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Warten am Checkpoint

Elana Golden*

9.9.2004

Im ersten Moment in Beit Iba, dem 1. Checkpoint, zu dem wir am südlichen Eingang von Nablus kamen, dachte ich, ich befinde mich in einem Film: die Palästinenser und die Soldaten seien Statisten, die Wagen und Esel in einer Reihe Teil der Kunstabteilung, die Waffen und die Sandsäcke, hinter denen die Soldaten standen, Requisiten. Nur ich und die anderen drei Frauen vom Machsom Watch (Frauen für Menschenrechte) konnten frei zwischen diesen Dingen gehen, genau wie in den Jahren, in denen ich beim Film als Drehbuchinspektorin gearbeitet und ich mich zwischen allen aufgebauten Szenen habe bewegen können. Doch es war es kein Film. Ich schämte mich, und ich fühlte mich schuldig und verantwortlich, so dass ich mit meinen höchstens 10 Wörtern, die ich auf arabisch konnte, mit so vielen Leuten wie möglich sprach: „es tut mir so leid“, „ich steh auf eurer Seite“. Ich sprach mit ihnen mit meinen Blicken und meinem Gesichtsausdruck, mit meinen Händen und dem indischen „Namaste“-Gruss, sie zu ehren und sah jedem tief in die Augen dh. also mit den Leuten, die da stundenlang anstanden. Zuweilen stand ich mit einer Gruppe Männer, die da seit 2 Stunden in der Sonne warteten – der Schweißgeruch war vorherrschend. Ich stand mit ihnen und dachte nach: „ „Dieser Geruch ist besser als der von Parfum, den ich in Wohnzimmern Tel Avivs oder sonst wo rieche.“

Auf der anderen Seite des Kontrollpunktes, wo die Leute standen, die aus Nablus herauswollten, steht ein schmaler Betonbau, in dem die Leute wie Sardinen zusammengepfercht steckten. Wenn sie schließlich an der Reihe sind, gehen sie durch eine Drehtür, die so eng ist, dass ich nicht weiß, wie eine schwangere Frau oder ein Erwachsener mit einem Kind durchgehen soll. Dann die Soldaten, die hinter Sandsäcken verbarrikadiert ihre großen Waffen genau auf die Leute vor sich richten. Irgendwann sah ich, wie in einem kleinen abgeschlossenen Teil, in dem willkürlich einige Leute und Kinder festgehalten wurden, zu meinem Erstaunen drei Soldaten ihre Gewehre kontrollierten – und sie in der Weise hielten, dass sie alle drei auf die Leute zielten. Die Kinder fingen zu schreien an. Eine junger Frau wurde bei der Hitze ohnmächtig. Ihre Familie und ich legten sie auf den Boden und ich legte meine Hand unter ihren Kopf und die andere Hand auf ihren Bauch. Sie öffnete ein paar Mal die Augen, sah mich überrascht an und wurde wieder bewusstlos ... sie war so hübsch. Ich werde ihr Gesicht nicht vergessen, ihre grünen Augen, ihre Verwundbarkeit und Verzweiflung. Dann kam ein Ambulanzwagen und holte sie.

Wir blieben 2 Stunden an diesem Checkpoint. Man half hier und dort ein wenig: Ließ einen alten Mann vor den anderen passieren, einen Jungen, der Fleisch auf einem Esel transportierte, ließ man schnell gehen, bevor das Fleisch in der Sonne verdarb, ein bisschen Wasser hier, ein freundliches Wort dort. Eine von uns Frauen schrieb einen Bericht. Sie kommen seit einem Jahr wenigstens einmal in der Woche hierher. Die Dame, die den Auftrag hatte, mit uns zu gehen, hatte Lutscher und Bonbons für die Kinder mit. Die Kinder freuten sich und lachten. Ich habe nie so freundliche Kinder gesehen, ich küsste und umarmte viele von ihnen und alle umarmten und küssten mich.

Dann fuhren wir nach Huwara, zum östlichen Eingang von Nablus. Das ist ein großer Checkpoint mit einer Menge Taxis und Verkäufern. Die selben anrüchigen Bauten waren nun mit 400 Leuten auf jeder Seite gefüllt – aber der Kontrollpunkt war für drei Stunden geschlossen. Hunderte Leute mit Babys und alten Leuten warteten da drin. Warum? Die Soldaten sagten, es hätte auf der anderen Seite einen Alarm gegeben, und nun sei man dabei, eine Bombe zu entschärfen. Die Leute waren ärgerlich, müde, erhitzt, durstig, gedemütigt. Einige schienen erfreut, uns zu sehen; wir tragen Armbänder mit Machsom Watch – Frauen für Menschenrechte. Nach 20 Minuten war der Alarm zu ende und alle Leute, zunächst die 400 von der einen Seite, dann die 400 der anderen Seite wurden ohne Kontrolle durchgelassen. Es war keine Bombe auf der anderen Seite. Es war nur ein Mädchen, das den Soldaten verdächtig vorkam – sie verhafteten es.

Als die Hunderten von Palästinenser von der anderen Seite frei gelassen wurden, kam ein Haufen Leute, meist Frauen in wunderschönen Kleidern, einige mit Blumen in den Haaren und schlugen Trommeln, klatschten in die Hände und sangen. Es war eine Hochzeit. Ich dachte bei mir selbst: „ Was für eine Kraft, zuerst in der Sonne stehen, die Hitze drei Stunden durchhalten, bei dieser unglaublichen Demütigung und dann von einem zum anderen Augenblick tanzen und singen! Wow!

Es waren auch so viele Leute da, mit denen ich mit meinen 10 arabischen Wörtern sprechen konnte, obwohl einige englisch sprachen ... es gab wunderbaren Austausch.

Einer der jungen Leute hatte von der Demo der Frauen in Schwarz in Los Angeles vor 14 Tagen gehört aus Solidarität mit den hungerstreikenden Gefangenen. Ich sagte ihm, ich war dabei gewesen

Als ich so dastand und Zeuge von so viel Leid und Demütigung wurde, war ich auch glücklich darüber, dass jeder Palästinenser durchgelassen wurde und für einen Augenblick das Gefühl hatte, frei zu sein – bis zum nächsten Checkpoint. Doch da war eine Frau mit einem Kind auf dem Arm. Ich sah ihr ins Gesicht, nachdem sie durchgelassen wurde. Unsere Augen trafen sich. Ich dachte, ich sehe ihn Edward Munchs berühmtes Bild „Der Schrei“ – so viel Schmerz war in diesem wunderschönen jungen Gesicht.

Zuletzt sprachen wir mit einem jungen Mann, der ein Poster hielt, auf dem stand „Frieden ist möglich“. Er kam gerade von einer internationalen Konferenz in Jerusalem zurück. Er wollte uns dies Poster geben. Seine Augen leuchteten. An seinem Handgelenk hatte er ein in grün, rot, schwarz und weiß gewobenes Armband. Er bestand darauf, es unserer kleinen Teamführerin zu geben. Sie nahm es und legte es um ihr Handgelenk.

Ich bin jetzt zwar wieder in Tel Aviv – mein Herz aber ist in Palästina.

Frieden und Segen – in Solidarität,

Elana Golden

*EG ist eine Israelin aus Rumänien, die seit 1978 in den USA lebt. Sie gehört zu den Frauen in Schwarz in Los Angeles. Sie ist Schriftstellerin, Filmemacherin und hat eine Schule für Kreatives Schreiben in LA. Im Augenblick arbeitet sie an einem Projekt „Die palästinensische Geschichte schreiben“ zusammen mit PAWA – der Paläst.-Amerik. Frauenvereinigung. Bei einem Besuch (am 9.9.04) nach Palästina und Israel ging Elana mit den Machsom Watch-Frauen zu den Kontrollpunkten und schrieb diese Geschichte.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs)

 

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