Interview mit Dr. Eyad Sarraj, bekannter
Psychiater in Gaza
Die
traumatisierten Kinder Palästinas
(Aus Haaretz: Akiva Eldar :Palestinian
Children in Trauma, 16.3.04)
Bei einem
Telefon-Interview mit Dr.Eyad El-Sarraj, z.Zt in London, klang dieser
geschockt, aber überhaupt nicht überrascht, als er erfuhr, dass zwei
18-Jährige aus dem Jabalya-Flüchtlingslager in Gaza am 14.3.04 die
Selbstmordattentäter in Ashdod waren.
Eine umfassende Studie,
die El-Sarraj im von ihm geleiteten Psychischen Gesundheitszentrum von
Gaza durchführte, deckte auf, dass eines von vier palästinensischen
Kindern und Jugendlichen als größten Wunsch habe, im Alter von 18 Jahren
als Märtyrer zu sterben. Die Studie, die unter 944 Jugendlichen ( zwischen
10 und 19 Jahre alt) durchgeführt wurde, fand heraus, dass 97,5 % unter
post-traumatischen Stress-Syndrom leiden. Etwa 32,7% der Kinder waren mit
schweren Symptomen diagnostiziert worden – im Flüchtlingslager sogar 84,1
%.. 94,6 % der Kinder waren bei einer Beerdigung, 83,2 % waren Zeugen
eines Schusswechsels; 61,6 sahen, wie ein Verwandter getötet oder
verwundet wurde, 36,1% sind durch Tränengas verwundet worden.
El-Saraj bemerkt, dass
viele der Selbstmordattentäter der 2. Intifada Kinder der 1. Intifada
waren, die Zeugen geworden waren, wie ihr Vater geschlagen und gedemütigt
worden war.
In einem Interview für
eine Sonderausgabe des Palästina-Israel-Journal über das Thema „Zwei
Gesellschaften im Trauma“, betonte El-Saraj, dass das Phänomen, dass
Kinder nicht mehr lachen können, vorherrscht und dass 13% der Kinder unter
15 Bettnässer sind. Er betonte auch, dass sich viele Kinder in der Schule
nicht mehr konzentrieren können, weil sie Angst haben, dass bei ihrem
Nach-Hause-kommen, sie die Eltern unter den Trümmern des Hauses vorfinden
könnten.
El-Saraj, Gazas führender
Psychiater/ Psychotherapeut, war vor 8 Jahren in ein palästinensisches
Gefängnis geworfen worden, nachdem er Arafat vorgeworfen hatte, eine
korrupte und diktatorische Führung in den pal. Gebieten eingeführt zu
haben. Jetzt warnt er, dass ein Abzug der Israelis aus dem schwer
geschundenen Gebiet einen Kampf zwischen Teilen der PLO auslösen würde und
einen Bandenkrieg. Was die Hamas betrifft, da sei er weniger beunruhigt.
Er sagt, die israelische Besatzung habe mit ihren gezielten Tötungen, der
Zerstörung von Häusern, der Demütigung ein Verfolgungssyndrom unter den
Palästinensern erzeugt. Es wächst die Abhängigkeit von einer Vaterfigur,
aber da die Vaterfigur sich nicht um ihre Bedürfnisse kümmert, nicht
einmal den Bedarf von Hoffnung, werden sie paranoid. Wenn er von einem
„Vater“ spricht , so meint Dr.El-Saraj beides, die wirklichen Väter, die
unfähig sind, ihre Kinder zu schützen – und die PA, die unter mangelnder
Führung, Weitsicht und Einigkeit leidet, und sie auch nicht schützen
kann. Die Staatsorgane und die Gesetzesregeln sind von den Palästinensern
durch alte Stammesordnungen ersetzt worden, die ihnen erlaubten, die
generationenlange Besatzung und Unterdrückung zu überleben. Die Mütter
haben zunehmend den Platz der Väter eingenommen, den Teil, auf den sich
Kinder einigermaßen verlassen können.
Der Kampf gegen die
Besatzung ( die der abgehende Brigadegeneral Gadi Shammi als einen
täglichen Sieg“ der IDF bezeichnete) trägt zur Einheit der Palästinenser
bei. Im Gegensatz zum kuwaitischen Volk, das durch die erniedrigende
Kapitulation gegenüber Saddam Hussein demoralisiert .... wurde, erhält der
entschiedene Kampf gegen die israelische Besatzung die palästinensische
Gesellschaft stark.
El-Saraj macht sich keine
Illusionen über das, was nach einem israelischen Abzug in den Gebieten
geschehen wird. Ohne eine lokale Führung – so meint er – die die Macht
habe, zur Versöhnung zu führen, erwarte er neue Probleme. Die jetzige
Feindschaft gegenüber dem äußeren Feind wird dann nach innen gerichtet
werden zur Selbstzerstörung und zu Drogen ...
El-Saraj glaubt, dass die
einzige Lösung, die Stationierung einer arabisch-europäischen Macht in den
von Israel verlassenen Gebieten wäre, eine Art Stiefvater, der die
Palästinenser vor sich selbst schützt. Es darf unter keinen Umständen eine
amerikanische Macht sein, die zu sehr an das erinnert, was im Irak
geschieht
. ( dies wurde uns von
New Profile, Israel, mit folgernder Bemerkung zugesandt: Die isr. Politik
wird die Palästinenser noch dahin bringen, dass jeder Mann, jede Frau,
jedes Kind ein Freiheitskämpfer wird und dass der augenblickliche
israelische Extremismus den arabischen Extremismus fördert. Ein blutiges
Chaos, das Palästinenser genau so betrifft wie die Israelis. Dorothy)
(dt. Ellen Rohlfs) |