Die hohe
Schule des Zionismus
Deutsche Lehrer sollen in Yad Vashem lernen, was
Antisemitismus ist und wie man ihn bekämpft
Arn
Strohmeyer -
23.11.2018
Deutsche
Lehrer sollen in der Yad Vashem-Stiftung in Jerusalem
fortgebildet werden. Das haben alle Bundesländer mit dieser
Organisation vereinbart – jetzt auch als letztes das
Bundesland Bremen. Nun wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn
deutsche Pädagogen sich mit dem Mega-Verbrechen Holocaust
intensiv beschäftigen und ihr Wissen dann an die Schüler
weitergeben. Die Kenntnisse der Schüler auf diesem Gebiet –
das haben Umfragen ergeben – sind katastrophal, was sicher
auf die Vernachlässigung des Geschichts- und politischen
Unterrichts in den Schulen zurückzuführen ist. Hier haben
Schulreformen in den letzten Jahrzehnten schwer gesündigt.
Rechtspopulisten und neonazistische Organisationen
profitieren von diesem Trend zum historischen Nichtwissen.
Die Yad
Vashem-Vertreterin in Europa, Richelle Budd Caplan, hat
jetzt in Bremen deutlich ausgesprochen, was das Lernziel der
Fortbildung in Jerusalem sein soll: zu verstehen, was
Antisemitismus ist und zu lernen, wie man ihn bekämpft. Es
geht in den Kursen also offenbar weniger um das
Mega-Verbrechen Holocaust, sondern um die Vermittlung der
zionistischen Definition von Antisemitismus. Und diese
Definition ist hinlänglich bekannt: Sie setzt Antisemitismus
und Antizionismus gleich, soll heißen: Jede Kritik an
Israels menschenrechts- und völkerrechtswidriger Politik
gegenüber den Palästinensern – und sei sie auch noch so
berechtigt – wird als „Antisemitismus“ diffamiert. Die
Absicht dieses Vorgehens ist auch klar: Jede öffentliche
Auseinandersetzung über Israels brutale Besatzungspolitik
soll verhindert, ja zum Tabu erklärt werden. Wer sich daran
nicht hält, ist eben ein „Antisemit“ und wird damit
assoziativ mit den übelsten Nazi-Schergen auf eine Stufe
gestellt – eine Denunziation, die für die Betroffenen
schlimme existenzielle Folgen haben kann.
Im Namen
des Holocaust sollen den deutschen Lehrern in diesem
Zusammenhang die wichtigsten Grundlagen der
israelisch-zionistischem Politik beigebracht werden, die
nach Angaben des israelischen Anthropologen und
Friedensaktivisten Jeff Halper so lauten: Israel ist das
Opfer unversöhnlichen Hasses [der auf Antisemitismus beruht]
von Seiten der friedensunwilligen Araber und kämpft um seine
Existenz. Da sie – die Palästinenser vor allem – unsere
ewigen Feinde sind, ist der Konflikt eine
Alles-oder-Nichts-Situation: entweder wir gewinnen oder sie.
Der Kern des Konflikts ist der palästinensische Terrorismus.
Als friedliebende Demokratie und Opfer von Aggressionen
trägt Israel keine Verantwortung für Entstehung und Andauern
des Konflikts. Da die Bedrohung Israels existentiell ist und
Israels Politik ausschließlich der Sorge um seine Sicherheit
gehorcht, ist es jeder Verantwortlichkeit für seine
Handlungen gemäß den Konventionen von Menschen- und
Völkerrecht oder UN-Resolutionen enthoben. Und schließlich:
Es gibt keine Besatzung. Da eine politische Lösung des
Konflikts mit den Palästinensern nicht möglich ist, muss bei
jeder zukünftigen Regelung die Kontrolle über das ganze
Land, einschließlich der Palästinenser, Israel allein
vorbehalten bleiben.
Diese
Hauptelemente einer äußerst inhumanen, weil völlig
kompromisslosen Politik vertritt Israel selbstverständlich
im Namen des Holocaust, denn dieser Staat gründet seine
Existenzberechtigung auf eben diese Katastrophe des
jüdischen Volkes – mit der rein
partikularistisch-zionistischen Begründung, „dass uns
so etwas nie wieder passieren darf.“ Man kann natürlich auch
universalistisch-humanistisch argumentieren und sagen: dass
so etwas keinem Menschen und keinem Kollektiv auf dieser
Welt noch einmal passieren darf oder wie der
deutsch-jüdische Philosoph Theodor W. Adorno es in der Form
eines neuen kategorischen Imperativs formuliert hat: „(…)
dass die Menschen ihr Denken und Handeln so einrichten, dass
Ausschwitz sich nicht wiederhole, nichts Ähnliches
geschehe.“ Wenn Menschlichkeit im Sinne der Aufklärung das
oberste Gebot ist, dann kann eine Kritik an Israels
unmenschlicher Politik gegenüber den Palästinensern niemals
„antisemitisch“ sein.
Es ist
also eine sehr einseitige Indoktrination, die deutsche
Lehrer in Jerusalem erwartet. Dass dieser Staat reiner
Siedlerkolonialismus auf Kosten und dem Rücken eines anderen
Volkes ist und sich dennoch immer noch als Opfer fühlt, wird
man ihnen nicht sagen. Vom palästinensischen Narrativ – also
der Geschichte von Vertreibung und Unterdrückung dieses
Volkes, die bis heute andauern – werden sie auch nichts
hören. Man wird ihnen also viel Hasbara (das hebräische Wort
für Propaganda) präsentieren, die Israel als ein
weltoffenes, innovatives und fortschrittliches Land
darstellt, in der die allgegenwärtigen Bilder von
Repression, Besatzung und Menschenrechtsverletzungen aber
nicht vorkommen.
Der
Israeli Moshe Zuckermann hat in seinem neuen Buch „Der
allgegenwärtige Antisemit oder Die Angst der Deutschen vor
der Vergangenheit“ dargelegt, wie instrumentalisierend, das
heißt fremdbestimmte Interessen verfolgend, das offizielle
Israel mit dem Holocaust umgeht und dabei der Prozess des
Gedenkens das eigentliche Wesen des zu Erinnernden (die
Opfer des Holocaust) völlig aus den Augen verliert.
Zuckermann erhebt eine vernichtende Anklage gegen den
israelischen Umgang mit dem Holocaust: „Nicht übertrieben
ist die Behauptung, dass nirgends auf der Welt die
Banalisierung der Shoa [Holocaust], mit ihrer
Trivialisierung durch inflationäre Verwendung in einer
hanebüchenen Alltagsrhetorik so unverhohlen skrupellos
betrieben wird wie in dem Land, das sich die
Einzigartigkeit, mithin die Unvergleichbarkeit der Shoa auf
seine staatsoffiziellen Gedenkfahnen geschrieben hat.“
Zuckermann geht noch einen Schritt weiter, indem er dem
offiziellen Israel sogar „Verrat an den Holocaust-Opfern“
vorwirft: „Sich selbst als Opfer zu wähnen, während man sich
historisch zum Täter gewandelt hat, ist letztlich nichts
weiter als moralischer Verrat an den historischen Opfern des
eigenen Kollektivs, deren (beziehungsweise deren ‚Andenken‘)
man sich perverserweise bedient, um die eigene,
gewaltdurchwirkte, immer neue Opfer erzeugende Politik zu
rechtfertigen. Denn genau das bedeutet ja, der Opfer im
Stande ihres Opferseins nicht gedenken zu wollen. Wer sich
selbst bewusst einmauert, darf sich nicht wundern, dass es
ihm im eigenen Gemäuer einsam werden mag, unter Umständen
sogar lebensbedrohlich einsam; wenn er aber diese Einsamkeit
zur Ideologie erhebt, mithin das eigene falsche Bewusstsein
mit der Erinnerung an die Verfolgungsgeschichte des eigenen
Kollektivs befestigend begründet, dann instrumentalisiert er
nicht nur das Andenken der Opfer nämlicher
Verfolgungsgeschichte, sondern pervertiert es aus letztlich
narzisstischen Beweggründen und Bedürfnissen.“
Mit einer
solchen Sicht auf die Instrumentalisierung des Holocaust
gerät auch die Institution Yad Vashem in ein zweifelhaftes
Licht, was die Deutschen angesichts ihrer bewussten oder
unbewussten Schuldgefühle erschrecken mag, in Israel wird
unter kritischen Intellektuellen aber offen darüber
diskutiert. So möchte etwa Abraham Burg, der frühere
Sprecher des israelischen Parlaments (Knesset) und ehemalige
Präsident der zionistischen Weltorganisation, die
gegenwärtige Erinnerungsstätte Yad Vashem am liebsten ganz
abschaffen und an ihrer Stelle den Internationalen
Strafgerichtshof etablieren: „Heute ist Yad Vashem das
größte Monument nationaler Ohnmacht, ein Denkmal der
moralischen Taub- und Stumpfheit gegenüber anderen, die seit
Jahrzehnten in unserer Seele herrscht. Die
Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ist der Pfahl, an den wir
unsere Gäste stellen, um ihnen unsere exklusiven Shoa-Werte
einzutrichtern.“
Burg geht
dann auf die biblische Bedeutung des Wortes Yad Vashem ein.
Es bezeichnet ursprünglich einen „Grabstein“, ein Monument
für einen unfruchtbaren Mann als Ersatz für die Kinder, die
er nicht haben wird. In diesem Sinne schreibt er: „Unser Yad
Vashem verherrlicht das Konzept der Impotenz und
Unfruchtbarkeit und ignoriert sämtliche anderen Söhne
fremder Länder. In seiner zukünftigen Form [als
Internationale Gerichtshof] wird das Museum jedoch eine
Gedenkstätte allen menschlichen Unrechts sein. Es wird ein
Ort sein, der die Potenz des Kampfes gegen Gewalt
ausstrahlt, wo immer Gewalt herrscht.“
Deutsche
Lehrer zur Fortbildung nach Yad Vashem zu schicken, ist also
ein sehr einseitiges Projekt, das einzig und allein der
zionistischen Propaganda dient, von deren Vertretern auch
die Initiative zu dem Vorhaben kommt. Es ist genauso
zweifelhaft wie das Ansinnen, junge muslimische Flüchtlinge
oder Einwanderer nach Auschwitz zu bringen (weil man
unterstellt, sie seien alle Antisemiten), ohne ihnen
öffentlich die Gelegenheit zu geben, ihre Sicht
vorzubringen, warum sie Israel mit Recht kritisch
gegenüberstehen. Dafür gibt es gute Gründe: Die Realisierung
des zionistischen Siedlerprojekts mitten in der muslimischen
Welt (auf zumeist geraubtem Land) hat für die betroffenen
Araber – besonders für die Palästinenser – katastrophale
Folgen gehabt – bis heute. Aber darüber zu sprechen, ist in
Deutschland ein Tabu. Nur wenn dieses Tabu fällt, und die
ganze Wahrheit über den Konflikt in Israel/Palästina ins
Blickfeld genommen werden kann, wäre das auch die richtige
Perspektive für Pädagogen, die wichtige Multiplikatoren
sind. Mit Antisemitismus hat das gar nichts zu tun.
23.11.2018 |