|
„Demokratischer jüdischer Staat“
?
Gerhard Meerpohl
Natürlich ist es schwer, die
Politik eines fernen Staates
und seiner Repräsentanten bei
Beobachtung von aussen sicher
und zutreffend zu beurteilen.
Noch schwerer: Vorhersagen zu
machen. Haben wir ausreichende
und ausreichend zutreffende
Informationen? Sind die wunderlichen
Reden und die Handlungsweisen
von Politikern, zumal von fremden
Politikern wunderlich, oder
wurden sie erst durch mediale
Veränderungen und Verkürzungen
so wunderlich?
In dieser Situation hilft nur,
die zugänglichen Informationen
über lange Zeit hin zu verfolgen,
nach ihren Quellen zu gewichten,
zu einer widerspruchsfreien
Theorie zu ordnen und sich der
Möglichkeit von Falschbeurteilungen
bewusst zu sein.
Aber was israelische Politik
betrifft, so bin ich zu der
(fast sicheren) Überzeugung
gekommen, dass die unterschiedlichsten
Aktionen des Staates Israel,
seiner Institutionen und vieler
seiner Bürger wesentlich dazu
dienen, die nicht jüdische Bevölkerung
aus einem mit fragwürdigen Argumenten
beanspruchten Gebiet heraus
zu ekeln, vollständig zu entfernen,
die Nakba fort zusetzen, weniger
dramatisch und blutig wie 1948,
aber nicht weniger effektiv
und skandalös.
Es ist daher zu erwarten, ein
Friede wird von Israel nur und
erst geschlossen werden, wenn
er dieses Ziel, die ethnische
Säuberung, erreicht oder fördert.
Im Augenblick werden Verhandlungen
über einen Frieden blockiert,
indem von der palästinensischen
Seite die Anerkennung Israels
als „jüdischer und demokratischer
Staat“ verlangt wird.
Alle Welt sieht, dass das Verlangen
- jedenfalls für die Gegenwart
- albern ist. Ein Staat, der
ein Nachbarland für mehr als
vierzig Jahre besetzt, die Nachbarn
unterdrückt und stranguliert,
Angriffskriege führt, seine
Bürger nach rassistischen und
religiösen Kriterien diskriminiert,
der eine Religion und/oder eine
Volkszugehörigkeit als charakterisierend
für das Gemeinwesen bezeichnet,
ist keine Demokratie. Trotz
aller stereotypen Wiederholungen.
Nur die Abwesenheit von Monarchen
und Despoten, nur das Wählen
in regelmässigen Abständen macht
noch keine Demokratie aus.
Und ein Staat, dessen Bevölkerung
zu > 20% nach Selbstbild, Definition
nicht jüdisch ist, kann sich
nicht als jüdischer Staat bezeichnen.
Warum also halten israelische
Politiker so stur an dieser
scheinbar unsinnigen Formel
fest? Nur um die Aufnahme und
Fortsetzung von Friedensverhandlungen
zu verhindern?
Kann es sein, dass der Entwurf
eines jüdischen demokratischen
Staates eines Tages doch verwirklicht
werden soll? Nämlich dann, wenn
und indem das von Israel gehaltene
Territorium soweit von seinen
nicht jüdischen Bewohnern gesäubert
ist, dass es dort niemand mehr
gibt, der in undemokratischer
Weise diskriminiert werden könnte.
Ist nicht ohnehin zu erwarten
(nachdem Israel schon die vorgeschriebene
Fürsorge für die okkupierten
Gebiete und seine Bevölkerung
während der 40 Jahre Besatzungszeit
rechtswidrig vernachlässigte),
dass Israel nach Bildung eines
palästinensischen Staates seine
nicht jüdische Bevölkerung in
das „zuständige“ Staatsgebilde
/ Territorium ausweisen wird?
Erst recht, wenn die Auflösung
der völkerrechtswidrigen jüdischen
Siedlungen in Palästina gefordert
werden sollte.
Und wenn die Welt und die Palästinenser
dieser Formel des „demokratischen
jüdischen Staats“ nicht widersprechen,
etwa, weil die seit 40 Jahren
vergeblichen Friedensbemühungen
doch wieder aufgenommen werden
sollen, könnte nicht ein israelisches
Regime im Brustton der Überzeugung
behaupten, den offen liegenden
Zielen seiner rassistischen
Bevölkerungspolitik sei ja allseits
zugestimmt worden?
Ähnliche Tücke kann der Formel
unterstellt werden, die die
„Anerkennung der Existenzberechtigung
Israels“ zum Inhalt hat. Die
Existenz eines Staates anzuerkennen
ist nur die Anerkennung der
Realität, ist die Grundlage
jeder vernünftigen und humanen
Politik. Aber die Anerkennung
der Existenzberechtigung eines
Staates? Das ist neu.
Und das kann nicht anders gemeint
sein als die Anerkennung der
Berechtigung, ja der Notwendigkeit,
der Verpflichtung zur Gründung
des Staates Israel, auch und
gerade in der gegebenen Art
und Weise, für die Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft.
Würde eine palästinensische
oder arabische Instanz diese
Anerkennung aussprechen, würde
sie als Vertreter der
Opfer die Berechtigung der Täter,
der Zionisten, zur Vertreibung
und Ermordung der einheimischen
Bevölkerung, die Gründung des
Staates Israels, das Führen
der zahlreichen Kriege, die
Besetzung der Westbank und des
Gazastreifens, die Annektierung
der Golanhöhen und Ostjerusalems,
.... absegnen, darüber hinaus
weitere israelische Ansprüche
sanktionieren.
Die Existenz des Staates Israel
innerhalb vereinbarter fester
Grenzen anzuerkennen und seinen
Bestand für die Zukunft zu garantieren,
ist nur recht und billig, wie
die Anerkennung eines palästinensischen
Staates und die Garantie der
Grundlagen für Lebensfähigkeit
und Unabhängigkeit. Die Wahrnehmung
und Anerkennung des mit der
Gründung des Staates Israel
verbundenen Unrechts und Leidens
und die Forderung nach Wiedergutmachung
ebenfalls. Und Verpflichtung,
auch für die deutsche Politik
/ die deutschen Politiker.
| |