Suicide
sind auf dem Vormarsch in Gaza
-
Enas Farres
Ghannam - Was passiert, wenn jemand
gezwungen ist Jahre lang zu kämpfen
ohne genug Geld für den Unterhalt
seiner Familie zu haben und es -
buchstäblich - keinen Weg hinaus
gibt. Dieselbe Verzweiflung und
Hoffnungslosigkeit verbreitet sich
unter hunderttausenden Menschen, die
in einem kleinen Raum
zusammengepfercht sind.
"Ich habe versucht mich unter
Kontrolle zu halten und logisch zu
denken, aber etwas sagte mir, ich
sollte weitermachen: mein Leben zu
beenden würde eine Erleichterung
sein: niemand würde mehr Geld von
mir verlangen, keine Probleme, kein
Stress." Rezeq Abu Sitta.
Im Gazastreifen, wo der Islam die
vorherrschende Religion ist, steht
Selbstmord unter einem strengem
Tabu.
Einer der drei geschilderten
Fälle: Aber am 9. Februar
machte Rezeq Abu Sitta, 38 und Vater
von sieben Kindern, einen
Selbstmordversuch. Er war einer von
schätzungsweise 80 Gazanern, die im
Januar und Februar sich das Leben
genommen oder es versucht haben. Das
sind gegenüber den früheren Jahren
um alarmierende 35-40% mehr. Manche
Quellen schätzen, dass es noch mehr
sind.
Abu Sittas Fall: bis 2006, als die
Hamas die Herrschaft im Gazastreifen
übernahm, arbeitete er als Wachmann
bei der Fatah, dann erhielt er sein
Gehalt von der Palästinensischen
Autonomiebehörde weiter, musste aber
zu Hause bleiben. Im Januar 2011
machte er eine kleine Reise hinaus
ohne die Fatah um Erlaubnis zu
fragen. Wegen dieser "Übertretung"
erhält er seither kein Gehalt mehr.
Er muss für sieben Kinder, seine
Mutter und seine Schwester sorgen.
Er häufte Schulden an, borgte, wo er
konnte. Er wußte nicht, was er
machen sollte, es gab keine Arbeit.
Am 7. Februar brachte seine Frau das
7. Kind zur Welt. Er konnte die
Krankenhauskosten nicht zahlen; seit
er kein Gehalt mehr hat, hat er auch
keine Krankenversicherung mehr. Er
ging zum Ministerium für
Versicherung und Renten und bat um
Hilfe, damit das Baby geimpft werden
könnte. Sie sagten mir, laut ihren
Unterlagen hätte man ihm sein Gehalt
nicht genommen. Er solle ein
Schreiben von seiner Abteilung in
Ramallah bringen, um zu beweisen,
dass er kein Gehalt mehr bekäme. Er
ging zu anderen Leuten, man sagte
ihm, er solle warten, da der
Versöhnungsprozess zwischen den
beiden politischen Parteien die
Dinge komplizierte. "Aber wie lange
soll ich warten?" "Du hast fünf Jahe
gewartet, du kannst auch fünf Monate
warten". Daraufhin ging er wieder.
Auf dem Weg nach Hause erhielt er
einen Anruf auf seinem Handy, jemand
forderte das Geld zurück, das er ihm
geborgt hatte. Abu Sitta sagte ihm:
"Ich kann nicht, warte bis ich
wieder mein Gehalt bekomme oder
wenigstens bis ich etwas von jemand
anderem borgen kann." Sie stritten,
Abu Sitta war gestresst und konnte
nicht mehr richtig denken. Auf dem
Weg sah er einen Turm und beschloss,
hinauf zu klettern und hinunter zu
springen. Leute, die ihn
hinaufklettern sahen, riefen die
Polizei. Fatahmitglieder
telefonierten mit ihm, versprachen
ihm zu helfen. Er glaubte es nicht,
Ismail Haniye und Mahmud Abbas
wurden einbezogen. Als man seine
Mutter brachte, begann er zu weinen
und kletterte herunter.
Trotz aller Versprechen hat Abu
Sitta bis heute sein Gehalt nicht
(wieder) bekommen.
Unter der rigorosen Blockade (auch
Ägypten hält seinen Grenzübergang
geschlossen, die Tunnels sind
zerstört) leben 80% der Gazaner
unter der Armutsgrenze. Israel hat
auf einem großen Teil des besten
Ackerlandes eine No-Zone
eingerichtet. Gaza hängt mit Wasser,
Strom, Telekommunikation und anderem
von Israel ab.
Zahia Al-Qarra, Psychiater vom Gaza
Community Mental Health Programm
sagt, die Situation sei nie
schlechter gewesen. Früher konnten
die Gazaner in Israel, in
Saudi-Arabien oder Kuwait arbeiten,
es gab Tunnels nach Ägypten, heute
seien sie wie in einer Falle
gefangen.
"Alle scheinen gegen uns zu sein.
Alle Türen sind zugesperrt." Die
Familien in Gaza zögen Kinder auf
und hofften, diese würden sie später
unterstützen. Sie üben Druck aus,
verlangen von den Kindern eine
Arbeit zu suchen, nicht einfach zu
Hause zu bleiben. Aber sie müssten
verstehen, dass es nicht die Schuld
der Kinder ist..
Viele junge Männer leiden unter
Depressionen (wie sie zum Selbstmord
führen), für sie gibt es nicht
einmal ein Happy End wie für Abu
Sitta.
Es gibt keine Arbeit. Sie können
nicht heiraten, nicht ihre Familie
unterhalten, die Eltern können ihnen
nicht helfen. Häuser sind zerstört
oder schwer beschädigt. Sie haben
ihre Habe verloren. (Viele wurden
verletzt und sind behindert, sind
nach allem, was sie erlebt haben,
traumatisiert. Ü.) Sie haben nichts
mehr, was ihr Leben lebenswert
macht.
Der Vater eines jungen Mannes, der
sich das Leben genommen hat, wird
gefragt, ob er eine Botschaft in die
Welt senden wolle. Er sagt: "Ich
will überhaupt keine Botschaft
senden. Sie wissen doch, was hier
los ist."
Quelle
Übersetzung/Zusammenfassung: K.
Nebauer |