Ethischer
Codex für die israelische Armee
Oder
„Sprich Hebräisch oder halt’ s Maul!“
Etgar Keret, Guardian, 11.8.04
Vor ein paar Tagen hatte ich
den Besuch des Philosophen Assa Kasher, der gerade für die
israelische Armee einen Ethik-Codex abgeschlossen hat. Es war im
Wartezimmer eines Zahnarztes am Fernsehschirm. Er erklärte mit
wenigen Worten, wie dieser Codex funktioniert. Wenn ich ihn richtig
verstanden habe, sagt er, dass ein Soldat Gewalt anwenden und unter
bestimmten Umständen Leiden verursachen darf, um seine eigene
Sicherheit oder die Sicherheit der Bürger Israels zu gewähren. Eine
ältere Dame, die neben mir saß und die noch mehr gelangweilt war als
ich, starrte auf den Bildschirm und sagte, dass dies sehr gut sei -
und wenn ich sie richtig verstanden habe - sei die israelische Armee
die einzige, die dieses Problem als Codex nicht irgend einem
Schreiberling sondern einem Universitätsprofessor in Auftrag gegeben
hätte. Wenn ich nicht vor zwei Wochen beim Haware-Checkpoint nahe
Nablus gewesen wäre, hätte ich ihr schnell zugestimmt.
Schließlich war ich erzogen
worden, älteren Damen zuzustimmen. Aber bei dem rein zufälligen
Besuch am Kontrollpunkt – es war eher die Folge eines schwachen
Charakters und dem Drängen einer Freundin als etwas anderes - sah
ich einen anderen, konkurrierenden Codex, einen, der weniger ethisch
arbeitet, sondern wie ein Zauberwort oder wie ein Bann. Nennen wir
ihn Udis praktischer Codex.
Udi war an diesem Tag der
leitende Offizier am Checkpoint, und sein Codex war sehr einfach:
lächelnde Leute durften nicht passieren. Natürlich hat er dies nicht
als Codex formuliert. Es kam mehr intuitiv zustande. Mehr als einmal
hörte ich ihn und seine Kumpel am Checkpoint alle möglichen
Geheimdienst- Informationen austauschen, die Lächelnde in der
Schlange Wartenden betraf : „Siehst du den Kerl dort drüben, den
Großen mit der Krawatte?“ hörte ich einen Soldaten zu Udi sagen:
„Siehst du, wie er uns auslacht? Keine Sorge, ich werde ihm das
Lachen aus dem Gesicht treiben.“ Udi nickte zustimmend, und der
Lächelnde wurde tatsächlich für länger als eine Stunde verhaftet.
Als er versuchte, seinen Passierschein zu zeigen, der sein Lächeln
rechtfertigte – er war nämlich grad auf dem Weg zu seiner Hochzeit
- da war es schon zu spät. Ein glücklicher Vater, der seinem
dreijährigen Sohn eine Geburtstagstorte mit einem Bild des Kindes
mitten drin bringen wollte, hatte auch Udis Codex verletzt und wurde
verhaftet. Der offizielle Grund: er wartete nicht genau in der Reihe
wie die anderen.
Als ich zu erklären
versuchte, dass die in der Schlange wartenden Leute den Vater haben
vorgehen lassen wollen, weil sonst die Cremetorte verderben würde,
wenn er so lange in der Hitze warten müsste, lächelte mich Udi
hinter dem Kolben seines Gewehrs an, das auf meine Brust gerichtet
war, und erklärte, dass ihm das schiet-egal sei.
Das war kein überraschendes
Statement, wenn man bedenkt, dass er sich eine Stunde früher genau
so lässig benahm, als er die Schmerzen ein 70 jährigen alten Mannes
ignorierte, der gerade nach einer Herzbehandlung aus dem Krankenhaus
entlassen worden war und dem es schwer fiel, so lange in der Hitze
zu stehen.
Da gibt es noch mehr
Vorbehalte in Udis praktischem Codex: wenn ein palästinensischer
Student versucht, ihm etwas zu seinem Passierschein auf englisch zu
erklären, klärt in Udi auf: „Dies ist Israel – also entweder
sprichst du hebräisch oder du hältst das Maul!“ Der Student begriff
sofort den Codex, gegen den er verstoßen hat, und da er kein
hebräisch kann, bleibt ihm nur die 2. Option, den Mund zu halten. Er
wurde 4 Stunden lang verhaftet.
Übrigens hat Udis Codex auch
ein paar Hinweise auf hebräisch sprechende Palästinenser, besonders
für diejenigen, die ihn überreden wollten. Ich sah, wie er seine
Waffe vorbereitete und auf den Kopf eines Palästinensers zielte, der
ohne Erlaubnis sprach und sagte: „ Wenn du nicht das Maul hältst,
schieß ich dir eine Kugel ins Hirn.“ Der geschwätzige Palästinenser
hielt auch schnell den Mund - denn der Codex ist ein Codex.
Einen Tag nach dem Interview
mit Professor Kasher im täglichen Nachrichtenmagazin, sprach der
Gast dieses Programmes über einen Soldaten, der einen Palästinenser
geschlagen hatte, weil der ihn einen Lügner genannt hatte, und dann
auf ihn schoss und ihn verletzte, während er versucht hatte,
wegzulaufen. Ich kenne den Namen dieses Soldaten nicht, aber ich
kann versichern, dass es nicht Udi war, weil Udi kein Dummkopf ist.
Und wie ein paar andere Soldaten weiß er, wie er seinen Codex
wirksam werden lässt, dass er nicht mit dem IDF-Codex in Konflikt
gerät. Wenn es sich um eine anständige, sensible Person handelt,
wird die IDF diese nicht zwingen, Leute unnötig zu quälen, aber wenn
man ein Scheißkerl ist und begriffen hat, wie das System
funktioniert, dann kann man nach Herzenslust quälen, ohne
akzeptierte Stufen - wie Verhaften, Verfluchen, mit der Waffe
bedrohen - zu überschreiten und ohne in den TV-Nachrichtenmagazins
zu erscheinen.
Als ich all das, was Udi
an jenem Tag getan hat, seinem Kommandeur gegenüber erwähnte –
demjenigen, den die Palästinenser „ den guten Offizier“ nannten,
weil er eine Brille mit feinen Rändern trug und weil er im Ton eines
Psychotherapeuten sprach – nickte ganz entschieden und sagte, dass
die Soldaten seit Tagen unter schrecklichem Druck stünden. „Aber
seit dem Augenblick, seitdem ich hier bin, geht doch alles wie am
Schnürchen, nicht wahr? Fast die Hälfte der Verhafteten durfte
durchgehen.“
Ich werde nicht mehr zum
Hawara-Checkpoint gehen. Aber sollte Prof. Asa Kasher einmal genug
haben, am Schreibtisch zu sitzen und über den Ethik-Codex der
tugendhaftesten Armee auf unserem Planeten nachzudenken, dann würde
ich ihm sehr warm empfehlen, einen halben Tag frei zu nehmen, und
einen Ort besuchen, wo Immanuel Kant nie seinen Fuß hingesetzt hat.
Autor: Etgar Keret ( mit Samir
El-Youssef of Gaza-Blues: Different Stories)
rabbiaecuore(at)hotmail.com 2004
(Aus dem Hebräischen: Sondra
Silverston; aus dem Englischen Ellen Rohlfs)
Vgl auch
„Brutish Behavior by order of the General” von Gideon Levy, Haaretz
15.8. 04
Brutales
Verhalten auf Befehl des Generals !!!
Und The army’s kashrut
stamp von Nehemia Strasler in Haaretz , 30.7.04
( der Kosherstempel für die
Armee)
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