Wo bleibt die
Zurückhaltung in Bilin?
Haaretz Editorial (
6.9.05) vgl auch Gideon Levys Artikel „Wrecked Home“
Nachdem die IDF und die Polizei ihre Sensibilität und Intelligenz beim
Auflösen der Demonstration in Gush Kativ (Gazastreifen) bewiesen hat,
hätte man erwarten können, dass dieselben Maßnahmen gegenüber den
Demonstranten, die gegen den Mauerbau in Bilin protestieren, angewendet
werden.
Die
IDF und die Polizei feuerte nicht gegen die Protestierer auf dem Dach in
Kfar Darom, auch dann nicht, als gefährliche Substanzen gegen sie
geworfen wurden. Sie hielten sich zurück, Gewalt gegen gewalttätige
Protestierer anzuwenden.
Entsprechend hatte man hoffen können, dass die Soldaten ihre Schusswaffe
zurückhalten, wenn sie (isr.) Linken und palästinensischen
Demonstranten gegenüberstehen.
Stattdessen wurden letzte Woche ungeheuerliche Bilder von Soldaten
veröffentlicht, wie sie linke Demonstranten mit den Füßen stießen, Salz-
und Gummi ummantelte Kugeln abschossen und ihre allgemeine Verachtung
für das Recht, legitim zu protestieren, zeigten .
Drei
verschiedene Richter haben vor kurzem an den IDF scharfe Kritik wegen
der exzessiven Gewalt, die sie in Bilin praktizierten, geübt. Trotzdem
schossen sie wieder auf die Demonstranten, dies mal – am letzten
Freitag - sogar bevor sie noch das Dorf in Richtung Zaun verlassen
hatten.
Die
Demonstrationen der Westbankdorfbewohner, deren Land für den Bau des
Trennungszaunes konfisziert worden ist, finden seit zwei Jahren statt.
Zusammen mit Petitionen an den Obersten Gerichtshof sind sie ein
legitimes und manchmal auch effektives Mittel des Protestes gegen die
Annexion von Land, das – unter dem Vorwand des Mauer-/Zaunbaus - zur
Erweiterung der Siedlungen gedacht ist. Das den Bewohnern von Bilin
genommene Land, einiges davon Privatbesitz, ist vor allem zur
Erweiterung bestehender Siedlungen gedacht, aber auch um eine neue
Siedlung zu bauen, Nahlat Heftziba.
Indem
mehr als die Hälfte des Dorflandes aus anderen denn aus
Sicherheitsgründen enteignet wird, wird unnötig Zorn hochkommen, und es
ist zweifelhaft, ob solche Maßnahmen notwendig und weise sind. Die
flexiblen Baupläne von Siedlungen werden diskutiert. Im Falle Bilin ist
es sogar zweifelhaft, ob es überhaupt feste Pläne gibt.
Demonstrationen, die in anderen Dörfern stattfanden, sind effektiv
geworden: die Zaunroute wurde näher an die grüne Linie gelegt. In Bilin
hoffen die Bewohner noch, dass ihr Protest die schlimmste Katastrophe
verhindern wird.
Die
Demonstrationen in Bilin und den umliegenden Dörfern sind zu den
wichtigsten palästinensischen Protesten gegen die fortgesetzte
Expansion geworden. Man hat sie sogar „Zaun-Intifada“ genannt. Wenn die
(isr.) Behörden daran denken, diese Demonstrationen mit Gewalt zu
beenden, indem sie Protestierer präventiv in Haft nehmen, sollten sie
auch an die Alternative denken. Man fürchtet, dass die Unterdrückung
der legitimen und sehr zurückhaltenden ( fast gewaltfreien ER) „Zaun-Intifada“
zum Ausbruch einer neuen bewaffneten Intifada führt.
Der
Trennungszaun ist ein Mittel den Terror zu stoppen, aber alle Seiten
wissen, dass seine Linie größtenteils die zukünftige Grenzlinie zwischen
Israel und dem Palästinensischen Staat markiert. Der Versuch, noch mehr
Land zu annektieren, um noch mehr Siedlungen zu bauen und noch mehr Hass
unter denen zu schüren, deren Land konfisziert wird, ist ( ganz einfach)
überflüssig.
Die
klarste Lektion aus der Auflösung der Siedlungen im Gazastreifen ist
die, dass sie überhaupt nie hätten errichtet werden sollen. Der
Siedlungserfolg vom einen Tag wird zum politischen und Sicherheitsrisiko
eines anderen Tages. Die Ungerechtigkeit gegenüber den Bewohnern von
Bilin könnte noch in Ordnung gebracht werden. Auf jeden Fall sollte man
sich nicht einmischen, wenn es um das legitime Demonstration- und
Protest-Recht des Dorfes geht .
(dt. Ellen Rohlfs) |