Checkpoint Erez:
zurück nach Israel
Gideon Spiro
Nov. 2008 (Auszug
bzw. 3. Teil aus dem Bericht der 3. Fahrt mit
Free-Gaza-Movement ) Gideon Spiro ist der Gründer von Yesh Gvul
– der Wehrdienstverweigerer.
Am Nachmittag verabschiedete ich
mich von der Gruppe, um zum Erez-Kontrollpunkt zu gehen. Ich
musste mich anderthalb Tage früher von der Gruppe trennen, bevor
sie nach Zypern zurücksegelte, weil ich am Freitag (31.11.) an
einem Symposium teilnehmen wollte, das vom Komitee gegen Folter
im Künstlerhaus in Tel Aviv stattfand und zwar im Rahmen einer
Ausstellung „“Schweigen über dem Abgrund“.
Diejenigen, die für die Gruppe
verantwortlich waren, organisierten mir ein Polizeiauto, das
mich zum Checkpoint brachte. Es war die schrecklichste Fahrt
meines Lebens. Der Fahrer fuhr mit wahnsinniger Geschwindigkeit
durch die engen Gassen des Jabaliya-Flüchtlingslager, die
Sirenen heulten unaufhörlich, als ob er einen Staatschef im
Wagen hätte, und für den die Straße frei gemacht werden müsste.
Neben dem Fahrer saß ein bewaffneter Polizist und ein anderer
saß neben mir, damit mir auch ja nichts passiert. Wir fuhren bis
an die Stelle, wohin Fahrzeuge aus dem Gazastreifen fahren
dürfen, ich bedankte mich bei den Polizisten und ging zu Fuß zum
Kontrollpunkt. Es sind etwa 1-2 km, die man zu Fuß gehen muss.
Während die offizielle Politik
„verbietet, mit der Hamas zu reden“, wir hier in Wirklichkeit
ständig mit ihr verhandelt. Der letzte palästinensische
Inspektionspunkt berichtet der israelischen Behörde (ISA) am
EREZ über jede Person, die ankommt, also auch in meinem Fall.
Als ich die entmilitarisierte Zone durchlaufen hatte und am Tor
von Erez ankam, wartete dort schon eine kleine Gruppe, die
meisten UN-Leute, Journalisten, ein paar Palästinenser und ich,
der einzige Israeli. Die Tore des „Inspektionspalastes“ (es ist
tatsächlich ein Bau von erstaunlichen Dimensionen) waren
geschlossen und das ganze Gebiet war von einer mächtigen Mauer
umgeben, die die Botschaft vermittelt: Dies hier kann nur eine
Atombombe zerstören.
Da kam auf einmal ein Palästinenser
auf mich zu, reichte mir sein Handy, um mit jemanden des
israelischen Sicherheitsdienstes zu reden. Der Palästinenser
arbeitete dort nach Befehlen der ISA, die ihn instruiert, wer
reingelassen wird und wer nach Gaza zurückkehren muss.
Die anonyme Stimme fragte nach
meinem Namen, meiner ID-Kartennummer ( reine Bürokratie); denn
sie wussten doch schon alles durch die Information, die ihnen
von der palästinensischen Inspektion vermittelt worden war. Er
hängte auf.
Ein paar Minuten vergingen und der
Palästinenser – mit dem ich wegen der Zeitkürze kein Gespräch
führen konnte – begleitete mich zu einer der Stahltüren, die
sich wie in einem James-Bond-Film wie von alleine öffnete.
Ich befand mich jetzt in einer
großen Halle voll elektrisch funktionierender Türen und
elektronischer Inspektionskabinen. Der palästinensische Arbeiter
bat mich darum, den Reißverschluss an meinem Koffer zu öffnen
und legte diesen auf ein Förderband, das ihn zweifellos in
einen mit Betonwänden verstärkten, verschlossenen Raum
beförderte, falls im Koffer eine Bombe versteckt ist. Das war
das letzte Mal, dass ich ein menschliches Wesen aus Fleisch und
Blut sah. Ab da wurde ich durch Lautsprecher wie in Big
Brother dirigiert – doch hier war es kein TV-Spiel, sondern
eher wie „1984“ in George Orwells Buch.
Die anonyme Stimme aus dem
Lautsprecher gab ständig Instruktionen: ‚Geh zur Tür auf der
rechten Seite, wenn das grüne Licht aufleuchtet. Dann geh in die
Inspektionskabine. Mache die Beine breit und stell sie auf die
Fußmarken auf dem Fußboden, hebe die Hände hoch, nimm alles aus
deinen Taschen und halte sie in der Hand’ Eine Skan-Maschine
ging tastend rund um meinen Körper herum. Ich ging aus der
Kabine. Die Stimme sagte mir, ich solle zur Tür rechts gehen
oder zur Linken, mir gegenüber. Hier war wieder ein grünes Licht
und ich befand mich wieder in einer verschlossenen Kabine und
wartete auf die nächsten Befehle. Ich wartete und wartete. Dann
wurde mir gesagt, ich solle die nächste Tür öffnen . Ich suchte
sie. Die Stimme sag alles und sagte: nicht dort, links oder
rechts – es hängt davon ab, wo man steht. Und nach vielem
Probieren fand ich die Tür und siehe da, ich bin im
Gepäck-Untersuchungsraum und sah wieder Menschen – Gott sei
Dank.
Nun kamdie Gepäcksuntersuchung. Mir
wurde erlaubt, dies zu beobachten – doch nur aus einer
Entfernung von einer Armlänge. Die weibliche Untersuchungsperson
trug weiße Handschuhe und nahm jedes Stück in die Hand, jeden
Socken, jedes Teil der Unterwäsche wurde genauestens untersucht,
ob nicht Explosives in ihnen verborgen war. Selbst meine
Medikamente wurden geprüft, eines nach dem anderen, als ob sie
gewusst hätte, was es genau ist (Wie kommt es, dass es hier
keinen Apotheker oder Arzt gibt, der genau feststellen kann,
dass dies Medikamente sind und keine Explosivstoffe? Welch eine
Schlamperei!)
Die Inspektorin informierte mich,
dass sie den Koffer für eine weitere Inspektion mitnehmen wird –
ohne meine Präsenz. Ich protestierte und verlangte, dabei zu
sein, aber der verantwortliche Offizier für Sicherheit
informierte mich, dass dies die Prozedur sei und nicht anders.
Ich protestierte und sagte ihm, dass genau wie er mir nicht
traut, ich ihm auch nicht traue. Vielleicht legen sie etwas
Belastendes hinein. Seine Antwort war typisch israelisch:
„Machen Sie sich keine Sorgen!“ Wohl denen, die die sich immer
Sorgen machen, sagte ich zu ihm . Sie haben die Macht und ich
habe keine wirkliche Option, mich zu widersetzen, außer
verbal. Der Koffer wurde zur geheimen Kontrolle mitgenommen.
Während ich auf meinen Koffer
wartete, kam der Sicherheitsmann auf mich zu und informierte
mich, dass ich in den Raum zurück müsste, in dem schon die
Körperuntersuchung war, wo man mit mir nur über die
Lautsprecheranlage sprach. Was ist los? Warum noch einmal, wo
man mich doch schon rund herum untersuchte hatte? „Ergänzung“
, nannte er es. Und so befinde ich mich noch einmal in dieser
Untersuchungszelle, wo ich die Beine wieder breit stellen und
die Arme hoch heben musste. Danach musste ich in eine andere
Kabine, in der ich aufgefordert wurde, mich bis auf die
Unterwäsche auszuziehen. „Big Brother“ befahl mir, meine
Kleidung in eine Scanning-Maschine zu legen. Natürlich fanden
sie nichts Verdächtiges. Aber das genügte immer noch nicht. Nach
dem verrückten Gehirn dieser ISA am Erez-Kontrollpunkt glauben
sie anscheinend, ich hätte eine nicht explodierte israelische
Streubombe verschluckt, die die Palästinenser mit mir nach
Israel zurückschicken wollen. So kam also einer der
Sicherheitsinspektoren mit einem Detektorgerät ausgerüstet in
den Raum, mit dem er meinen nackten Körper abtastete. Es wurde
nichts Verdächtiges gefunden.
Nach dieser Untersuchung wurde mir
erlaubt, mich wieder anzuziehen. Mit meiner Kleidung, die bis
vor einem Augenblick noch verdächtigt war – nun an meinem
Körper, wartete ich auf die nächste Lautsprecherinformation, um
die Stahltür zu öffnen. Danach war ich wieder in der
Gepäckuntersuchungshalle.
Wozu diese zusätzliche
Körperuntersuchung? Meiner Meinung nach nur zur Demütigung. Sie
behandelten mich wie einen verdächtigen Palästinenser. Ich bin
wegen der Schikanen voller Hass, auch gegen die, die die
Schikane ausführten und gegen jene, die auf die Idee gekommen
waren, solche Demütigungen durchzuführen. Wenn ich mich
schon nach einer einzigen solchen Prozedur so fühle, dann kann
man sich gut vorstellen, was Palästinenser empfinden, die solch
demütigende Maßnahmen, die nichts mit der Sicherheit des Staates
zu tun haben, Hunderte Male durchmachen müssen . Vielleicht
liegt hier die Quelle für die Bereitschaft, Gürtel mit
Explosivstoffen oder Rohrbomben mit sich zu tragen.
Diese Sicherheitsorgie war Teil
eins meiner Rückkehr nach Israel. Nun wurde mein Pass zur
Einwanderungskontrolle weitergegeben, aber nicht abgestempelt,
also bin ich noch außerhalb Israels. Dann wurde er zur
Grenzpolizeistation befördert. Ich habe aber nicht nur einen
Pass. Ich habe auch einen Weltbürgerpass, der von einer
Organisation ausgestellt wurde, die an eine Welt ohne Grenzen
glaubt. Dieser Pass hatte bei den ISA-Leuten Verdacht erregt,
und sie fotografierten ihn mehrmals. Wie ich später erfuhr,
beförderten sie ihn mit der Bemerkung zur Polizei, dass sie den
Verdacht haben, er sei eine Fälschung. Für ISA-Leute am
Erez-Kontrollpunkt ist ein Weltbürger natürlich sehr verdächtig,
denn nach ihrem Weltbild, das so klein wie das einer Ameise ist,
ist einer, der in einer Welt ohne Grenzen lebt, mindestens ein
Fälscher, wenn nicht etwas Schlimmeres.
Ich wurde darum gebeten, im
Warteraum zu warten, wo ich eine Stunde saß. Plötzlich hörte ich
einen Polizisten von der andern Seite der Halle schreien:
„SAPIRO ( wobei er meinen Namen falsch aussprach) komm hierher!“
Ich tadelte ihn für die Art und Weise, in der er mich ansprach.
Das letzte Mal, dass ich so angesprochen worden war, war vor 55
Jahren als ich ein Rekrut bei der Armee war. Ich wurde einem
anderen Polizisten weitergereicht, der mich davon informierte,
dass ich zur Sderot-Polizei-Station zum Verhör gebracht werde.
Meine Pässe waren in seiner Hand. Ein Bravo der Polizei, die
extra ein Fahrzeug brachte, um den Täter einer wohlbekannten
Verbrecherfamilie direkt zum Polizeiverhör zu bringen!
Ich kam also an der Sderot-Station
um neun Uhr am Abend an und wurde gleich zum diensthabenden
Verhörenden gebracht. Ihm wurden meine Pässe überreicht, auch
die Notiz von der ISA, dass mein Weltbürgerpass wohl eine
Fälschung sei. Der Untersuchungsbeamte, der Command Sergeant
Meir Abergil las mir die Anklage vor: ‚eine Militärorder
verbietet israelischen Bürgern, den Gazastreifen zu betreten’.
Ich bin nicht gezwungen, etwas zu sagen, aber alles, was ich
sage, wird gegen mich angewandt. Wenn ich nichts sage, so wird
dies auch gegen mich verwendet. Bevor ein Verhör beginnt, bin
ich berechtigt, einen Anwalt zu befragen. Der
Untersuchungsbeamte überrascht mich - er ist kühl und sachlich.
Er macht nicht viel Wirbel – eine erfreuliche Überraschung.
Ich nahm mein Recht wahr, einen
Anwalt zu konsultieren. Obwohl ich formell einer kriminellen
Tat bezichtigt wurde, ist es in Wirklichkeit ein politisches
Verhör. Und damit habe ich schon viele Erfahrungen. Meine
Methode ist dann immer, viel zu reden und auf vieles näher
einzugehen, sodass mein Zeugnis oft zu einer politischen Rede
wird - und vielleicht auch den Untersuchungsbeamten
beeinflusst.
Ich habe nicht vor, auf meine
Zeugenaussage näher einzugehen, die über eine Stunde dauerte. Es
ist schon spät und dieser Bericht ist schon länger geworden als
geplant war. Im Wesentlichen konzentrierte ich mich auf die
Tatsache, dass ich eingeladen worden war, als Journalist und als
eine Person, die als Aktivist und als Gegner der Besatzung und
der Absperrung bekannt war, an einer Delegation teilzunehmen .
Es ist die Pflicht eines Journalisten, an Orte zu gehen, wohin
andere Bürger nicht gelangen können.
Was die Militärorder betrifft, so
ist mir nicht klar, wie weit sie universell gilt. Und sicher
gibt es Situationen, wo sie nicht anwendbar ist. Wenn ich
zurück gekehrt wäre, nachdem ich Gilad Shalit getroffen hätte,
dann wäre ich sicher nicht verhört, sondern wäre herzlich
begrüßt worden. Die Anwendung des Befehls hängt also mit der
politischen Sichtweise zusammen und ist deshalb willkürlich. Ich
erklärte dem Untersuchungsbeamten, dass ich für den Zweck des
Verhörs mich als Weltbürger fühle und Gaza deshalb besucht habe,
weil ich gegen kollektive Bestrafung bin, so wie sie Israel über
den Gazastreifen verhängt habe.
Ich erklärte noch ausführlich, dass
nicht nur mein Weltbürgerpass keine Fälschung sei, sondern ein
humanistisches und demokratisches Weltbild ausdrückt. Ich hatte
den Eindruck, dass dieser Punkt den Untersuchungsbeamten
überzeugte, mein Pass sei keine Fälschung . Aber der Erlass der
ISA ist stärker als jede logische Erklärung. Der Pass blieb also
zur „Überprüfung“ bei der Polizei. Am 12. November wurde mir
mitgeteilt, dass es keinen Grund gebe, ihn mir nicht zurück zu
geben. Ich bat darum, ihn mir zu schicken. Man bestand aber
darauf, dass ich ihn selbst hole ..
Nach dem Verhör wurde ich gegen
Kaution entlassen und mit der Auflage, den Gazastreifen in den
nächsten 30 Tagen nicht zu besuchen. Ich kam gegen Mitternacht
nach Hause. Dies war der zweite Teil meiner Rückkehr nach
Israel.
Am nächsten Tag konnte ich
planmäßig am Symposium im Künstlerhaus in Tel Aviv teilnehmen.
Schlussgedanke:
Ich bin sehr zufrieden, dass ich die Ehre hatte, Teil einer
humanitären Delegation zu sein, die eine zweite Reise ansetzte,
um die israelische Absperrung des Gazastreifens zu durchbrechen.
(Jeff Halper, Vorstand von ICAHD nahm an der zweiten Reise
teil) Hilfe für 1,5 Millionen belagerter Menschen ist wichtiger
als eine Militärorder. Und nebenbei: in einem demokratischen
Staat darf ein General nicht Zivilisten Befehle geben. Das ist
ein weiteres Beispiel dafür, dass Israel keine normale
Demokratie ist. ….
(dt. und gekürzt Ellen Rohlfs --
ich frage mich, wenn schon ein Israeli solche Demütigungen und
Schikanen bei der Grenzkontrolle durchmachen muss – was müssen
dann Palästinenser, die nicht als Menschen sondern als
„Terroristen“ angesehen werden, durchmachen?) |