Normalisierung oder
Sanktionen?
Michael Warschawski, Alternatives
Informationszentrum, 18. Mai 2009-05-19
Israel ist kein
normaler Staat. Israel ist ein kolonialer
Siedlerstaat, der auf den Ruinen Palästinas erbaut
wurde und durch Enteignung seines einheimischen
Volkes. Deshalb
weigert sich die arabische Welt – und viele andere
Länder in Afrika und Asien – seit Jahrzehnten
Israel anzuerkennen und mit ihm normale
diplomatische, wirtschaftliche und kulturelle
Beziehungen aufzunehmen. Seit den 60er und 70er
Jahren war Normalisierung das Hauptziel der
israelischen Führern d.h. von seinen arabischen
Nachbarn als legitimer Staat akzeptiert zu werden
und normale Beziehungen zu haben. Die anhaltende
aggressive Politikgegenüber den arabischen Ländern (
1956, 1967, 1970, 1975) machten es für die
pro-arabischen Regime unmöglich, die Beziehungen zu
normalisieren, selbst wenn sie ihre Bereitschaft
erklärten, dies zu tun, wie Gamal Abdel Nasser 1955
und später 1970 ( unter der Vermittlung Nahum
Goldmanns, dem Vorsitzenden des Jüdischen
Weltkongresses)
Der ägyptische
Präsident Anwar Sadat war der erste arabische
Führer, der die Belagerung des Staates Israel
durchbrach und zur Normalisierung mit ihm aufrief.
Mit einem dramatischen Schritt tat er dies: er flog
1977 nach Israel und wandte sich an die Knesset mit
einem eindeutigen Angebot der Normalisierung.
Sadats Initiative folgten bald diplomatische
Beziehungen zwischen Ägypten und Israel. Sadats
Anerkennung Israels wurde von vielen in der
arabischen Welt als Verrat angesehen und im Oktober
1981 wurde er ermordet.
Der zweite größere
Schritt hinsichtlich Normalisierung war die
‚gegenseitige Anerkennung’ zwischen der PLO und
Israel, was als die Washingtoner/ Osloer
Prinzipienerklärung (September 1993) bekannt wurde.
In hohem Maße war diese Anerkennung sogar
weitreichender als die ägyptische, weil das pal.
Volk das direkte Opfer der zionistischen
Kolonisierung war, das jetzt den Staat Israel
anerkannte. Dies bereitet den Weg für weitere
Schritte der Normalisierung: 1995 erkannte das
haschemitische Königreich Jordanien den Staat
Israel an und eröffnete sogar eine Botschaft in Tel
Aviv. Ihm folgten Marokko, Tunesien und einige
Golfstaaten mit formellen diplomatischen
Beziehungen.
Die israelische
Reaktion auf diese historische Entwicklung war
jedoch für die arabischen Länder äußerst
enttäuschend, die sich für den Weg der
Normalisierung entschieden hatten: statt eine neue
Seite in der regionalen Kooperation aufzuschlagen,
die sich auf friedliche Koexistenz mit den
benachbarten Staaten gründet, wählten die
verschiedenen israelischen Regierungen systematisch
die Verletzung der unterzeichneten Abkommen mit den
Palästinensern: die Siedlungsaktivitäten in den
besetzten Gebieten wurden mehr. Man demonstrierte so
den totalen Mangel an Vertrauen in den
Verhandlungsprozess mit der palästinensischen
Behörde und schlimmer noch, man begann mehrere
militärische Angriffe gegen den Libanon und last
but not least das Massaker im Gazastreifen im
Januar 2009.
In diesem Sinn war die
Anti-Normalisierungskampagne nicht nur ein
moralischer Fehler, sondern auch ein politischer
Fehlschlag: als kolonial-militaristischer Staat
versteht Israel nur Druck. Es wird sein aggressives
Verhalten nur beenden, wenn es dazu gezwungen wird.
So einfach ist das.
Die internationale
Kampagne von Boykott, Divestment und Sanktionen
(BDS) gegen Israel kann einen ausgezeichneten Rahmen
bieten, um für Normalisierung mit Israel zu
kämpfen. Sein wesentlicher Vorteil liegt darin, dass
er Regierungen, Unternehmen und Bürger gleichermaßen
betrifft und den Umständen angepasst werden. Vom
Abbrechen diplomatischer Beziehungen (wie Venezuela
und Bolivien nach dem Gaza-Massaker) bis zu den
Divestments US-amerikanischer christlicher Kirchen
von israelischen Bildungseinrichtungen, durch
öffentlichen Boykott von Carmel und
Jaffa-Israel-Früchten und Gemüse; vom Boykott des
israelischen Basketball-Teams ( die Wettbewerbe
mussten wo anders stattfinden und ohne Zuschauer)
bis zur Suspendierung der Aufbesserung des
Assoziationsabkommen zwischen der EU und Israel, wie
es vom EU-Rat entschieden wurde.
Der Staat Israel hat
sich selbst außerhalb des Internationalen Gesetzes
gestellt, auch außerhalb der Gemeinschaft der
zivilisierten Länder und als solcher muss er wie ein
ausgestoßener Staat behandelt werden. Dies war
jahrzehntelang der Fall, aber heute kann dies nicht
mehr ignoriert werden. Die normalen Beziehungen mit
Israel zu boykottieren, ist eine Sache
internationaler öffentlichen Wohls, so wie es der
Fall mit Südafrika war, bevor das Apartheidregime
aufgehoben wurde. Boykott schließt alle Gebiete ein:
das diplomatische, wirtschaftliche, finanzielle, den
Sport, die Kultur, den akademischen Bereich. Der
akkumulierte Effekt von verschiedenen
BDS-Initiativen wird in Israel schneller bemerkt
werden, als skeptische Individuen behaupten; denn
Israel ist äußerst abhängig von der Welt und seine
Bürger gegenüber ihrem allgemeinen Image im Ausland.
Im Rahmen der
BDS-Kampagne wurde eine Frage laut: „Wie soll man
mit Organisationen und Einzelpersonen umgehen, die
klar und offen gegen den israelischen Kolonialismus
sind. Sollte es Ausnahmen bei der Boykottpolitik
geben?“ Was dieses Problem betrifft, kann man aus
dem süd-afrikanischen Exil lernen: der Afrikanische
Nationalkongress wusste genau, wie man Freunde und
befreundete Organisationen vom Rest trennt, ohne es
notwendigerweise zu einer Staatspolitik zu machen.
Man zog eine pragmatische Herangehensweise vor, die
Fall für Fall klärte. Eines ist sicher: es würde
falsch sein, der BDS-Kampagne mit einer offenen
Forderung zu begegnen und ein Statement zu machen:
“Nehmt mich aus der Boykottliste.“ Lasst die
Kampagne mit ihren eigenen Mitteln und Wegen
entscheiden, entsprechend den Bedürfnissen der
Kampagne selbst, seiner Einheit und seines
internen Zusammenhalts.
Auch wenn es von großer
Bedeutung ist, eine Allianz und Kooperation mit den
progressiven Israelis zu bilden, die bedingungslos
die BDS-Kampagne unterstützen und die eindeutig die
Normalisierung ablehnen, liegt es an der
palästinensischen ( und arabischen) Nationalbewegung
und der BDS-Kampagne zu entscheiden ob und wann
öffentlich verkündet wird, wo die Boykottpolitik
angewendet wird. Indem ich bei vielen Gelegenheiten
anders behandelt wurde als andere israelische
Aktivisten und Organisationen, habe ich eine
wichtige Lektion gelernt: Nicht alles muss laut und
deutlich verkündet werden, und manchmal kann eine
konstruktive Vieldeutigkeit helfen, gute Politik zu
machen.
(dt. Ellen Rohlfs)
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