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Nur
eine einfache Demonstration
Orna Coussin, Haaretz, 28.4.06
Eine alte Frau um die 70 läuft auf
die Soldaten zu. Sie fürchtet, dass sie ihren Enkel fassen und
verhaften. Sie weiß, wenn er verhaftet wird, dann endet es nicht
gut. Er würde nicht entlassen und nach ein oder zwei Nächten nach
Hause geschickt werden. Auch wenn er gar nichts getan hat, was eine
Verhaftung rechtfertigt – alles was er tat, war mit Dutzenden von
andern in einer Demonstration zu gehen und Protestlieder zu singen –
es könnte damit enden, dass er Monate lang im Gefängnis sitzen
muss. Die Frau schreit die Soldaten an, aufzuhören, ihn los zu
lassen, sie schreit, sie weint, sie nimmt einen ihrer Schuhe und
droht damit, sie zu schlagen. Die Soldaten stoßen sie weg und
schlagen sie grob.
Meine Freundin S: nahm am Samstag an
einer Demo in den südlichen Bergen Hebrons teil. Sie sagt, dass
dieser Anblick, wie Soldaten, Polizei, und Grenzpolizei eine alte
Frau beiseiteschieben und schlagen, hat sie entsetzt hat. Obgleich
S. eine alte, engagierte Demonstrantin mit einem dicken Fell ist,
machte sie eine Demonstration, die auf ihrem Höhepunkt mit Gewalt
endet, wütend.
Es war nur eine einfache Demo. Die
Demonstranten – etwa 15 Israelis und 15 Leute aus verschiedenen
Ländern, die sich den etwa 80 Palästinensern angeschlossen haben,
liefen vom kleinen Dorf Tawaneh auf die Straße 317 zu und sangen
Protestlieder gegen den Bau einer „Betonmauer“, die entlang der
Straße gebaut werden soll. Diese Mauer würde die Isolierung von etwa
3000 Palästinensern bedeuten, die in 18 kleinen Dörfern und Höhlen
südöstlich der Straße leben. Die Mauer wird sie daran hindern, die
nächste Stadt Yata zu erreichen, die sie mit Gesundheitsdienst,
Bildung und auch mit Wasser durch Wassertanks versorgt. Sie wird sie
auch von Weideflächen trennen, die für ihren Lebensunterhalt
notwendig sind. Die Höhlenbewohner gehören schon zu den Ärmsten in
der Region. Zusätzliche Beschränkungen ihrer Existenzmöglichkeiten
werden ihre Situation nur noch schlimmer machen.
Am letzten Samstag sind die
Demonstranten nur etwa 30 Meter gegangen, als Sicherheitskräfte
(Soldaten, Grenzpolizei und Polizisten) begannen, sie beiseite zu
schieben, zu stoßen und zu schlagen. Sie grabschten fünf Israelis
und stießen sie mit Gewalt in ein Fahrzeug. Bald danach, begannen
sie damit, Palästinenser, die unter den Demonstranten waren zu
verhaften.
Wenn israelische Demonstranten
verhaftet werden – so erklärt meine Freundin, die Veteranin von
Demonstrationen – werden sie nach dem zivilen Rechtssystem
verhältnismäßig schnell wieder entlassen. Wenn jedoch Palästinenser
bei einer Demo verhaftet werden, werden sie nach militärischem
Rechtssystem behandelt, und es ist sehr gut möglich, dass sie dann
für eine sehr lange Zeit in Haft sind, auch wenn sie schließlich
ohne Anklage entlassen werden. Wenn die Polizei Palästinenser bei
einer Demonstration verhaftet, ist es deshalb in den Augen der
Demonstranten eine besonders gewalttätige und gefährliche Maßnahme.
Die Frau reagierte deshalb mit herzzerreißenden Schreien, weil sie
um ihren verhafteten Verwandten Angst hatte.
Die Armee rechtfertigt das
gewaltsame Abbrechen der Demonstrationen und das Brechen des
Widerstandsgeistes der armen Bevölkerung der südlichen Hebroner
Berge, indem sie sog. „Sicherheitserwägungen“ vorschieben. Nach
Ansicht der Soldaten kann eine alte Frau, die gegen die Enteignung
ihres Landes und die Zerstörung ihres Lebens demonstriert, eine
Selbstmordattentäterin sein. Deshalb sollte sie nicht wie ein
menschliches Wesen behandelt werden.
Mir wurde schlagartig klar, dass
dies die Verkörperung von grausamem Rassismus ist: die Tatsache,
dass unser Land keinen Unterschied zwischen Menschen mit den
grundlegendsten Bedürfnissen und Terroristen macht; die Tatsache,
dass unser Land keine Demonstrationen duldet und erlaubt; die
Tatsache, dass politische Organisation und der Versuch, Protest
auszudrücken, in unserm Land als Gefahr für seine Existenz
betrachtet wird. Ein rassistischer und grausamer Staat ist einer,
der armen Leuten verbietet, vor Zorn und Angst zu schreien, weil
sie dagegen sind, vom Staat zertrampelt zu werden. Ein moralischer
Staat würde alles tun, um ihnen zu helfen und ihre Situation zu
verbessern.
(dt. Ellen
Rohlfs) |