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Bethlehem, 22.10.2004
Das
Normale ist schlimm genug
aktueller Bericht
aus dem Caritas-Baby-Hospitel in Bethlehem
Mit jeder gescheiterten Friedensinitiative wird den Menschen ein
Stück Hoffnung und ein weiteres Stück ihrer wirtschaftlichen
Lebensgrundlage geraubt. Dabei ist von beiden nicht mehr viel
da, was man ihnen nehmen kann.
Wenn die Menschen in Bethlehem ihre Situation beschreiben
sollen, stecken sie in einem Dilemma. Für sie ist das Leben mit
eingeschränkter Bewegungsfreiheit, Kontrollen und
Arbeitslosigkeit zum Normalfall geworden. So dass es aus ihrer
Sicht heißt: „Aus Bethlehem nichts Neues“. Doch solange es
nichts Neues zu berichten gibt, schenken nur wenige aus dem
Ausland der Situation ihre Aufmerksamkeit. Dabei „lohnt“ sich
der genauere Blick, auch wenn es nicht Neues gibt. Denn das Alte
ist schlimm genug.
Was ist alles „normal“ in Bethlehem?
Zur Normalität gehört, dass der Kreis um Bethlehem immer enger
gezogen wird. Es ist nach wie vor selten, dass Mütter aus Hebron
mit ihren kranken Kindern in das Caritas Baby Hospital nach
Bethlehem kommen. Sie müssten drei bis vier Straßensperren
hinter sich bringen, bevor sie uns erreichen. Während früher
Kinder aus dem Gaza-Streifen und Ramallah zum normalen Bild im
Hospital gehörten, ist schon seit Monaten kein Kind mehr aus
diesen Regionen gekommen. An der Tatsache, dass das Baby
Hospital das einzige Kleinkinderkrankenhaus in ganz Palästina
ist, hat sich allerdings nichts geändert.
Die Kinder, die uns erreichen, sind
häufig durch die mangelnde und schlechte Versorgung erkrankt. Es
kommen Kinder, die mit 6 Wochen weniger wiegen als noch bei
ihrer Geburt. Kommen diese Kinder rechtzeitig, können wir sie
Gott sei dank schnell und erfolgreich behandeln. Mit
Spezialmilch gewöhnen wir sie an die Nahrungsaufnahme und
sprechen mit der Mutter, wie sie ihr Kind stillen oder füttern
muss. Im letzten Jahr haben uns mehr als 27.000 Kinder erreicht,
die wir erfolgreich ambulant und stationär behandeln konnten.
Es ist auch normal, dass die
schlechten Behausungen im Winter wieder zu vielen Unterkühlungen
führen. Schon im Sommer können viele Familien ihre Stromrechnung
nicht mehr bezahlen. Im Winter bleibt in einem solchen Fall die
Heizung kalt. Darum sind gerade wärmende Decken in der kühlen
Jahreszeit eine der wichtigsten Hilfen unseres Sozialdienstes.
Andere werden über die Sozialarbeiterinnen um Sr. Silvia direkt
an Familien verteilt.
„Normal“ ist auch, dass im
Sozialdienst des Caritas Baby Hospital’s monaltlich mehr als
Tausendsechshundert Hilfesuchende mit dem Nötigsten versorgt
werden. Dazu kommt die steigende Anzahl der chronisch erkrankten
Patienten, die ohne unsere Hilfe mit Medikamenten nicht
überleben würden. Durch den anhaltenden Konflikt erreichen uns
zunehmend Anfragen von Familien aus dem Mittel-und Wohlstand.
Sie haben ihre Arbeit verloren und auch der „Notgroschen“ ist
aufgebraucht.
Noch so Vieles
gilt hier als normal, was objektiv betrachtet eine Katastrophe
ist. Doch solange die Menschen keine Perspektive sehen, bleibt
ihnen keine andere Wahl, als sich mit dem andauernden
Ausnahmezustand zu arrangieren. Wir im Caritas Baby Hospital
können sie dank unseres Freundeskreises in Europa stützen. Hier
finden sie einen Ort, an dem sie ausruhen und durchatmen können.
Wenn wir ihnen einen Teil ihrer Last nehmen, können sie für
einen kurzen Moment spüren, was Normalität normalerweise
bedeutet.
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