ISM
Der 2.
Bericht von Hanan aus Nablus
20.09.04
Hallo Ihr alle,
ich schicke Euch
alle nun den wahrscheinlich letzten Bericht über die Geschehnisse
vom letzten Mittwoch. Warum ich das tue?
Es geht mir
weniger darum, Euch ein Bild von meiner Tätigkeit hier zu
machen, als vielmehr darum , dass Ihr einen Eindruck davon bekommt,
wie hier mit Menschen umgegangen wird, zu was für Grausamkeiten das
Militär in der Lage ist und wie schnell es gehen kann, dass Menschen
nun für lange Zeit traumatisiert sein werden. Zu verdanken haben sie
dies meiner Meinung nach nicht ihren eigen Leuten, die auf ihre Art
und Weise versuchen, für die Befreiung Palästinas von der Okkupation
zu kämpfen, sondern den Methoden, die die Soldaten der israelischen
Armee an Unbeteiligten anwenden.
Macht Euch ein
Bild, auch wenn es für einige Momente vielleicht quälend ist,
versucht einmal nachzuvollziehen, was hier passiert ist, stellt Euch
vor, der Mann in dem Bericht ist Euer Verwandter. Ich möchte
berichten, wie das Leben hier mitunter aussehen kann, Ihr alle seid
mein Sprachrohr.
Wenn Ihr nun das
nächste Mal in der Zeitung lest, dass 4 mutmaßliche Terroristen in
Palästina erschossen wurden, außerdem vielleicht 1, 2 Unbeteiligte,
schaut Ihr vielleicht ein wenig hinter die Zeilen.
Ich habe den
Bericht grad so an eine deutsche Zeitung geschickt, die näheres von
mir erfahren wollte. Deswegen schreibe ich relativ nüchtern und
versuche, neutral zu bleiben. Meinen Gefühlen gebe ich hier
ausnahmsweise einmal keinen Raum.
-- Ich möchte
nun gern noch ausführlich auf den Bericht des Nachbarn eingehen, den
wir gestern von ihm und seiner Frau erhalten konnten. Er ist
Kardiologe im örtlichen Krankenhaus und wohnt mit Frau und Kindern
direkt neben dem dem Grundstück, auf dem die Leichen gefunden wurden
und dem Haus, welches in den Morgenstunden des 15. Septembers
zerstört worden ist.
Der Bericht
beschreibt die Verletzung der Genfer Konvention bezüglich
"menschlicher Schutzschilder", als welches der Mann mehrfach
missbraucht worden war.
Um 4.45 drangen
Soldaten in sein Haus ein, verschafften sich gewalttätig Zugang zu
den Kinderzimmern, in dem zu dem Zeitpunkt die Kinder schliefen. Die
Frau bat, sie vorher herausholen zu dürfen, dies wurde ihr
verweigert. Die ganze Familie wurde dann in die Küche gesperrt,
während die Scharfschützen Stellung bezogen. Nach nur 5 Minuten
begannen extrem schwere Gefechte, ausgehend von ihrem und den
umliegenden Häusern, die nur in den ersten paar Minuten noch von den
Palästinensern beantwortet wurden. Zu diesem Zeitpunkt hatten die
Scharfschützen wie gesagt auch in drei umliegenden Häusern und der
Kirche Stellung bezogen. Nach ca. 25 Minuten Minuten flauten die
Gefechte etwas ab, es wird allgemein angenommen, dass die 5 zu
diesem Zeitpunkt bereits tot waren. Während der Schusswechsel,
tauschten die Soldaten vor den Augen der Kinder im besagten Haus
immer wieder ihre Munition und Granaten aus, verhielten sich extrem
nervös und auf die Frage der Frau hin, wie lange sie gedenken, zu
bleiben, wurde ihr etwas von einigen Minuten erzählt.( Im Endeffekt
blieben sie 5,5 Stunden). Die Soldaten sagten ausserdem zu ihr, dass
sie keine Angst haben müssten, sie seien die "good guys"
und schließlich hier, um sie zu beschützen.
Um ca. 7 Uhr dann
wurde ihr Mann von einem Commander aufgefordert, das Haus zu
verlassen, und einigen Befehlen Folge zu leisten. Zuerst wurde er
aufgefordert, in jenes Haus zu gehen, welches die ganze Zeit unter
Beschuss gewesen war ( und im Endeffekt zerstört wurde), um nach
einer sechsten gesuchten verletzten Person Ausschau zu halten. Er
sollte das Haus durch die Hintertuer betreten und durch die
Vordertuer verlassen - auf keinen Fall solle er hinten wieder
herausgehen. ! Er betrat das Haus wie befohlen und verließ es vorn
wieder. Die Soldaten fragten, ob er jemanden im Haus gesehen hätte.
Er verneinte. Daraufhin bezichtigten sie ihn der Lüge und beorderten
in ein 2. Mal in das Haus. Er solle nun jeden Raum durchsuchen. Er
tat, wie ihm befohlen, fand wieder niemanden, verliess das Haus,
berichtete, wurde übel beschimpft und bekam dann zu hören, dass er
die Verantwortung dafür trage, dass das Haus nun zerstört werden
würde, da sich doch höchstwahrscheinlich die Person noch drin
befinden würde. Er berichtet uns außerdem, dass er einige Granaten
in dem Haus gesehen hätte.
Als nächsten
wurde ihm befohlen, sich zweien der Toten zu nähern, die nahe
beieinander in dem gartenaehnlichen Gelände neben seinem und hinter
dem von ihm gerade durchsuchten Haus lagen. Er solle ihre Waffen
borgen, die Hosentaschen nach Mobiltelefonen und ID-cards
durchsuchen. Außerdem solle er dann die Toten aufheben und zu den
Soldaten tragen. Als ihm dies nicht gelang, wurde ar angebrüllt, er
solle sie an den Beinen zu ihnen herüberziehen. Als er das tat,
bemerkte er die halb geöffneten Schädel und konnte außerdem nicht
verhindern, dass das gesamte Gehirn austrat. Die Soldaten verglichen
die Gesichter mit den ihnen vorhandenen Fotos, um die Leichen zu
idenfizieren. Die gleiche Prozedur verlangten sie daraufhin mit den
nächsten 2 Leichen. Hier wurde er vorher gewarnt, sich sehr
vorsichtig zu verhalten, da neben ihnen eine Bombe auf dem Boden
liege, die noch nicht explodiert sei. Er solle vorsichtig auftreten
und jede Erschütterung vermeiden. Auch diese 2 Toten identifizierten
die Soldaten. Daraufhin wurde er zur fünften Leiche beordert, welche
ähnlich zugerichtet war, wie die anderen, sich aber nicht in dem
Gartengelände, sondern unten auf der angrenzenden Strasse befand.
Offenbar von unten hoch erschossen, befand sich Blut weit oben an
der Wand über dem Getöteten. Auch sie musste er nach beschriebenen
Gegenständen durchsuchen.
Als Nächstes !
wurde er in ein anderes angrenzendes Haus beordert, um dort
ebenfalls nach dem vermuteten Flüchtigen zu suchen. Dort waren aber
nur 2 alte Personen zugegen. Er sollte daraufhin den alten Mann zu
den Soldaten nach oben bringen, beim zweiten Mal die Schwester.
Diese mussten sich dann langen Verhören aussetzen. Ebenso er selber.
Währenddessen war bereits ein Bulldozer aufgetaucht und hatte mit
der Zerstörung des ersten Hauses begonnen.
(In diesem Haus
hatte sich der 85-jaehrige Besitzer während der ganzen stundenlangen
Gefechte aufhalten müssen, war von einem Raum in den nächsten
gelaufen und hat sich schließlich im Bad versteckt. Von dort hat er
irgendwann seine Tochter angerufen, gesagt, er könne nicht mehr
und sei sich sicher, den Tag nicht mehr zu überleben. Im Endeffekt
wurde er dann kurz bevor sie begannen, das Haus zu zerstören, per
Lautsprecher zum Verlassen des Hauses aufgefordert.)
Während der
Doktor den Soldaten ausgeliefert war, bekam seine Tochter im Haus
einen Nervenzusammenbruch und konnte kaum von der Mutter beruhigt
werden. Der Doktor selbst berichtete, dass er trotz
unbeschreiblicher Anspannung allen Befehlen so gut er konnte, Folge
leistete, da schließlich nicht nur seine Famile, sondern auch in
einem weiteren benachbarten Haus seine Eltern in den Händen von
Soldaten waren.
Er beschrieb
außerdem, dass er trotz jahrelanger Erfahrung noch nie solche
Verletzungen wie die an den 5 Toten gesehen habe.
--Ich möchte an
dieser Stelle noch betonen, wie eindrücklich uns die Frau gestern
abend zum Abschluss gebeten hat, der Welt die Wahrheit über das zu
erzählen, was hier passiert. Die Menschen seien unglaublich
frustriert, sie haetten das Gefuehl, dass sich keiner fuer sie
interessiere, sie fuehlten sich total isoliert und vergessen.
--Für diesen
Bericht haben sich gestern abend Karen aus England, einer der local
coordiators und ich noch einmal an den Ort des Geschehens begeben.
Sehr beeindruckend, wie beherrscht der Doktor und seine Frau unsere
Fragen beantworteten und erzählten.
So , jetzt hören
wir gerad, dass vor der Tür Jeeps aufgetaucht sind, wie heut morgen
auch schon. Karen und ich haben 40 Minuten in ihrer Nähe gesessen
und gestanden, Saft getrunken und uns möglichst ungezwungen
unterhalten, es blieb zum Glück alles ruhig. Wir gehen jetzt wieder
raus und sind präsent, beobachten und versuchen, zu deeskalieren.
Ein Jammer, dass unsere Gruppe derart winzig ist.
Ich grüss Euch
alle!!
Wiebke/Hanan
Von:
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Für weitere
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00972-52-511 694 oder 00972-59-296 292 oder 00972-544-372 152
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www.palsolidarity.org
ISM (International
Solidarity Movement) ist einer Bewegung palästinensischer,
internationaler und israelischer Friedens- und
Menschenrechtsaktivistinnen, die mit gewaltfreien Mitteln für ein
Ende der israelischen Besatzung arbeiten und sich für einen
gerechten Frieden in ISrael und Palästina einsetzen.
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