"Ich
werde mich an den Kongress in Washington wenden, nicht nur
als Premierminister von Israel, sondern auch im Namen des
gesamten jüdischen Volkes," erklärte Netanyahu bei einem der
Höhepunkte der intensivierenden öffentlichen Debatte in
Israel und den Vereinigten Staaten. J-Street, die linke
amerikanische jüdische Lobby reagierte schnell mit einer
Petition, die besagte: "Nein, Hr. Netanyahu. Sie sprechen
nicht für mich. Benjamin Netanyahu hat ein Mandat, um den
Staat Israel zu repräsentieren. Er hatte kein Mandat, um im
Namen der Juden der Vereinten Staaten zu sprechen."
Innerhalb weniger Tage wurde die
Petition von mehr als 20 000 amerikanischen Juden
unterzeichnet. Sogar Abe Foxman von ADL – einer Säule des
amerikanisch-jüdischen Establishments – forderte verzweifelt
Netanyahu auf, seine Rede abzusagen und den sich
ausbreitenden Flächenbrand zu löschen.
Die Einladung zum Kongress, die Netanyahu selbst hinter dem
Rücken des Weißen Hauses arrangiert hat, brachte die
wachsende Kluft zwischen Israel und der amerikanischen
jüdischen Gemeinde zum Vorschein. Die überwiegende Mehrheit
der amerikanischen Juden tendiert zur liberalen Seite des
politischen Spektrums. Mehrere Generationen amerikanischer
Juden tendierten zur gleichen Zeit dazu, Israel eine tiefe
emotionale Unterstützung zu erweisen, was auch ein Ausdruck
ihres Schuldgefühls war, nicht genügend getan zu haben, um
die europäischen Juden zu retten.
In den frühen 50-ern und 60-ern war es ziemlich leicht für
progressive amerikanische Juden, den Staat Israel zu
unterstützen. Damals besaß er eine internationale Reputation
als ein egalitäres Land, mit der Kibbuzbewegung als
Hauptvorzeigeprojekt.
Aber bereits seit langem finden
die Juden, die alle fortschrittlichen Aspekte und Kampagnen,
sowohl in den Vereinigten Staaten selbst, als auch weltweit,
unterstützen, es schwierig, diese mit dem Unterstützen des
Staates Israel zu verbinden – ja, zunehmend schwieriger, –
mit einem Israel, das die meiste Zeit unter rechten
nationalistischen Regierungen, unter eklatantem Rassismus,
der vom Rand der israelischen Gesellschaft in das Herz des
politischen Establishments drang, stand. Die auf Kosten des
mageren Landes, das den Palästinensern verbleibt, ständig
neu wachsenden und erweiterten Siedlungen und die mit
Bildern von Tod und Zerstörung, die die israelische
Luftwaffe im Libanon und in Gaza zurückgelassen hat
gefüllten Fernsehbildschirme kommen noch hinzu. (freier
übersetzt-Satz zu lang im D.!) Besonders die jüngere
Generation der amerikanisch-jüdischen Gemeinde ist mehr und
mehr befremdet über Israel. Einige von ihnen drücken es
durch offene Kritik aus – manchmal sehr schonungslos – .
Viele andere wenden sich langsam ab.
All dies verstärkte sich mit dem Auftauchen von Barak Obama
in der Szene. Die meisten amerikanischen Juden begrüßten
seine Wahl zum Präsidenten mit Enthusiasmus und Freude. Die
Juden waren unter Obamas prominentesten und beständigsten
Unterstützern, sowohl im Jahre 2008 als auch 2012. Im
Gegenzug betrachteten viele in Israel, unter ihnen auch der
von den Israelis, seinen Kabinettmitgliedern und seiner
politischen Partie gewählte Premierminister – von Anfang an
mit Argwohn. Ihr Argwohn entwickelte sich bald zu
Feindschaft, wenn nicht zu totalem Hass.
Im Jahre 2011, mitten in einer hitzigen Konfrontation mit
Obama, gelang es Netanyahu zu dem Kongress eingeladen zu
werden. Zu der Zeit funktionierte dieser Schachzug gut -
Netanyahu erhielt „Standing Ovation“ von den Abgeordneten
beiden Parteien und seine Rede im Kongress verhalf dazu,
Obamas damaligen Versuch, ein israelisch-palästinensisches
Abkommen zu fördern, das auf den Grenzen von 1967 beruht,
zum Scheitern zu bringen. Seitdem ist viel Wasser den
Jordanfluss und den Potomac heruntergeflossen. Netanyahu hat
seine Einmischung in die amerikanische Politik verstärkt und
keine Anstrengungen unternommen, seine starke Unterstützung
für die Republikaner zu verbergen. Die amerikanische Politik
wurde immer polarisierter und die meisten amerikanischen
Juden fanden sich selbst auf der Gegenseite des Pols, wo der
Premierminister der Israelis stand.
Diese Konfrontation hätte vor zwei Monaten ausbrechen
können, dann hätte Obama nicht das amerikanische Veto im
UN-Sicherheitsrat nicht gewählt, als der palästinensische
Resolutionsentwurf zur Abstimmung kam. Aber der Präsident
der Vereinigten Staaten wählte ein anderes Terrain für
seinen Kampf mit Netanyahu: den Iran.
Der Entwurf des Abkommens mit dem Iran ist bereits ziemlich
klar, auch, wenn die Einzelheiten noch nicht ausgearbeitet
wurden: Der Iran wird ein „Schwellenstaat“, der das
Potential besitzt, Nuklearwaffen zu bauen. Aber er wird
diesen letzten Schritt vermeiden und internationale
Beobachtung für die Einhaltung dieser Kondition gestatten.
Selbstverständlich wird keiner von dem Staat Israel, der
erfolgreich den letzten Schritt vor einigen 50 Jahren
bereits getan hat (trotz schwerer Konfrontation mit dem
damaligen Präsidenten John F. Kennedy), verlangen, sein
Atomwaffenarsenal (mindestens 200 Bomben laut Angabe von
Mordechai Vanunu im Jahre 1986) oder die Raketen aufzugeben,
die diese Bomben zu jedem Punkt im Nahen Osten tragen können
und um weiter auszuholen, oder die in Deutschland
hergestellten U-Boote, die tief unter den Gewässern des
Mittelmeers und des Indischen Ozeans fahren und in jedem
Moment diese Raketen abschießen können, die diese Bomben
tragen.
Laut Netanyahu würde dieses
Abkommen, das Obama mit dem Iran zu unterzeichnen
beabsichtigt, ein „schlechtes Abkommen sein, ein
verhängnisvolles Abkommen, ein Abkommen, welches die gesamte
Existenz Israels gefährden würde“ und deshalb „ist es meine
Pflicht, nach Washington zu gehen, mich an den Kongress zu
wenden und alles, was in meiner Macht steht, zu tun, um das
Unterzeichnen des teuflischen Abkommens mit dem Iran zu
verhindern. Ich werde nicht zurückweichen! Ich bin
entschlossen, dorthin zu gehen."
Es scheint ihm gelungen zu sein, den Anhängerkreis des
rechten Flügels in Israel zu überzeugen. Die geplante
Kongressrede wurde zum Fokus der anstehenden israelischen
Wahlkampagne. Die Oppositionsparteien fordern von Netanyahu,
die Rede abzusagen und jetzt schlossen sich auch noch fünf
ehemalige Botschafter, die zu verschiedenen Zeiten den Staat
Israel in Washington repräsentierten, dieser Forderung an.
Aber die rechten Hardcore-Wähler sind weit entfernt davon,
eine totale Konfrontation mit dem Präsidenten der
Vereinigten Staaten und breiten Teilen der amerikanischen
Öffentlichkeit, unter ihnen viele Juden, abzulehnen. Laut
Umfragen vermindert dies nicht die Bereitschaft, für
Netanyahu zu stimmen – sie könnte dadurch zunehmen.
In den Vereinigten Staaten ist die Situation völlig anders.
Netanyahu stellte die demokratischen Senatoren und
Repräsentanten – und die jüdischen Amerikaner, traditionelle
Unterstützer der demokratischen Partei – vor eine
unmissverständliche Wahl, indem er sie zwang, zwischen dem
israelischen Premierminister, der offen die Republikaner
unterstützt, und einem Präsidenten der Vereinigten Staaten
von der demokratischen Partei zu wählen. Hat Netanyahu
realisiert, dass die Wahl, indem er die amerikanischen
Abgeordneten und Juden mit solch einem klaren
Schnitt-Dilemma konfrontiert, auch gegen ihn ausfallen
könnte?
Bei all diesem Riesentheater, behält eine Gruppe, die ein
vitales Interesse hat, an dem, was sich auf dem Capital Hill
abspielt, ein sehr niedriges Profil: AIPAC, die veterane
mächtige Pro-Israel-Lobby. Seit Jahrzehnten unternahmen die
AIPAC-Offiziellen unermüdliche Anstrengungen, um eine
parteiübergreifende Machtbasis im Kongress aufzubauen, so
dass die Unterstützung für die Politik der israelischen
Regierung ständig solide bleibt, unabhängig davon, welche
Partei das Weiße Haus inne hat oder eine Mehrheit in dem
Haus und im Senat hat.
Was fühlen die Menschen von
AIPAC heutzutage – wenn Netanyahu wie ein Elefant im
Porzellanladen alles ramponiert und zerstört, was sie in
Jahrzehnten aufgebaut haben? Ich meine, sie knirschen mit
den Zähnen, wie ein gerissener Anwalt, dessen Klient darauf
besteht, seine Verteidigungsstrategie zu ruinieren und
sabotieren.