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Nahost: Friedensverhandlungen und Kriegsgefahr

- Plädoyer für eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten
von Clemens Ronnefeldt

 

„Die Kriegsgefahr im Nahen und Mittleren Osten ist in den vergangenen Wochen dramatisch gewachsen. Vier Faktoren, die jeder für sich schon destabilisierend sind, verstärken sich dabei: Resignation, das Fehlverhalten lokaler Regierungen, ein regionales Machtvakuum sowie das Fehlen externer Vermittlung“, schrieb Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin (SWP), am 5. Juli 2010 in der Süddeutschen Zeitung (nachfolgend abgekürzt: SZ).

 

Überblick über Konflikte der Region Naher und Mittlerer Osten

 

Wie die Vergangenheit zeigte, verliefen bisher fast alle Versuche, Teilkonflikte im Nahen und Mittleren Osten jeweils einzeln zu lösen, im Sande. Wie soll der israelisch-palästinensische Kern-Konflikt gelöst werden, ohne die von der Flüchtlingsfrage betroffenen Länder Libanon, Jordanien oder Syrien, das zudem seit 1967 die Rückgabe der Golanhöhen einfordert.

 

Ägypten mit der gemeinsamen Grenze zum Gazastreifen hatte sechs Monate vor dem jüngsten Gazakrieg 2008/2009 zwischen Hamas und israelischer Regierung die Einstellung des Raketenbeschusses durch die Hamas bei gleichzeitiger israelischer Grenzöffnung für Güter und Waren in den Gazastreifen ausgehandelt und könnte auch in Zukunft eine konstruktive Rolle spielen, sofern das Land nach dem Tod 82-jährigen Staatschefs Hosni Mubarak nicht ins Chaos abgleitet.

Mit welcher überzeugenden Begründung kann Iran am Bau von Atombomben gehindert werden, wenn gleichzeitig Israel, Pakistan und Indien über Nuklearwaffen verfügen und sich weigern, mit der Internationalen Atomorganisation in Wien (IAEA) zusammen zu arbeiten?

Syrien, Iran, die Hisbollah und die palästinensische Hamas haben sich zu einer "Achse des Widerstands" zusammengeschlossen. Wie könnte die israelische Regierung Atomanlagen im Iran angreifen, ohne Gefahr zu laufen, von den Raketen der Hisbollah im Libanon beschossen zu werden?

Wie soll eine dauerhafte Befriedung des Irak ohne Einbeziehung Teherans oder Syriens möglich sein?

Wie könnte Afghanistan stabilisiert werden, ohne die Nachbarstaaten - insbesondere Pakistan und Iran -

an einer Gesamtlösung zu beteiligen?

 

Fast alle Staaten der Region haben ethnische oder religiöse Minderheiten. Die kurdische Frage ist nach wie vor in den vier hauptbetroffenen Ländern (Türkei, Syrien, Irak, Iran) offen.

Sowohl in Iran wie auch in Pakistan gibt es Belutschen, die auf ihre Autonomie drängen. Im Iran, das etwa zur Hälfe persisch und zur anderen Hälfte von ethnischen Minderheiten (u.a. Kurden, Aseri, Araber, Belutschen) bewohnt ist, liegen die größten Erdölquellen ausgerechnet in der mehrheitlich arabischen Provinz Khuzistan, nahe der irakischen Grenze.

Im überwiegend sunnitischen Saudi-Arabien befinden sich die Haupterdölgebiete im Osten entlang des persischen Golfes, wobei diese Gebiete etwa zur Hälfte von Schiiten bewohnt sind, die immer wieder angefeindet und wirtschaftlich benachteiligt werden.

 

Aus der US-Invasion im Irak 2003 ging Iran als Gewinner hervor. Nach langer Unterdrückung durch den Sunniten Saddam Hussein übernahm die schiitische Bevölkerungsmehrheit Regierungsverantwortung - unter großem Einfluss Teherans vor allem im Süden Iraks. Mit der militärisch starken Stellung der Hisbollah im Libanon sowie relevanten Minderheiten in mehreren arabischen Staaten hat sich der schiitische Einfluss seit 2003 in der Region gegenüber den mehrheitlich sunnitischen Staaten wie Ägypten, Saudi-Arabien oder Jordanien stark vergrößert - mit entsprechenden

Rivalitätskämpfen. Eine weitere Konkurrenzebene bildet zudem noch der immer wieder aufflammende Konflikt zwischen Persern und Arabern.

 

Neben Iran möchte auch die Türkei eine stärkere Rolle als Regionalmacht spielen. Der türkische Nicht-EU-Beitritt lässt das Land verstärkt seine Partner im Osten (Russland, Iran) suchen. Als regionaler Konfliktschlichter an der Nahtstelle von Orient und Okzident könnte die Türkei eine wichtige Rolle im Nahost-Konfliktmanagment übernehmen und sich dabei von Katar unterstützen lassen, das z.B. in der Vergangenheit im Libanon deeskalierend eingegriffen hat. Voraussetzung wäre, dass sich die Regierung Netanjahu nach dem Angriff auf die Gazaflotille zu einer internationalen Untersuchung mit Anhörung von israelischen Soldaten als Zeugen sowie zu einer Entschuldigung für die getöteten türkischen Aktivisten gegenüber Ankara durchringen könnte, um die israelisch-türkischen Beziehungen zu entspannen.

 

Mit den USA, den EU-Staaten, Russland und China werden, so lange deren Ökonomien vom "schwarzen Gold" abhängen, alle diese Akteure auf die Öl- und Gasquellen der Region Naher und Mittlerer Osten zurückgreifen.

 

Die jemenitische Hauptstadt Sanaa wird ebenso wie zahlreiche andere Städte und Gebiete im Nahen und Mittleren Osten in wenigen Jahren kaum noch mit Trinkwasser versorgt werden können. Der Wert des Wassers könnte den des Erdöls schon bald übersteigen. 

Iran und Pakistan haben in wenigen Jahrzehnten ihre Bevölkerungszahlen verdoppelt, die hohe Jugendarbeitslosigkeit bildet u.a. auch in Saudi-Arabien einen gefährlichen Nährboden für religiöse Extremisten, die verstärkt junge Männer für Terrororganisationen anwerben. Menschenrechte, Frauenrechte oder politische Teilhabe der Bevölkerung an Entscheidungen finden sich in kaum einem Staat der Krisenregion.

 

Diese unvollständige Skizze der Akteure, Interessen und Konflikte verdeutlicht, was viele Friedensforschungsinstitute seit langem fordern: Der einzig sinnvolle Weg, die Region Naher und Mittlerer Osten vor dem weiteren Abdriften in eine Eskalationsspirale zu bewahren, bestünde in der Einberufung einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten (KSZMNO), wo alle relevanten Themen wie z.B. Sicherheit, Wasser oder Menschenrechte von allen jeweils betroffenen Ländern gemeinsam angegangen werden.

 

Als Hoffnungszeichen kann gelten, dass die 189 Mitgliedsstaaten des Sperrvertrages auf der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag  im Sommer 2010 beschlossen haben, im Jahre 2012 eine Konferenz einzuberufen, deren Ziele eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten sowie das Verbot auch von allen anderen Massenvernichtungswaffen sein sollen.

 

 

Konfliktverschärfende Faktoren im Herbst 2010

 

1. Inbetriebnahme des iranischen Atomkraftwerkes in Buscher

Nach jahrelangen Verzögerungen durch die russische Baufirma im Auftrag der Moskauer Regierung wurde Ende August 2010 der erste iranische Atomreaktor eingeweiht. Mit dem Anfahren des Reaktors endet die Frist für die israelische Regierung, wo diese Atomanlage noch ohne größere Umweltkatastrophe für die umliegenden Länder - und die dort stationierten US- und anderen Nato-Soldaten - bombardiert werden kann.

 

2. Prozessbeginn im Libanon wegen des Hariri-Mordes

Im Herbst 2010 wird die Anklageerhebung des UN-Sondertribunals wegen der Ermordung des libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri im Jahre 2005 erwartet. Auf die Hisbollah sind starke Verdachtsmomente gefallen – und deren Chef Nasrallah wird versuchen, den Druck von seiner Organisation abzuwenden.

 

3. Ende des Siedlungsstopps in der Westbank

Der unter US-Druck zugesagte - und nicht eingehaltene - Siedlungs-Baustopp der israelischen Regierung für die Westbank endet am 25.9.2010. Rechtsgerichtete Kräfte im Land haben bereits angekündigt, die Regierung Netanjahu unter Druck zu setzen, den Siedlungsbau in der Westbank mit neuem Schwung wieder aufzunehmen. Die Proteste in den palästinensischen Gebieten sind vorhersehbar.

 

4. Neue Verhandlungsrunde im iranischen Atomkonflikt

Im September 2010 werden die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates plus Deutschland ("P 5 plus 1"-Gruppe) mit Iran wieder Verhandlungen zur Lösung des Atomkonfliktes aufnehmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass aufgrund der verhärteten Positionen beider Seiten auch diese Gespräche scheitern, ist recht hoch. Die Sanktionen haben zwar Iran geschadet, die Regierung in Teheran konnte allerdings dadurch auch von der eigenen Unfähigkeit bei der Bewältigung großer ökonomischer Schwierigkeiten ablenken.

 

5. Die UN-Resolution 1929 zur Durchsuchung iranischer Schiffe

Die UN-Resolution 1929 regelt die Durchsuchung iranischer Schiffe sowohl in ausländischen Häfen als auch auf hoher See. Jeder Staat darf  Kriegsschiffe einsetzen, um Schiffe, die sowohl iranische Häfen ansteuern als auch von diesen ablegen, zur Inspektion aufzufordern. Die einzige Voraussetzung ist, dass dem betreffenden Staat Informationen vorliegen müssen, dass sich an Bord des Schiffes sanktionierte Güter -  z.B. Waffen und Ausrüstungsteile für die Atomindustrie - befinden könnten.  Eine wesentliche Einschränkung ist, dass das Land, unter dessen Flagge das betroffene Schiff fährt, der Untersuchung zustimmen muss. Da Iran sich voraussichtlich weigern wird, diese Inspektionen zuzulassen, sind Konflikte vorprogrammiert, die leicht zu einem Kriegsanlass werden können.

 

6. Konfliktquelle Straße von Hormus

Im Juli 2010 wurde in der Straße von Hormus ein mit 270 000 Tonnen Rohöl beladener japanischer Tanker von einem mit Sprengstoff beladenen Kleinboot gerammt und erheblich beschädigt. Anfang August 2010 bekannten sich die al-Qaida nahestehenden "Abdallah-al-Azzam-Brigaden" zu dem Angriff und gaben als Begründung an, Ungläubige besetzten die muslimische Welt und plünderten ihre Rohstoffe aus (vgl. SZ, 7./8.8.2010). Sollte sich Ähnliches wiederholen - vor allem mit einem weniger glimpflichen Ausgang - wird dies vermutlich die im persischen Golf präsenten US-Streitkräfte zum Eingreifen bewegen.

 

Nachfolgend möchte ich einige für den Nahostkonflikt im engeren Sinne zentrale Akteure mit ihren jeweiligen Interessen und Optionen etwas näher beleuchten und untersuchen, welche (Gewalt-)Szenarien aktuell vorstellbar sind.

 

 

1. Zur Politik Israels

 

Die Regierung Netanjahu liegt seit längerem mit der US-Regierung im Konflikt. Während US-Präsident Obama mit einem neuen Anlauf direkter Gespräche zwischen Israelis und Palästinensern im Herbst 2010 eine Konfliktlösung sucht, bestand die israelische Regierung bisher darauf, zunächst den Atomkonflikt mit Iran zu lösen.

 

Dass es die israelische Regierung mit ihren Angriffsdrohungen auf die iranischen Atomanlagen ernst meint, stellte sie erneut Ende Juli 2010 bei einem Hubschrauber-Manöver in den rumänischen Karpaten unter Beweis, bei dem ein israelischer Hubschrauber abstürzte: "Der Sikorsky CH-53-Helikopter war auf dem Flug von Israel unterwegs in der Luft aufgetankt worden und hatte damit zu seinem Ziel eine Entfernung wie die nach Iran zurückgelegt. Zweck der Übung war offenbar das Abfeuern von Raketen, die tiefe Höhlen oder Bergstollen zerstören können" (SZ, 5.8.2010).

Für eine über mehrere Wochen notwendige Kriegführung gegenüber Iran mit seinen weit über das Land verteilten Atomanlagen und Militäreinrichtungen verfügt die israelische Regierung allein derzeit nicht über die notwendigen Kapazitäten, insbesondere auch im Bereich der Luftbetankung.

 

Um den militärischen Drohungen gegenüber Iran künftig mehr Nachdruck verleihen zu können und die Lufthoheit in der Region bei gleichzeitiger massiver Aufrüstung einiger arabischer Staaten mit US-Militärjets zu behalten,  stimmte Verteidigungsminister Ehud Barak Mitte August 2010 dem Kauf von 20 Tarnkappenbombern des Typs F-35I des US-Konzerns Lockheed Martin zum Preis von rund 4 Milliarden Dollar zu, die mit US-Militärhilfe finanziert werden sollen.

 

Damit das eigene Staatsgebiet vor anfliegenden Kurzstreckenraketen geschützt werden kann, testete die israelische Regierung im Juli 2010 erstmals erfolgreich ein Abwehrsystem, das gleichzeitig mehrere Flugkörper abfangen kann.  Bis November 2010 soll die Stationierung an den Grenzen zum Gazastreifen und zum Libanon abgeschlossen sein. US-Präsident Obama hatte bereits im Mai 2010 im Kongress 205 Millionen US-Dollar zur Unterstützung dieser Maßnahme beantragt, die vor allem die Stadt Sderot an der Grenze zum Gazastreifen schützen soll.

 

Das US-Magazin "Defense News" berichtete im Juli 2010 von einem Konflikt zwischen der israelischen und der deutschen Regierung: Die Bundesregierung habe ihre Zusage für eine Finanzierungshilfe für ein von Israel gewünschtes sechstes U-Boot der Dolphin-Klasse, das mit atomar bestückten Marschflugkörpern ausgestattet werden kann, zurückgezogen. Dies habe sowohl bei der israelischen Marine als auch bei der israelischen Regierung für erhebliche Verstimmung gesorgt. Zusammen mit zwei weiteren Kriegsschiffen, die in Deutschland gebaut und an Israel ausgeliefert werden sollen,

soll das Gesamtvolumen des Geschäftes für das sechste U-Boot bei rund 1,6 Milliarden US-Dollar  liegen.

An den drei ersten ausgelieferten Dolphin-U-Booten in den Jahren 1999/2000 waren deutsche SteuerzahlerInnen mit ca. 1,1 Milliarden D-Mark beteiligt, von den Kosten in Höhe von ca. 1 Milliarde Euro für zwei Dolphin-Boote, die 2012 ausgeliefert werden sollen, ist Deutschland mit 330 Millionen Euro beteiligt.

Mit diesen U-Booten kann die israelische Regierung ihren Angriffsdrohungen gegenüber Iran mehr Glaubwürdigkeit verleihen, da diese im persischen Golf nur schwer zu orten sind und Ziele in Iran in relativ kurzer Zeit erreichen können.

 

Bezüglich der eigenen Atomwaffen gerät die israelische Regierung immer stärker unter internationalen Druck. Am 9.6.2010 schrieb der frühere israelische Botschafter Avi Primor in der SZ: "Die Tragödie auf der Mavi Marmara (unter türkischer Flagge fahrendes Schiff, auf dem neun Friedensaktivisten von israelischen Soldaten auf der Reise nach Gaza erschossen wurden, Anm.: C.R.) ereignete sich nur wenige Tage nachdem Israel einen Schlag erhielt, dessen Schwere die Welt vielleicht nicht genügend wahrgenommen hat. In der Abschlusserklärung der Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags am 28. Mai in New York wurde Israel - und nicht Iran - an den Pranger gestellt. Israel wurde aufgefordert, seine Atomanlagen einer Untersuchung der Weltgemeinschaft zu öffnen. (...) Für Israel bleibt die Atomwaffe das letztgültige Abschreckungsmittel mit dem Ziel der Wahrung seiner Existenz. Die Gefahr, gegen die die Weltgemeinschaft sich wehren sollte, lauert anderswo. Dass die Welt - und insbesondere die USA - dies heute nicht unbedingt so sieht, empört die Israelis und drängt sie in eine versteinerte Position. Dies erklärt ein wenig auch ihr Verhalten gegenüber der `Solidaritätsflotte´".  So weit Avi Primor. Der israelische  Regierungschef Netanjahu nannte die Abschlusserklärung "zutiefst fehlerhaft und heuchlerisch".

 

Seit vielen Jahren schon werden in Israel Angriffsoptionen gegen Iran offen von Regierungsmitgliedern propagiert. Parallel zu oder zeitlich vor einem Iran-Angriff ist mit einem israelischen Militärschlag gegen das Raketenpotential der Hisbollah zu rechnen, das hauptsächlich in der Bekaa-Ebene vermutet wird. Bei einem solchen Szenario würden sehr schnell die Vereinten Nation aktiv werden, deren rund 15 000 UNIFIL-SoldatInnen im südlichen Libanon akut bedroht wären. Der israelischen Regierung würde aufgrund des internationalen Druckes kaum Zeit bleiben, Angriffe auf die Hisbollah-Stellungen über einen längeren Zeitraum wie z.B. beim 33-Tage-Krieg 2006 zu unternehmen.

 

In die für den Herbst 2010 angesetzten direkten Friedensverhandlungen geht die israelische Regierung aus einer Position der Stärke. Sie konnte gegenüber der US-Regierung die Sprachregelung durchsetzen, dass die Verhandlungen "ohne Vorbedingungen" stattfinden sollen. Längere Zeit vertrat Barack Obama die Position, dass ohne die Vorbedingung eines Siedlungsbau-Stopps Friedensverhandlungen keinen Sinn machen. Vorrangiges Interesse der israelischen Regierung sind die eigenen Sicherheitsinteressen, weshalb ein künftiger Palästinenserstaat entmilitarisiert sein müsste.

 

Ob angesichts der Zerrissenheit der israelischen Regierung überhaupt ein Friedensabkommen, das diesen Namen verdient, möglich ist, scheint mehr als fraglich: Außenminister Avigdor Liebermann

wird noch einiges dazu tun, die Verhandlungen zum Scheitern zu bringen, Verteidigungsminister Ehud Barak hofft dagegen auf einen Erfolg und Netanjahus Regierungspartei Likud ist in sich gespalten.

 

Der israelischen Regierung ist die Verhinderung des Zusammengehens von Gazastreifen und Westbank durch einen seit langem angedachten Verbindungskorridor im Rahmen einer Zweistaatenlösung wichtig. Benjamin Netanjahu wäre vermutlich froh, wenn Ägypten die Versorgung der rund 1,5 Millionen BewohnerInnen des Gazastreifens über den Grenzübergang Rafah übernehmen würde. Dazu wird Kairo allerdings auch in Zukunft nicht bereit sein, da neben den finanziellen Kosten auch innenpolitisch negative Einflüsse für die Regierung in Kairo bei einer geöffneten Grenze zu erwarten wären. Die Hamas ist aus der ägyptischen Muslimbruderschaft hervorgegangen und steht mit dieser in engem Kontakt. Die Muslimbrüder werden von Präsident Hosni Mubarak als größte innenpolitische Gefahr angesehen und daher erbittert bekämpft.

 

 

2. Zur palästinensischen Politik

 

Wie schon in Oslo 1993 und Camp David 2000 geht die palästinensische Seite in die neuen Friedensverhandlungen aus einer Position der Schwäche. Premierminister Salam Fajad beklagte Ende August 2010 zudem auch noch die extrem angespannte Finanzlage der Autonomiebehörde, die in hohem Maße von Zahlungen aus dem Ausland abhängig ist.

 

Ende Juli 2010 riefen sowohl die deutsche Bundeskanzlerin als auch der französische Präsident bei Palästinenserpräsident Abbas an, um ihn zur Einwilligung in direkte Friedensgespräche mit der israelischen Seite zu drängen.

Nachdem US-Präsident Barack Obama lange Zeit die palästinensische Forderung nach einem Stopp des israelischen Siedlungsbaus unterstützt hatte, ließ die US-Führung im Sommer 2010 diese Bedingung für die Aufnahme von direkten Verhandlungen fallen - und Präsident Abbas im Regen stehen. Der eigentlich für seine Neutralität aus dem Nordirlandkonflikt bekannte US-Sondergesandte Mitchell soll - nach einer Meldung der Nachrichtenagentur AP - Präsident Abbas sogar erpresst haben: Entweder stimme er umgehend direkten Friedensgesprächen zu - oder er verliere die Unterstützung der USA bei der Gründung eines palästinensischen Staates.

 

Nachdem die US-Regierung ihre Verbündeten Hosni Mubarak aus Ägypten und König Abdullah aus Jordanien mobilisiert hatten, reisten diese sowohl zu Abbas wie auch zu Netanjahu, um beide zu direkten Gesprächen zu drängen.

 

Die Amtszeit von Präsident Abbas ist eigentlich längst abgelaufen. Sollte es wider Erwarten doch zu einem Friedensvertrag mit ihm kommen, stellen sich schon jetzt Fragen nach der Legitimität seiner Unterschrift.

 

Wahrscheinlicher als ein Erfolg der auf ein Jahr hin angesetzten Verhandlungen ist das Scheitern der Gespräche. Vor allem im Hinblick auf die US-Zwischenwahlen im November 2010 hat US-Präsident Barack Obama die Alternative verworfen, die israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen seiner Außenministerin Hillary Clinton in Ägypten zu überlassen. Statt dessen warf er sein ganzes Gewicht selbst in die Waagschale und lud persönlich in die USA eingeladen - mit erheblichem eigenem Risiko.

Sollte die israelische Regierung den Siedlungsbaustopp wie angekündigt nicht verlängern und gleichzeitig damit die Verhandlungen scheitern, bevor sie überhaupt richtig begonnen haben, droht eine dritte Intifada, in der sich die Frustration der palästinensischen Seite gewaltsam entladen könnte.

 

Ausreichend Gründe für einen neuen Aufstand gibt es, wie die nachfolgende unvollständige Auflistung zeigt:

- Am 20. Januar 2010 wurde der Hamas-Funktionär Mahmud al-Mabhuh in seinem Hotelzimmer in Dubai ermordet. Er soll angeblich Waffen aus Iran für die Hamas beschafft haben. Die Mörder wurden sehr schnell u.a. anhand ihrer gefälschten Pässe in den Reihen des israelischen Geheimdienstes vermutet. Nachdem Polen einen der mutmaßlichen Täter nach Deutschland überstellte, ließ die Bundesregierung ihn nach Israel ausreisen.

- Selbst nach dem Angriff auf die Gazaflotille und dem dadurch erhöhten Druck auf Netanjahu werden notwendige Güter für den Wiederaufbau des Gazastreifens nicht von der israelischen Regierung zur Einfuhr freigegeben.

- Trotz gegenteiliger Ankündigung setzte die israelische Regierung auch im Jahre 2010 den Siedlungsbau im Westjordanland fort. Besonders in Ostjerusalem ließ die israelische Regierung palästinensische Häuser in größerer Zahl abreißen, um jüdischen Wohneinheiten zu schaffen.

- Die Brutalität der israelischen Armee gegen Friedensaktivisten, die z.B. in Bilin oder Nihil gegen den Mauerbau protestieren, hat auch im Jahre 2010 nicht nachgelassen.

- Die ägyptische Regierung versucht mit einer tief in die Erde gerammten Stahlkonstruktion das Tunnelsystem zur Versorgung der Menschen im Gazastreifen zu unterbinden.

Ein Ende des Elends und der Perspektivlosigkeit der PalästinenserInnen scheint derzeit nicht in Sicht.

 

Am 30. Juli 2010 feuerten palästinensische Extremisten aus dem Gazastreifen eine Rakete auf die israelische Stadt Aschkelon, die in einem Wohnblock Sachschaden anrichtete. "Opfer gab es keine - außer dem Friedensprozess", schrieb Peter Münch in der SZ am 31.7./1.8.2010.

 

Die Schwäche der palästinensischen Seite ist nach wie vor auch durch die tiefen Gräben zwischen Hamas und Fatah bedingt. Die palästinensische Nationalinitiative unter Führung von Dr. Mustafa Barghouti arbeitet seit einigen Jahren an der Überwindung dieser Gräben.

 

Eine weitere Spaltung betrifft die Frage des Einsatzes von Gewalt. Im Vorfeld des jüngsten Gazakrieges ließ die Führung der Hamas Anhänger militant-extremistischer Gruppen, die trotz des im Juni 2008 ausgehandelten Waffenstillstandes Raketen auf Israel abgefeuert hatten, ins Gefängnis werfen.

 

Auch in den Reihen der Hamas - wie schon seit 1988 bei der Fatah - gibt es relevante Kräfte, die auf der Basis der Grenzen von 1967 - und damit der indirekten Anerkennung des israelischen Staates - zu einem Friedensschluss mit Israel bereit sind. Das Zitieren der Hamas-Charta auf israelischer Seite zur Begründung dafür, dass mit der Hamas keine Gespräche möglich seien, führt in eine Sackgasse. Als Israel mit der PLO unter Yassir Arafat Verhandlungen aufnahm, waren die Aussagen der PLO-Grundlagendokumente denen der Hamas-Charta noch recht ähnlich. Erst durch die Verhandlungen selbst und die Perspektive eines eigenen Staates korrigierte die PLO ihre Positionen bezüglich des israelischen Existenzrechtes - was nach einer Anerkennung der Hamas als rechtmäßig gewählter Führung im Gazastreifen und ihrer Anerkennung als Verhandlungspartner auch von der Hamas-Charta erhofft werden kann.

 

Der bisher weitestgehende Kompromiss für ein umfassendes Friedensabkommen zwischen Israelis und Palästinensern stellt das Abschlussdokument der "Genfer Initiative" aus dem Jahre 2003 dar. In palästinensischen Kreisen stieß es auf Widerstände vor allem wegen der weitgehenden Aufgabe des Rückkehrrechtes für die Flüchtlinge gemäß UN-Resolution 194. In Israel stemmte sich die Siedlerbewegung dagegen, da viele der illegal im Westjordanland errichteten Siedlungen hätten geräumt werden müssen. Die Siedler drohten und drohen bis heute mit einem innerisraelischen Bürgerkrieg,

sollte eine israelische Regierung es wagen, mit Polizei und Militär die Siedlungen zu räumen, um damit die Voraussetzung für einen palästinensischen Staat zu schaffen.

 

Bei den neuen israelisch-palästinensischen Verhandlungen kann auf zahlreiche erzielte Kompromisse der "Genfer Initiative" wie z.B. einen Gebietstausch, den Status von Ostjerusalem, die Frage des Zugangs zu religiösen Stätten oder eine Lösung der Wasserfrage zurückgegriffen werden.

 

3. Zur Politik Irans

 

Als Reaktion auf die  internationalen Sanktionen gegen Iran kündigte die Regierung in Teheran an, keine internationalen Geschäfte mehr in den "schmutzigen" Währungen  Dollar und Euro abzuwickeln sowie jegliche Werbung für deutsche, englische oder südkoreanische Produkte zu verbieten.

 

Beim UN-Sicherheitsrat-Beschluss am 9.6.2010 bezüglich dieser neuen Sanktionen gegenüber Iran stimmten zwölf Staaten für eine Verschärfung - darunter auch Russland und China -, die Türkei und Brasilien waren dagegen, Libanon enthielt sich überraschenderweise. Einer der großen Nutznießer der Sanktionen ist die Türkei: Seit 2002 haben sich die türkischen Exporte nach Iran versechsfacht.

 

Im Zusammenhang mit einem vermutlichen Anschlag auf Präsident Ahmadinedschad bei einem Besuch in Hamdan Anfang August 2010, den er unverletzt überstand, sprach dieser erstmals von "einer amerikanischen Verschwörung für einen komplexen Krieg" (SZ, 5.8.2010).

 

Ebenfalls Anfang August 2010 meldete die iranische Nachrichtenagentur Fars, Iran solle in Kürze vier hochmoderne S-300-Flugabwehr-Batterien erhalten. Ein entsprechender Liefervertrag besteht seit vielen Jahren mit der russischen Regierung, die sich aber bisher geweigert hat, das Waffensystem nach Iran zu bringen. Laut Fars sollen zwei der Batterien angeblich aus Weißrussland kommen, zu den beiden anderen wurden keine Angaben bezüglich der Herkunft gemacht. Die S-300-Raketen würden das strategische Gleichgewicht im Nahen und Mittleren Osten erheblich verändern, weil sie in der Lage wären, israelische und US-amerikanische Kampfflugzeuge noch vor dem Abwurf von Bomben auf iranische Atomanlagen abzuschießen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die angebliche S-300-Lieferung der bei allen Konfliktparteien verstärkt einsetzenden psychologischen Kriegsführung zuzuorden ist, erscheint recht hoch. Regelmäßig präsentiert Iran neue moderne Rüstungsgüter auch aus eigener Produktion, so z.B. Langstreckendrohnen mit bis zu 1000 Kilometer Reichweite.

 

Im Herbst 2010 werden die fünf ständigen Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrates (USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien) zusammen mit Deutschland (P5 plus 1) wieder mit Irans Unterhändler zusammenkommen, um über den Atomkonflikt zu verhandeln. "Es war klar, dass Teheran nicht einfach den Forderungen des Sicherheitsrates nachkommen würde. Die iranische Führung zeigte aber, dass sie kein Interesse an einer weiteren Eskalation hat. Präsident Ahmadinedschad will weiterhin, nicht zuletzt aus innenpolitischen Gründen, mit den USA ins (politische) Geschäft kommen", schrieb Volker Perthes am 5.8.2010 in der SZ.

 

Im Mai 2010 kam es zum so genannten "Teheran-Abkommen", das Brasilien und die Türkei vermittelt hatten. Darin erklärte sich Teheran bereit, in einem Tausch 1200 Kilogramm niedrig angereichertes Uran gegen Brennelemente für einen Forschungsreaktor in Teheran in die Türkei zu bringen. Der "P5 plus 1-Gruppe" ging dieser Kompromiss nicht weit genug - kurze Zeit später wurden verschärfte UN-Sanktionen verhängt. Dennoch kündigte die iranische Führung nicht wie angedroht das "Teheran-Abkommen" auf und erklärte sich zum Dialog im Herbst 2010 bereit.

 

Während Iran als Regionalmacht anerkannt werden möchte, fokussiert sich die "P5 plus 1-Gruppe"

auf die Forderung, Iran müsse die (hohe) Anreicherung von Uran einstellen.

Volker Perthes, Berater der Bundesregierung, sieht Auswege aus der  Eskalations-Spirale, wenn neben der eindimensionalen Fixierung auf die Nuklearfrage durch die "P5 plus 1-Gruppe" mit der Führung in Teheran auch über Fragen der regionalen Sicherheit, über Afghanistan, Drogenhandel, Piraterie, die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und akademischen Austausch verhandelt würde, ebenso über Menschenrechtsfragen.

 

4. Zur Politik Libanons

 

Im Herbst 2009 hat die Führung der Hisbollah erstmals eine "Abschreckungsdoktrin" vorgelegt. Kerngedanke ist, dass durch die eigenen Raketen ein neuer Krieg mit Israel verhindert werde, weil trotz der nicht geleugneten eigenen militärischen Unterlegenheit die israelische Gesellschaft im Falle eines Krieges nicht in der Lage wäre, Opfer und Misserfolge zu verkraften. Diese wirksame Abschreckung werde Netanjahu von einem neuem Krieg abhalten, so die Argumentation der Hisbollah.

Legitimiert wird deren Bewaffnung, die schlagkräftiger als die der gesamten libanesischen Armee ist, u.a. damit, dass nach wie vor libanesisches Territorium von israelischen Truppen besetzt ist. Es handelt sich um die so genannten Shebaa-Farmen im Dreiländereck Libanon-Syrien-Israel, ein etwa 28 Quadratkilometer großes Gebiet.

 

Die Räumung der militärisch wenig bedeutsamen Shebaa-Farmen würde im Hinblick auf eine Deeskalation politisch Sinn machen, weil dieser Vorgang die Hisbollah in ein Legitimationsdefizit hinsichtlich der eigenen militärischen Bewaffnung bringen würde, wird aber u.a. aus Wasser-Ressourcen-Gründen nicht durchgeführt.

Am Fuß der Shebaa-Farmen verläuft die heute verfallene Trasse eines Umleitungskanals, mit dessen Hilfe der Libanon und Syrien ab dem Jahre 1965 die Quellflüsse des Jordans umleiten und Israel so Wasser entziehen wollten. Ebenso findet sich dort ein Abschnitt der Transarabian-Pipeline.

Libanon und Syrien, das im Jahr 2000 offiziell bekannt gab, die Shebaa-Farmen dem Libanon bereits 1951 geschenkt zu haben, erklären beide das Gebiet der Schebaa-Farmen zu einem Teil des Libanons.  Die Vereinten Nationen beschlossen 2005 in einer Resolution, dass das Gebiet der Schebaa-Farmen syrisches Gebiet sei und von Israel besetzt gehalten werde. Israel vertritt die Position, dass die Shebaa-Farmen den 1967 eroberten Golanhöhen angehören, die 1981 völkerrechtswidrig vom israelischen Parlament annektiert wurden. Für Israel ist das Gebiet heute für den Wintersport-Tourismus von Bedeutung. Bis zu 6000 israelische SkifahrerInnen täglich werden in der Wintersaison an den Liften der Shebaa-Farmen gezählt.

 

Nach wie vor überfliegt die israelische Luftwaffe trotz UN-Resolutionsverbotes den libanesischen Luftraum. Wegen eines Baumes, den israelische Soldaten Anfang August 2010 der besseren Sicht wegen am Grenzzaun der Waffenstillstandslinie mit einem Kranausleger fällen wollten, kam es zu einem stundenlangen Feuergefecht, bei dem die israelische Armee Kampfhubschrauber, Artillerie und Panzer einsetzte und vier Menschen ihr Leben verloren: ein israelischer Soldat, zwei libanesische Reserveoffiziere und ein libanesischer Journalist.

Der schwere Vorfall zeigte, wie ein relativ unbedeutsames Ereignis die spannungsgeladene Grundsituation sehr schnell eskalieren lassen kann. Offensichtlich haben die seit 2006 stattfindenden regelmäßigen Treffen zwischen israelischen und libanesischen Militärs auf Einladung der UNIFIL, welche die Gespräche und Beratungen u.a. über die vielerorts nicht festgelegte Grenzziehung zwischen Israel und Libanon moderiert, noch immer nicht zu einer Entspannung der bilateralen Beziehungen beigetragen. 

 

Die Hisbollah war nicht an dem Vorfall beteiligt, versuchte allerdings politisch Kapital daraus zu schlagen, in dem deren Chef Nasrallah die bedingungslose Unterstützung der libanesischen Streitkräfte bei künftigen Vorfällen durch die Kampfkraft der Hisbollah betonte. Diese sinnt noch immer auf Rache für die Ermordung ihres Militärstrategen Imad Mognieh in Damaskus im Jahre 2008, weil sie die Mörder in den Reihen des israelischen Geheimdienstes Mossad vermutet.

 

Im Herbst 2010 wird die Anklageerhebung des UN-Sondertribunals wegen der Ermordung des libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri im Jahre 2005 erwartet, wobei auf die Hisbollah starke Verdachtsmomente gefallen sind. Saad Hariri, sunnitischer Regierungschef und Sohn des ermordeten Rafik Hariri, steht vor der Wahl, entweder mit dem UN-Sondertribunal voll zu kooperieren oder die libanesische Regierung, in deren Kabinett auch zwei Minister der Hisbollah ihre Aufgaben verrichten, in ihrem Fortbestand zu gefährden. Um diese Zerreißprobe für den Libanon zu entschärfen, könnte es hilfreich sein, die Verdächtigen persönlich mit Namen, jedoch ohne Betonung der Organisationszugehörigkeit vor Gericht zu stellen. Entschärfend für die Innen- wie Außenpolitik des Libanon könnte es sich auch auswirken, wenn es gelänge, das starke militärische Potential der Hisbollah in die libanesischen Streitkräfte zu integrieren.

 

Im Falle gezielter Angriffe Israels zur Zerstörung des umfangreichen Raketenpotentials der Hisbollah

würde diese mit großer Wahrscheinlichkeit versuchen, sowohl ihre iranischen Fateh-110 als auch die syrischen M-600 Raketen auf Israel abzufeuern. Die israelische Regierung beschuldigte Damaskus im April 2010 sogar, Scud-B-Raketen an die Hisbollah geliefert zu haben, die Städte und Dörfer nicht nur im Norden Israels, sondern vermutlich auch Tel Aviv treffen könnten.

 

Schwieriger einzuschätzen ist, wie sich die Hisbollah im Falle eines israelischen Angriffs auf Iran verhält. Nasrallah selbst vermeidet jegliche Aussagen, welche Entscheidungen er unter dem Druck Teherans treffen würde. Nach dem Verlust von rund 1200 Menschenleben im Libanonkrieg 2006 auf Seiten der Zedernrepublik -  rund 160 Tote waren es auf israelischer Seite - und Zerstörungen in Höhe von mehreren Milliarden US-Dollar hat die gesamte libanesische Führung kein Interesse an einer erneuten Verwüstung. Würde die Hisbollah öffentlich machen, dass sie z.B. im Falle eines israelischen Iran-Angriffes ihre Raketen auf Israel abfeuern würde, wäre Nasrallah der starken innenpolitischen Kritik ausgesetzt, Irans regionale Machtansprüche auf dem Rücken der libanesischen Bevölkerung auszutragen, deren arabische Sunniten und Christen kein Verständnis dafür hätten, ihr Leben für persische Schiiten zu opfern.

 

Neben dem Druck, dem die Hisbollah von Seiten Teherans ausgesetzt wäre, ihre Raketen als Vergeltung abzuschießen, käme hinzu, dass im Falle eines israelischen Iran-Angriffes das mögliche Ende der Regierung in Teheran auch das Ende der Stärke der Hisbollah bedeuten würde. Die Widerstandsorganisation wäre sowohl von finanziellen wie auch von militärischen Nachschubquellen abgeschnitten und verlöre enorm an Einfluss und Bedeutung. Unter diesem Gesichtspunkt bliebe Nasrallah und der Hisbollah allein schon aus Sorge um das eigene Überlebens kaum eine andere Wahl, als den Verbündeten in Iran beizuspringen und Israel zu bekämpfen (1).

 

Zwischen alle Fronten sind die BewohnerInnen des Dorfes Ghajar im Dreiländereck Syrien, Israel und Libanon geraten. Bei ihnen handelt es sich, da Ghajar bis 1967 zu Syrien gehörte, um mehrheitlich alavitische SyrerInnen, die israelische Pässe haben. Nach dem Rückzug Israels aus der südlibanesischen Sicherheitszone im Mai 2000 wurde das Dorf zunächst von den Vereinten Nationen geteilt. Südlich der Hauptstraße lebten die BewohnerInnen auf israelischem und nördlich der Hauptstraße auf libanesischem Boden. Im Libanonkrieg 2006 besetzte die israelische Armee das Dorf mit seinen 2200 Einwohnern wieder komplett.  Die israelische Regierung verhandelte im Jahre 2010 mit den Vereinten Nationen über die Rückgabe des Teils nördlich der Hauptstraße an Libanon unter UN-Kontrolle. DorfbewohnerInnen selbst wollen "zunächst Israelis bleiben und hoffen auf einen Friedensvertrag, bei dem der ganze Golan samt Ghajar an Syrien zurückgegeben wird" (SZ, 30./31.1.2010).

 

Jüngster Streitpunkt in den israelisch-libanesischen Beziehungen ist die Entdeckung eines riesigen Erdgasfeldes zwischen Haifa und Tyros, dessen 800 Milliarden Kubikmeter Inhalt aktuell einem Marktwert von rund 100 Milliarden US-Dollar entspricht. Die Förderrechte sind umstritten, da Israel in dieser Gegend eine exklusive Wirtschaftszone beansprucht, deren Größe nicht definiert ist und die libanesischen Anteile wegen der nicht geklärten Abgrenzung der Seezonen beider Länder nicht bestimmt werden können. Bis es zu einer praktikablen und konstruktiven Lösung kommt, wie sie z.B. China und Japan mit einem "Abkommen zur Teilung der Profite" bezüglich der Bodenschätze im Bereich der Senkagu-Inseln gefunden haben, dürfte noch einige Zeit vergehen.

 

 

5. Zur Politik von Syrien

 

Bereits im Jahre 1999 waren sich Israel und Syrien bei den Verhandlungen um die Golanhöhen "so nahe gekommen, dass der amerikanische Gastgeber einen Vertragsentwurf verfasste" (2). Dieser wurde durch eine Indiskretion in der Zeitung "Haaretz" vorab veröffentlicht, woraufhin Syrien wegen dieses Vertrauensbruches die Verhandlungen abbrach.

Kernpunkte waren gemeinsame Sicherheits- und Normalisierungsmaßnahmen wie etwa bilaterale Handels- und Wirtschaftsbeziehungen. Es sollte eine israelisch-syrische Wasserbehörde eingerichtet werden. Israels Sicherheitsbedürfnis wollte Syrien durch die Zustimmung zu einer Frühwarnstation auf den Golanhöhen entgegen kommen, die von US- und französischen Soldaten hätte betrieben werden sollen. Bis zum Libanonkrieg 2006 führten syrische und israelische Unterhändler weitere nichtöffentliche Verhandlungen zur Konfliktlösung.

 

Im Falle einer Rückgabe der Golanhöhen würde Syrien bis ans Ostufer des Sees Genezareth reichen. Die Quellen von etwa zehn Prozent des Trinkwassers Israels würden bei einem solchen Friedensschluss unter syrischer Kontrolle stehen, was für Israel ein Problem darstellt.

Während der drei Jahrzehnte amtierende syrische Präsident Hafez al-Assad Kompromisse aufgrund seiner Autorität innenpolitisch hätte leichter durchsetzen können, dürfte es für seinen Nachfolger und Sohn Baschar al-Assad vermutlich sehr viel schwerer werden, solche Kompromisslösungen zu vermitteln.

 

Im Jahre 2007 flog die israelische Luftwaffe einen Angriff auf eine vermutete syrische Nuklearanlage in der Nähe der syrisch-irakischen Grenze, was kurzzeitig die israelisch- syrischen Beziehungen an den Rand eines Krieges brachten.

 

Ende Juli 2010 reiste Baschar al-Assad erstmals nach dem Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon wieder nach Beirut, begleitet vom saudischen König Abdallah, und traf sich mit dem libanesischen Präsidenten Suleiman. Für Baschar al-Assad war es ein Triumph-Besuch, der gleichzeitig den wieder erstarkten Einfluss Syriens gegenüber Libanon symbolisiert.

 

Um ihre eigenen Ansprüche zur Rückgabe der Golanhöhen durchzusetzen und gleichzeitig das Risiko zu minimieren, durch israelische Angriffe geschädigt zu werden, lässt Damaskus nicht nur die Aufrüstung der Hisbollah mittels auf dem Landweg durch Syrien gelieferter Waffen aus dem Iran zu, sondern soll auch selbst aktiv die Aufrüstung der schiitischen Widerstandsorganisation im Libanon betrieben haben. Die SZ berichtete am 14.4.2010: "Demnach entdeckte der amerikanische Geheimdienst im vorigen Sommer, dass Damaskus die Hisbollah mit Raketen großer Reichweite versorgen wollte und bereits Hisbollah-Kämpfer in Syrien im Umgang mit diesen Waffen schulte. Israel soll daraufhin mit der Bombardierung von Zielen sowohl im Libanon als auch in Syrien gedroht haben - was schließlich die besorgte amerikanische Diplomatie auf den Plan rief". Nach einem Besuch des demokratischen Senators John Kerry in Damaskus Anfang April 2010 wurde die noch im Februar 2010 angekündigte Entsendung eines US-Botschafters nach Syrien wieder verschoben.

Beim Besuch des deutschen Außenministers Guido Westerwelle in Damaskus im Mai 2010 wies der syrische Außenminister Walid al-Muallim "den Vorwurf des Raketenschmuggels brüsk zurück, lässt aber auch wissen, solange Krieg und Besatzung herrschten, `wird Syrien nicht die Polizei spielen für Israel´" (SZ, 25.5.2010).

 

Mitte Mai 2010 berichtete die russische Nachrichtenagentur "Itar-Tass", dass Syrien von Russland MiG-29 Kampfflugzeuge und Boden-Luft-Raketen des Typs Pantsir erhalten solle, was sowohl in Washington wie auch in Israel für eine Verstimmung gesorgt haben dürfte.

 

 

6. Zur Politik der USA

 

a) US-Aufrüstungs-Beispiele der Region Naher und Mittlerer Osten

 

Auf verschiedenen Ebenen unterstützt die US-Regierung ihre arabisch-sunnitischen Partner in der Golfregion gegen den stärker werden iranisch-schiitischen Einfluss in der Region.

Bereits im Januar 2010 berichtete die "New York Times", dass die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Bahrein und Kuweit jeweils zwei Batterien mit modernen Patriot-Luftabwehr-Raketen erhalten sollten, um iranische Kurzstreckenraketen abschießen zu können. Im August 2010 nannte das Pentagon auch den Preis der an Kuweit auszuliefernden Patriot-Raketen: umgerechnet rund 700 Millionen Euro.

 

Das Emirat Abu Dhabi kaufte zusätzlich THAAD-Abwehrraketen mit größerer Reichweite, die in der Vergangenheit auch von den USA bereits an Israel und Saudi-Arabien geliefert worden waren.

Von 2005 bis Sommer 2010 lieferten US-Rüstungsfirmen an die Vereinigten Arabischen Emirate Waffensysteme im Wert von rund 10 Milliarden Euro.

 

Ebenfalls im August 2010 wurde bekannt, dass Saudi-Arabien von der US-Regierung 84 F-15-Kampfflugzeuge im Wert von 30 Milliarden Euro kaufen wird. Um Israel zu beruhigen, werden allerdings bestimmte weitreichende Waffensysteme nicht in die für Saudi-Arabien bestimmten Jets eingebaut. Weiterhin möchte die Regierung in Riad mehrere Dutzend Blackhawk-Hubschrauber von Washington erwerben. Seit 2005 haben sich die US-Waffenexporte nach Saudi-Arabien mehr als verdoppelt. Seit den 1940er Jahren hat Saudi-Arabien mehrstellige Milliarden-Beträge in das Militär investiert, Waffen und Ausrüstung kamen zumeist aus den USA (3).

Dank US-Hilfe verstärkt seit Anfang 2010 die saudische Regierung ihre dem Innenministerium unterstellte Spezialtruppe zum Schutz von Häfen, Ölanlagen und Wasserentsalzungsanlagen von bisher 10 000 auf künftig 30 000 Mann.

 

Im März 2010 bestellte die Regierung in Bagdad die ersten 18 amerikanischen F-16-Kampfflugzeuge,

die ab 2013 ausgeliefert werden sollen.

 

Für Israel hat die US-Regierung für das Jahr 2010 mit 2,8 Milliarden US-Dollar so viel Geld beim Kongress beantragt wie niemals zuvor. Mit dieser Summe sollen u.a. drei Raketenabfangprojekte (mit)finanziert werden: Das Iron-Dome-System (Eiserne Kuppel) gegen Kurzstreckenraketen aus dem Gazastreifen und dem Libanon, das Magic-Wand-System (Zauberstab) gegen Mittelstreckenraketen und das Arrow-System (Pfeil) gegen Langstreckenraketen, wie sie z.B. aus Iran abgefeuert werden könnten.

 

Um die Türkei zur Wiederannäherung an Israel zu bewegen, soll Präsident Obama Druckmittel eingesetzt haben: "Obama habe dem türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan gesagt, sollte es in den USA Zweifel am Bündnispartner Türkei geben, könne dies den Verkauf von Waffen an das Land erschweren" (SZ, 17.8.2010).

 

Noch im März 2009 hatte Barack Obama im Wahlkampf den Rüstungskonzernen in den USA den Kampf angesagt: "Die Zeiten, in denen den Rüstungsfirmen Blankoschecks ausgestellt wurden, sind vorbei" (SZ, 10.3.2010).

Im Spätsommer 2010 zeigt sich, dass Barack Obama die Macht und den Einfluss der US-Waffenschmieden, die zu den großen Gewinnern der gegenseitigen Gewaltandrohungen im Nahen und Mittleren Osten zählen, offenbar gewaltig unterschätzt hat, während er offenbar die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten überschätzte.

 

 

b) Zum Verhältnis USA-Israel-Iran

Erhebliche Überzeugungsarbeit wird auf die US-Administration noch zukommen, die israelische Führung von einem Iran-Angriff abzuhalten, der bereits 2008 geplant war und u.a. von US-Verteidigungsminister Robert Gates, damals noch in der Administration von George W. Bush, verhindert wurde. Norman Birnbaum, ehemaliger Professor am Law Center der Georgetown University in Washington D.C., schreibt zu den Motiven von Barack Obama, den alten US-Verteidigungsminister auch zum neuen Pentagon-Chef zu ernennen: „Auf Gates, der ein weiteres Jahr im Amt verbleiben wird, fiel die Wahl deshalb, weil er zusammen mit der seinerzeitigen Außenministerin Condoleezza Rice von Dick Cheneys hartnäckiger Aggressivität und dessen Unilateralismus abgerückt war – und Israel im Jahre 2008 von einem Angriff auf den Iran abhielt“ (4).

 

Seit geraumer Zeit bereitet sich auch die US-Führung auf alle Möglichkeiten vor und baut militärische Kapazitäten für einen möglichen Krieg gegen Iran auf. Am 14. März 2010 berichtete die Zeitung „The Sunday Herald“, Hunderte der "US Bunker buster"-Bomben seien von Kalifornien zur britischen Insel Diego Garcia im indischen Ozean, einem der großen US-Militärstützpunkte, verschifft worden - wahrscheinlich zur Vorbereitung eines Angriffs auf den Iran. „The Sunday Herald“ schrieb, dass im Januar zehn Munitionscontainer auf die Insel gekommen seien. Darunter sollen 387 „Blue"-Bomben gewesen sein, die zur Zerstörung von unterirdischen Bauten benutzt werden können (5).

Im März 2009 beging das Oberkommando der US-Streitkräfte einen politischen Tabubruch und bezeichnete Israel erstmals als bedeutende Nuklearmacht. Im Mai 2009 nannte die US-Staatssekretärin Rose Gottmoeller als fundamentales Ziel der neuen US-Politik, Israel, Indien und Pakistan zum Atomwaffensperrvertrag-Beitritt zu bewegen. Israels Außenministerium bat daraufhin um Klarstellung und konnte diese Forderung kaum glauben.

 

Im Herbst 2009 fand ein außergewöhnlicher israelisch-iranischer Dialog zum Thema Atomwaffen und ihre Abschaffung statt, über den am 23. Oktober 2009 die "Süddeutsche Zeitung" berichtete:

„Erstmals seit 30 Jahren haben Israel und Iran an Gesprächen über eine atomwaffenfreie Zone in Nahost teilgenommen. Die Begegnung fand bereits am 29. und 30. September in Kairo statt. ... Von israelischer Seite handelte es sich um Meirav Zafari-Odiz, zuständig für Rüstungskontrolle bei der Atombehörde. Iran hatte seinen Botschafter bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Ali Ashgar Soltanieh, und einen Botschafter im Ruhestand entsandt. ... Anschließend habe Zafari-Odiz erklärt, dass Israel am Ende eines umfassenden regionalen Friedensschlusses grundsätzlich zu einem Dialog über eine nukleare Abrüstung im Nahen Osten bereit wäre“.

Bis zu wirklich substantiellen Verhandlungen dürfte der Weg noch sehr weit sein:

„Von allen Atomwaffen in der Welt wird man sich des israelischen Arsenals am schwierigsten entledigen können“, prophezeite 1995 der frühere Direktor des Internationalen Stockholmer Friedensforschungsinstitutes SIPRI, Dr. Frank Barnaby (6).

 

c) Israels Politik als Belastung für die USA

Bei seinem Besuch in Israel im Frühjahr 2010 konfrontierte US-Vizepräsident Joe Biden die israelische Führung mit dem Argument, die israelische Siedlungspolitik gefährde zunehmend das Leben von US-Soldaten im Irak und in Afghanistan. Offiziell legte das US-Außenministerium der israelischen Regierung einen Forderungskatalog vor, die Entscheidung zum Neubau von 1600 Wohnungen in Ostjerusalem rückgängig zu machen, dem die Regierung unter Benjamin Netanjahu allerdings nicht nachgekommen ist.

 

Ähnliche Motive wie Joe Biden veranlassten nach Angaben von „Foreign Policy“ bereits im Januar 2010 auch den damaligen Centcom-Chef, US-General David Petraeus, im Pentagon in einer sehr weit reichenden Angelegenheit vorstellig zu werden: Bisher gehören die Westbank und der Gazastreifen zum „US-European-Command“, dessen Kommando-Zentrale sich in Stuttgart befindet. Petraeus sieht - wie Biden - verstärkt die Zusammenhänge zwischen Israels Politik in den palästinensischen Gebieten und den erhöhten Sicherheitsrisiken für US-Soldaten im Irak und in Afghanistan. Deswegen möchte er den Gazastreifen und die Westbank dem von ihm kommandierten Centcom-Bereich zuschlagen, der sich von Kenia bis Kasachstan und von Ägypten bis Pakistan erstreckt (7).

 

Am 6.7.2010 war in der SZ zu lesen: "Die amerikanischen Geheimdienste haben Israel als `strategische Belastung´ für die USA gegeißelt - eine Kategorisierung, die in Jerusalem panikartige Reaktionen ausgelöst hat".

 

Fortschritte im Nahen und Mittleren Osten hin zu einer diplomatischen Lösung der Konflikte wurden bisher u.a. durch die sehr starke israelische Lobby in den USA und Europa verhindert. Diese Israel-Lobby könnte es zukünftig mit einem starken Gegner zu tun bekommen: Der US-amerikanischen Militärlobby, die um das Leben der US-Soldaten im Irak und Afghanistan als Folge der israelischen Politik fürchtet. Dies könnte neue Dynamiken für den gesamten Nahen und Mittleren Osten mit einem offenem Ausgang der sich abzeichnenden Konflikte in Gang setzen.

 

 

Fazit und Ausblick

 

Den Sicherheitsbedürfnissen von Iran und Israel liegen Traumata zugrunde

 

In ihrem Buch „Die iranische Bombe. Hintergründe einer globalen Gefahr“ schreiben die beiden Journalisten der Wochenzeitung „Die Zeit“, Gero von Randow und Ulrich Ladurner:

 

„Der Iran trägt immerzu Trauerflor. Man muss nicht lange suchen, um Gründe dafür zu finden. Ob in dem Kult um Ali und Hussein, den ermordeten Propheten der Schiiten, ob in dem Krieg gegen den Aggressor Irak, ob im Putsch der CIA gegen den Ministerpräsidenten Mossadegh, ob in den Friedhöfen vor den Toren Teherans, ob in den Machinationen (lat.: tückische Anschläge, Umtriebe, Ränke, Anm.: C.R.) der Kolonialmächte, ob in der gegenwärtigen Auseinandersetzung um die Atomenergie, ob in der dauernden Gegnerschaft zu den USA. Wohin auch immer man schaut, überall finden Iraner Beweise für das Unglück, das durch fremde Hand herbeigeführt wird. Der Iran ist übersät mit Hunderttausenden Opfern eines fortgesetzten Verrats, der nicht enden will und nie enden wird, denn er ist eine existenzbegründende Begleiterscheinung des Iran. Es gibt dieses Land, solange es Verrat gibt, ohne ihn scheint es nicht existieren zu können. Oder wie sonst könnte man den tief verankerten Glauben der Iraner erklären, dass draußen vor den Grenzen immer jemand am Werk ist, um ihrem Land zu schaden, dass immer jemand das Land hindert, zur Entfaltung zu kommen? Überall lauern böse Geister, Imperialisten, Kolonialisten, Ausbeuter. Der Iran ist Opfer, war Opfer und wird es immer sein. Nie wird er verstanden sein, nie wird er akzeptiert werden. Darf man so die Gefühlslage einer Nation zusammenfassen? Darf man auf diese Weise vereinfachen? Man darf. Denn um Politik zu machen, müssen Einsichten verdichtet werden“ (8).

 

Keiner der 64 Giftgasangriffe Saddam Husseins auf Iran während des Krieges von 1980 bis 1988 führte zur Anrufung des UN-Sicherheitsrates, was wohl u.a. daran lag, dass die US-Regierung eine Verurteilung ihres Verbündeten Irak vermutlich per Veto verhindert hätte. Die irakischen Giftgasangriffe und die daraus resultierenden enormen Opferzahlen sind einer der Gründe, warum die USA im Iran bis heute als der „große Satan“ bezeichnet wird. Noch immer leiden im Iran mehrere Zehntausend Personen an den Spätfolgen der Giftgas-Einsätze. Gleichzeitig wurde durch diese Ereignisse das Vertrauen Irans in die UNO und speziell in den Sicherheitsrat schwer beschädigt.

 

Ohne Berücksichtigung dieser iranischen Grundbefindlichkeiten von Seiten westlicher Staaten werden Verhandlungen im Atomkonflikt weiterhin scheitern, ohne die Offenheit der iranischen Verhandlungsführer für neue, positive Erfahrungen mit diesen westlichen Staaten ebenso.

 

Auch in Israel spielt die Erfahrung traumatischer Ereignisse in der Frage der eigenen Sicherheitsbedürfnisse eine zentrale politische Rolle.

In seinem Buch „Hitler besiegen. Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss“

schreibt der ehemalige Berater von Shimon Peres, Vorsitzende der Jewish Agency und Sprecher der Knesset, Avraham Burg, Sohn des früheren israelischen Innenministers Josef Burg, über den ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin:

 

„Sein damaliger Kabinettssekretär Arye Naor erklärte, Begin habe sein Kabinett mit folgenden Worten überzeugt, den Libanonkrieg anzufangen: `Sie wissen, was ich selbst und was wir alle unternommen haben, um einen Krieg und Verluste an Leben zu verhindern. Doch in Israel ist dies nun einmal unser Schicksal. Es gibt keine andere Möglichkeit, als selbstlos zu kämpfen. Glauben Sie mir, die Alternative ist Treblinka, und wir haben uns entschieden, dass es kein Treblinka mehr geben wird.´ Zwei Wochen nach Beginn dieses unnötigen Krieges erwiderte der Schriftsteller Amoz Oz darauf in der Zeitschrift Yediot Aharonot: `Hitler ist schon tot, Herr Ministerpräsident ... Immer wieder, Herr Begin, legen Sie vor den Augen der Öffentlichkeit ein merkwürdiges Bedürfnis an den Tag, Hitler wiederzuerwecken, um ihn dann in der Gestalt von Terroristen täglich neu zu töten ... Dieses Bedürfnis, Hitler wiederzubeleben und ihn dann auszulöschen, ist das Ergebnis einer Melancholie, der von Dichtern Ausdruck verliehen werden kann. Unter Staatsmännern aber ist sie ein Risiko, das leicht zu einer tödlichen Gefahr werden kann´“ (9).

 

Nicht nur die derzeitige israelische Regierung ist bereits seit geraumer Zeit versucht, den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad zum „neuen Hitler“ aufzubauen - auch deutsche Presseorgane helfen kräftig mit, diese Parallele und das Feindbild Iran zu schüren.

 

In Deutschland liegt es an einer verantwortungsbewussten, demokratisch gesinnten Gegenöffentlichkeit, Bedingungen für eine zivile Konfliktlösung des iranisch-israelischen Konflikts offen zu halten und allen Versuchen der Kriegshetze und Feindbild-Propaganda entgegen zu treten. Noch immer taucht die nachweislich falsche Behauptung auf, Ahmadinedschad habe gesagt, „Israel müsse von der Landkarte getilgt werden“. Selbst die

Bundeszentrale für politische Bildung hat diese falsche Übersetzung der Rede des iranischen Staatschefs vom Oktober 2005 inzwischen korrigiert (10).

 

 

Den Menschen in Israel ist die Erfüllung der Vision von Avraham Burg zu wünschen:

„Wenn wir aufwachen, wird die Geschichte wieder weitergehen. Das Leben wird zum Leben zurückkehren, und es wird klar werden, dass es unmöglich ist, sich für immer in den Gräben zu verschanzen, die sich zwischen den Friedhöfen erstrecken. Jemand wird erklären: `Das war´s. Es ist vorbei´. Ein anderer wird erklären: `Wir können Hitler besiegen´. Weil es möglich ist, müssen wir es tun. Wir müssen das Tal der Tränen, die Schatten des Todes hinter uns lassen und den Berg der Hoffnung und des Optimismus erklimmen. Wir werden uns erinnern, aber heil sein. Narben haben, aber ganz und ausgeglichen sein“ (11).

 

Die Erfüllung dieser Vision könnte ein Schlüssel dazu sein, den gesamten Nahen und Mittleren Osten – möglicherweise im Rahmen einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit – in eine friedvollere Zukunft zu führen.

 

Wenn die neuen israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen eine Chance

zum Erfolg haben sollen, brauchen sie die breite Unterstützung vieler Staaten, die 

sich als ehrliche Makler für ein Ende dieses Jahrhundertkonfliktes einsetzen.

Die so genannte Internationale Gemeinschaft war bisher eher Teil des Problems

- und mitverantwortlich für die wachsende Kriegsgefahr in der Region. Sie hat aber

auch das Potential, Teil einer gerechten Friedenslösung zu werden.

 

Clemens Ronnefeldt,

Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes

 

Anmerkungen:

(1) vgl. Heiko Wimmen, Hisbollah vs. Israel: Steht ein neuer Nahostkrieg bevor? SWP-Aktuell 56, Berlin, Juli 2010.

(2) Margret Johannson, Der Nahostkonflikt, Wiesbaden 2006, S. 109.

(3) vgl. Bahman Nirumand, Der unerklärte Weltkrieg. Akteure und Interessen in Nah- und Mittelost, Frankfurt 2007, S. 124.

(4) Norman Birnbaum, Gefangener im Weißen Haus, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2/2010, S. 38.

(5) Vgl. http://www.inamo.de/index.php/israel-palaestina.html

(6) Yoel Cohen, Die Vananu-Affäre. Israels Geheimes Atompotential, Heidelberg 1995, aus dem Vorwort von Dr. Frank Barnaby, S. 12.

(7) Vgl.: www.heise.de/tp/blogs/8/print/147255

(8) Gero von Randow und Ulrich Ladurner, Die iranische Bombe. Hintergründe einer globalen Gefahr, Hamburg 2006,  S. 70f.

(9) Avraham Burg, Hitler besiegen. Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss,

Frankfurt 2009, S. 72.

(10) Vgl.: www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Iran/israel.html

(11) Avraham Burg, a.a.O., S. 264.

 

Stand: 1.9.2010

 

 

  

 

 

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