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Die Schlacht um die Hauptstadt
Danny Rubinstein, Haaretz, 31.3.05

 

Die palästinensische Öffentlichkeit und Führung zweifelt nicht daran, dass Israel und die Palästinensische Behörde nun mit einer genau definierten Schlacht um Jerusalem beschäftigt sind. Wenn  in etwa vier Monaten der Abzugsplan ausgeführt wird, wird der Mauer-und Zaunbau rund um Ost-Jerusalem abgeschlossen sein und etwa 250 000 Araber werden von der Palästinensischen Autonomiebehörde abgeschnitten sein.

Selbst ein desinteressierter Zuschauer kann erkennen, dass das Ausschalten Ost-Jerusalems als Hauptstadt für das arabische Hinterland jetzt zusehends voran schreitet. Es werden im östlichen Teil  der Stadt und in ihrem Großraum Tatsachen geschaffen, die die Option von Ost-Jerusalem als palästinensische Hauptstadt völlig unmöglich machen. Doch die Forderung,  Ost-Jerusalem sei  ihre nationale Hauptstadt, bleibt an oberster Stelle der palästinensischen Agende, vielleicht noch vor der Forderung für eine Lösung des Flüchtlingsproblems. Es ist allen klar, wenn es keine endgültige Lösung für Jerusalem gibt, dann gibt es auch für alles andere keine endgültige Lösung.

Im ersten Stadium der Isolierung Ost-Jerusalems von der Westbank (März 1993) war die Absperrung für Westbankbewohner, die so die Stadt nicht mehr betreten konnten. Die israelischen Sicherheitsbehörden haben sich sehr darum bemüht, um diese Veränderung durchzuführen. Sie glauben jetzt, dass es nur noch wenige Araber aus den besetzten Gebieten  in Ost-Jerusalem  ohne entsprechende Genehmigung gibt. Die israelische Polizei und Grenzpolizei patrouilliert die Straßen, und wenn Westbankbewohner ohne Genehmigung angetroffen werden, werden sie verhaftet und bestraft.

Die Fahrer von Minibussen, die nun das Haupttransportmittel zwischen den arabischen Wohngebieten sind, müssen die Ausweise ihrer Kunden kontrollieren. Sie tun das im Bewusstsein, dass ihr Fahrzeug konfisziert wird, wenn jemand mit den fehlenden Papiere in ihrem Fahrzeug entdeckt wird. Das gilt auch für Fahrer privater Fahrzeuge. Westbankbewohner brauchen Passierscheine, um zur Arbeit, zur Schule oder Uni oder zu einer medizinischen Behandlung gehen zu können. Die Passierscheine sind drei Monate gültig und können verlängert werden; aber es ist nicht einfach, den Passierschein zu erhalten. Mehrfach in der Woche gibt es Absperrungen  oder die Fahrt dauert auf einmal stundenlang. In den vergangenen Jahren haben die meisten arabischen Institutionen in Ost-Jerusalem, die Westbankbewohner beschäftigten, diese entlassen und sie durch Ost-Jerusalemer ersetzt. Das ist z.B. für die großen privaten Schulen der Stadt der Fall.

Noch ist es möglich, in der sich windenden Mauerroute durch Lücken zu schlüpfen. In Abu Dis konnte man vor einigen Tagen viele sehen, die durch solch eine Lücke im Zaun kletterten. Grenzpolizisten an Ort und Stelle ignorierten sie, und nach einem Ladenbesitzer in der Nähe haben fast alle Genehmigungen. Sonst würden sie es nicht wagen, hier hinüber zu gehen. In diesem Fall ist die Mauer nicht nur ein hinderliches Element der Trennung, sondern auch  ein israelisches Instrument für Kontrolle.  Seine Existenz  erlaubt vollkommene israelische Überwachung des Lebens der Palästinenser, der Handelsbeziehungen, der sozialen Dienste, der Gesellschaft im allgemeinen.

 

In den nächsten Monaten wird es für palästinensische Bewohner  Ost-Jerusalems neue Bestimmungen geben, um Passierscheine zum Besuch der Westbank zu erhalten.. Bis jetzt war die Fahrt von Jerusalemer Arabern nach Ramallah und Bethlehem  und von dort in den nördlichen und südlichen Teil der Westbank  praktisch ohne Einschränkungen. Ihre blaue israelische Identitätskarte gewährte ihnen Bewegungsfreiheit innerhalb der Gebiete. All dies wird sich ändern,  wenn die Mauer und der Zaun völlig fertig gestellt sind. Richtlinien, die sich mit diesem Problem befassen, sind noch nicht veröffentlicht worden, aber jeder weiß, dass sie vorbereitet werden.  Es wird etwa zehn Tore in der Mauer und im Zaun geben, die die Stadt umgeben.

 

Bei einigen Kontrollpunkten, wie z.B. Erez an der nördlichen Grenze des Gazastreifens gibt es ein „israelisches Büro“, das sich mit denen befasst, die ein israelisches Dokument haben, also auch die Ost-Jerusalemer Bewohner.  Am Erez-Kontrollpunkt sind es vor allem die Frauen von Gaza-Bewohnern . Die Regeln, die diese Frauen betreffen, werden in militärischer Sprache als „Getrennte Familien-Protokolle“ bezeichnet. Während es Hunderte von Frauen in Gaza gibt, auf die diese Bezeichnung zutrifft, sind es in Ost-Jerusalem  viele Tausende getrennter Familien. Man kann sich kaum vorstellen, wie  dort ähnliche Verhandlungen ablaufen werden. Nach demographischen Daten kommen  zwei Drittel der Araber von Ost-Jerusalem aus Hebroner Familienclans und selbst eine teilweise Trennung dieser Jerusalemer von ihren Familien, ihren Geschäftsorten und ihrem Besitz in Hebron erscheint nahezu unmöglich.

 

Inzwischen sind in die Ost-Jerusalemer Stadtteile Juden  eingezogen. Dies wird in einer Anzahl von Wohnungen deutlich, die entweder käuflich erworben oder  angeblich von jüdischen Yeshiva-Studenten in den Gassen neben dem jüdischen Viertel in Besitz genommen wurden, in der Haggai-Straße, Shaar Haphrahim, dem Sa’adia-Stadtteil und  im St-Johns Hospiz in der Nähe der Grabeskirche.

Im Stadtteil Shiloah kaufen und bauen israelische Organisationen weiterhin Häuser und ein kleiner jüdischer Stadtteil, Maaleh Zeitim wurde über Shiloah bei Ras al-Amud gebaut. Jetzt spricht man darüber, dass das Hauptquartier der Judäa- und-Samaria-Polizei umzieht, und dass man diesen großen Komplex den Siedlern überlassen will.

Juden, meist Yeshivastudenten sind inzwischen auch in  den Stadtteil Sheikh Jarrah eingezogen, und zwar in Gebäuden nahe dem Grab  Shimon Hatzadiks und in zwei Gebäuden in der Nähe des Musraramarktes nahe dem US-Konsulat. Das letzte jüdische Unternehmen  innerhalb eines arabischen Stadtteiles in der Altstadt ist mit einer Transaktion verbunden, deren Einzelheiten noch nicht bekannt sind. Es geht um einen  käuflichen Erwerb durch Juden oder, genauer gesagt, um eine Verpachtung für 99 Jahre an Juden. Es handelt sich um große Gebäude und arabische Läden auf dem Jaffator-Platz. Der Besitzer dieser kostbaren Immobilie ist der griechisch-orthodoxe Patriarch. Die jüdischen Käufer bleiben anonym.

Nikos Papadimas, der für die Finanzen des griechisch-orthodoxen Patriarchats verantwortlich ist, ist abgetaucht . Vor zwei Tagen sagte er gegenüber einer griechischen Zeitung, dass er diese Immobilie für 130 Millionen $  verpachtet habe.

Papadimas sagte auch, er habe diese Transaktion im vollen Einverständnis mit dem Jerusalemer Patriarchen Irineos I. ausgeführt, um das Patriarchat vor einer ernsten finanziellen Krise zu bewahren. Irineos, der jede Verbindung mit der Transaktion leugnet, machte vor zwei Tagen einen Besuch in Jordanien, um den Angriffen in den Medien durch die Palästinensische Behörde, die jordanische Regierung und andere arabische Staaten  auszuweichen, die seinen sofortigen Rücktritt fordern.

Mitten im arabischen Stadtteil Jabal Mukaber, an den Hängen des jüdischen Stadtteils Armon Hanatziv hat man  mit Vorbereitungen für einen neuen Stadtteil begonnen. Es gibt auch Pläne für umfassendes Bauen im Raum von Walajeh im Süden Jerusalems und das weite offene Gebiet zwischen Jerusalem und Maale Adumin. Die vor kurzem gemachten Statements vom Verteidigungsminister Shaul Mofaz über einen Plan vom Bau  Tausender von Wohneinheiten hat diplomatisch einige Unruhe geschaffen. Die palästinensische Öffentlichkeit ist sich sehr bewusst darüber, dass dieses ( israelische) Bauen in diesem Gebiet ihnen die Möglichkeit nimmt, leeres Land zur Ausdehnung Ost-Jerusalems, großer palästinensischer Siedlungen, einschließlich El-Azaria (Bethanien), Abu Dis, Anata und Al-Zaim  zu verwenden.

In diesem Gebiet zu bauen, würde auch die Fertigstellung des Trennungszauns rund um Jerusalem und Maale Adumin erleichtern, aber einen territorialen Zusammenhang zwischen dem nördlichen und südlichen Teil der Westbank erschweren, ja verunmöglichen.

Yehezkel Lein von der B’tselem-Menschenrechtsorganisation sagt, dass die Kombination  „neue Tatsachen auf dem Boden“ zu schaffen - einschließlich der Trennungsmauer und dem Bauen in diesem Areal – die Absicht hat, einen Punkt zu schaffen, wo es kein Zurück mehr gibt. In anderen Worten: wenn auch jetzt gebaute Mauern und Zäune eines Tages abgerissen werden können, wird mit den  durch diese Mauern unterstützte Fakten - wie der Bau jüdischer Häuser - eine irreversible Situation geschaffen.

 

Klagen über schlechte Behandlung und Diskriminierung bei der Zuweisung von öffentlichen Mitteln oder Dienstleistungen gegenüber Arabern  in Ost-Jerusalem sind nur zu bekannt. Karim Jubran, ein B’tselem-Mitarbeiter aus dem Shuafat-Flüchtlingslager berichtet von einem verhältnismäßig neuen Terminus im Lexikon der Diskriminierung im östlichen Teil der Hauptstadt: „Apartheid-Verkehrsampeln“.

In den arabischen Stadtteilen Jerusalems gibt es fast keine Verkehrsampeln. Ampeln gibt es vor allem an den wenigen Stellen, wo es jüdischen Verkehr gibt. In diesen Fällen,  geben  die Ampeln z.B. nördlich von der French Hill Kreuzung dem arabischen Verkehr  aus der Richtung Shufat viel weniger Zeit als dem Verkehr, der aus dem jüdischen Stadtteil kommt. Die Folge davon ist, dass während vieler Stunden  des Tages es lange Warteschlangen auf den „arabischen“ Straßen an der Kreuzung gibt.

Die Jerusalemer Gemeindeverwaltung sagt, dass Behauptungen wegen Diskriminierung an der Kreuzung nicht stimmen und die Zeit der Ampeln entsprechend dem Verkehrsaufkommen geregelt sei.

 

Das Bild, das von der internen palästinensischen Debatte über diese Dinge gemalt wird, ist eine der Zerstörung der arabischen Gesellschaftsstrukturen in Jerusalem mit der Absicht, die Stadt zu vereinheitlichen. Vor noch nicht langer Zeit ging kein Tag vorbei, an dem nicht bei einer Konferenz, eine Erklärung abgegeben oder Reden gehalten wurden, bei denen nicht durch die palästinensische Führung und durch zivile arabische Führer davor gewarnt wurde, dass, wenn es Israel weiterhin erlaubt wäre, diese Maßnahmen auszuführen, dann würde es keine Möglichkeit mehr für ein zukünftiges Abkommen geben.

 

(dt. Ellen Rohlfs)

 

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