung.
Im Mai 2013 wurde
Israel zum weltweit größten Exporteur von
unbemannten Luftfahrzeugen
(unmanned
aerial vehicles / UAVs),
so genannter Drohnen, erklärt. Die Drohnen sind ein
Symbol dieser neuen Art der Kriegführung. Reiche,
entwickelte Länder verabscheuen es, ihre eigenen
Bürger als Soldaten Gefahren auszusetzen. Drohnen
lassen sich hingegen bequem und ohne Risiko für den
Anwender von einem klimatisierten Raum aus steuern
und zur Datensammlung, zur photographischen
Erfassung von Personen und sogar zur Tötung aus der
Luft benutzen.
Heutzutage sind die
größten Kunden für Israels Spezialgerät Indien,
Brasilien und in geringerem Umfang Südkorea, Ghana,
Angola und andere Länder, die von einer sehr starken
Ungleichheit geplagt werden. Ungleichheit ist der
Schlüssel. Die extreme neoliberale Politik der
vergangenen vierzig Jahre hat große Teile der
Bevölkerung von der Wirtschaft ausgeschlossen.
Menschen, die selbst als Billiglohnkräfte nicht mehr
nachgefragt sind, wie beispielsweise die Bewohner in
den brasilianischen "Favelas", werden von ihren
Regierungen als "Bevölkerungsüberschuss" behandelt.
Die wachsende Ungleichheit schafft einen beständigen
Bedarf an Kontroll – und Unterdrückungsmechanismen.
Im Jahr 2006
beschrieb Jeff Halper die Verwaltung dieser
überschüssigen Menschen durch Inhaftierungen und
durch den Rückgriff auf Sicherheits- und
Überwachungsmaßnahmen als "Lagerhaltung" (warehousing).
Er hob hervor, dass der Gazastreifen
das
paradigmatische Beispiel für die "Lagerhaltung"
einer Zivilbevölkerung ist.
Und tatsächlich sind
israelische Technologien, mit denen der Widerstand
im Gazastreifen unter Kontrolle gehalten werden
kann, zum Kennzeichen der israelischen Waffenexporte
geworden. Nach der Invasion des Gazastreifens im
Winter 2008/2009 veranstaltete die israelische Armee
eine Messe, um neue Technologien vorzuführen, die
bei dieser Operation eingesetzt worden waren. So
erlangte auch das berühmte "Iron Dome" Raketensystem
seine Berühmtheit im Verlauf der israelischen
Bombardierung des Gazastreifens im November 2012.
Palästinenser benutzen Qassam Raketen, eine Waffe,
die bei der Herstellung im Eigenbau rund 100 $
kostet. Doch selbst diese einfache Rakete bringt die
Möglichkeit von Israelis in Gefahr, in ihren Cafès
zu sitzen und sich zu entspannen, während
Palästinenser im Gazastreifen unter unerträglichen
Bedingungen leben. Jede Iron Dome Rakete koste
50.000 $, und zwei davon sind nötig, um die Flugbahn
einer einzigen Qassam Rakete zu unterbrechen. Damit
kosten Iron Dome Raketen das tausend Mal mehr als
Qassam Raketen. Für Israel lohnt es sich dennoch,
denn was die Israelis damit kaufen ist das Image –
dass man in einem Café sitzen
kann,
während man die Tatsache ignoriert, dass es ein paar
Kilometer weiter für anderthalb Millionen Menschen
kein trinkbares Wasser gibt.
Für den Verkauf
ihrer Gerätschaften nutzen die Israelis genau dieses
Image. Das Iron Dome Raketensystem wurde schon drei
Monate nach seiner Verwendung bei der Bombardierung
des Gazastreifens auf einer Handelsmesse in Indien
zum Verkauf angeboten.
Außerdem ist gerade
dieses Image der Grund, der die Internationale
Gemeinschaft veranlasst, ein solch großes Interesse
für die Politik in Palästina aufzubringen. Die
immense Unterstützung, die Israel von rechts
gerichteten Parteien und Führern geboten wird,
beruht darauf, dass letztere die israelischen
Vorgehensweisen legitimieren möchten, um sie dann zu
kopieren. Rechts gerichtete europäische
Regierungschefs bieten Israel Unterstützung an (und
haben das Land eingeladen, der OECD [Organisation
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung]
beizutreten), nicht weil sie etwa Zionisten wären.
Ihre Motivation liegt vielmehr darin, dass wenn
Israel als Mitglied der zivilisierten Welt
betrachtet werden kann und wenn seine Aktionen damit
als akzeptabel gelten, dann würde das bedeuten, dass
europäische Länder ebenfalls Asylsuchende ohne
Gerichtsverfahren inhaftieren könnten, dass sie
diejenigen, die gegen ihre außenpolitischen
Vorgehensweisen protestieren, ebenfalls ermorden
könnten und dass sie gegen ihre eigenen Bürger
ebenfalls Überwachungs- und Kontrollmechanismen zum
Einsatz bringen könnten.
Aus diesem Grund
liegt es im Interesse aller Bürger diese Welt,
lautstark klarzustellen, dass Israels
Vorgehensweisen keineswegs legitim und akzeptabel
sind. Ansonsten werden wir uns morgen alle in der
Rolle wiederfinden, in der sich die Palästinenser
heute schon befinden.
|