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Drei bittere
Wahrheiten zum Israel-Palästina-Konflikt
- 19. März 2015 - Jeff Halper
Der letzte Abend
im Begleitprogramm für die Nakba-Ausstellung in
der Zentralbibliothek Bremen war wieder ein
großer Erfolg und der Wallsaal bis auf den
letzten Platz besetzt. Der Referent des Abends
war Jeff Halper, der von Claus Walischewski kurz
vorgestellt wurde: Halper ist ein in Minnesota
geborener amerikanisch-jüdischer Professor für
Anthropologie, der seit 40 Jahren isralischer
Staatsbürger ist. Er ist Gründer und
unangefochtener Chef der Organisation “Israeli
Comittee Against House Demolition” (ICAHD). Er
hat sich bei verschiedenen Aktionen oft vor die
Planierraupen gesetzt und ist acht mal verhaftet
worden. “Wenn ich Palästinenser wäre, hätte ich
um mein Leben fürchten müssen”, war sein
Kommentar, “aber als Israeli wird man
festgenommen und relativ schnell wieder auf
freien Fuß gesetzt.” Claus Walischewski
appellierte an die Zuhörer und Zuhörerinnen,
reichlich zu spenden und gab den Termin für das
kommende “Rebuilding Camp” vom 19. Juni bis zum
3. August 2015 bekannt, an dem sich Aktivisten
beteiligen können.
Auch wer sich schon gründlich mit der ebenso
komplizierten wie komplexen Materie des
Nahost-Konflikts auseinander gesetzt hat, konnte
an diesem Abend noch viel lernen: nämlich wie es
möglich ist, den Konflikt wirklich auf das
Wesentliche zu reduzieren, um ihn im Kern
verstehen zu können. Dazu nötig waren einige
Landkarten, einige Fotos, eine Menge Humor (!)
und eine bewunderswerte Klarheit und Einfachheit
in der Entwicklung der Problematik. Das
amerikanische Englisch des Referenten war sehr
gut zu versteheh; und das Referat wie auch die
anschließende Diskussion wurden wieder sehr
kompetent von Doris Flack und Claus Walischewski
übersetzt.Es sind, so Jeff Halper, drei bittere
Wahrheiten, auf die sich der Konflikt reduzieren
lässt.
1. Die Zwei-Staaten-Lösung wäre ganz
einfach möglich gewesen - Nach dem
israelisch-arabischen Krieg von 1967 wurde ein
Waffenstillstand und eine Waffenstillstandsline
(die “grüne Linie”) beschlossen, die das
historische Palästina teilte: die Israelis
erhalten 78 Prozent und die Palästinenser 22
Prozent des Landes. Im Jahr 1988, also vor
nunmehr 27 Jahren, erklärte die PLO sich bereit,
die Waffenstillstandslinie von 1967 als die
Grenze zwischen dem Staat Israel und dem neuen
Staat Palästina anzuerkennen. Obwohl die
Palästinenser die Mehrheit der Bevölkerung
bildeten und nach der Rückkehr vieler
Flüchtlinge die Mehrheit noch größer geworden
wäre, waren sie bereit, mit Israel in
Friedensverhandlungen einzutreten und sich mit
nur 22 Prozent des Landes zufrieden zu geben. Es
war ein überaus großzügiges Angebot, um das
unerträgliche Besatzungsregime zu beenden. Im
März 2002 wurde dieser Plan als “Arabische
Friedensinitiative” einstimmig von der
Arabischen Liga und im Juni 2002 einstimmig von
allen 57 Mitgliedern der Organisation
Islamischer Staaten, einschließlich des Irans,
übernommen. Israel wurde der Frieden, die
Anerkennung und eine Normalisierung der
gegenseitigen Beziehungen angeboten, wenn es
sich aus den besetzten Gebieten zurückzieht und
seinerseits einen unabhängigen palästinensischen
Staat mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt
anerkennt. Der Vorschlag für diese
Zwei-Staaten-Lösung wurde von den USA,
Deutschland, der EU und schließlich von der
gesamten Staatengemeinschaft unterstützt. Eine
vom Völkerrecht abgesicherte und von der
Staatengemeinschaft unterstützte Lösung des
Nahost-Konflikts wäre möglich gewesen und ist
immer noch möglich.
Nur ein Land
lehnte ab: Israel. Es sagte 1988 und 2002
kompromisslos “nein” zu den Vorschlagen und war
nicht einmal zu Verhandlungen bereit. Am Abend
vor der Wahl zur Knesset am 17. März 2015 hat
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu es
noch einmal so deutlich wie noch nie zuvor
erklärt: “Es wird keinen palästinensischen Staat
geben.”
2. Israel
schafft “facts on the ground” -
Für die Ablehnung
dieses Israel begünstigenden Angebots gibt es
nur einen Grund, der aber von Israel niemals
offen genannt wurde: Israel will das gesamte
historische Palästina vom Mittelmeer bis zu
Jordan als Land für das jüdische Volk. Jeff
Halper: “Wenn du 100 Prozent des Landes bekommen
kannst, weil du die Macht dazu hast, warum einen
Kompromiss schließen über 78 Prozent?” Als
Anthropologe wäre er, so Halper, daran gewöhnt,
die Dinge von unten zu betrachten und nicht den
Äußerungen von Politikern zu vertrauen. Israel
betreibe seit Jahrzehnten eine Politik der
vollendeten Tatsachen (“facts on the ground”).
Es wären bislang – gegen jedes Völkerrecht – in
den besetzten Gebieten über 200 Siedlungen (die
z.T. inzwischen große Städte sind) gebaut
worden, in denen jetzt 600.000 Israelis lebten.
In vier Jahren würden es eine Million sein. Über
28 Autobahnen würden die Siedlungen miteinander
und mit Israel fest verbunden. Die
palästinensische Bevölkerung sei eingeschlossen
in voneinander getrennte Inseln und aus dem
Gebiet der “Zone C” fast vollständig vertrieben
worden. Den Palästinensern verbliebe heute
faktisch nur noch 38 Prozent der 22 Prozent
ihres besetzten Landes, das dazu noch
fragmentiert wäre in mehr als 70 kleine Inseln,
die von Checkpoints (insgesamt 600) kontrolliert
würden. Das, so Halper, wären die “facts on the
ground”. Sie machen klar, dass Israel eine
Zwei-Staaten-Lösung nicht will.
Falls noch jemand an dieser Absicht Zweifel
hege, sei zusätzlich die Mauer gebaut worden -
“der letzte Nagel im Sarg der
Zwei-Staaten-Lösung”. Bei allem Respekt für die
Mauer, die Deutschland geteilt habe, so Jeff
Halper voller Ironie: “Eure Mauer war vier
Meter, unsere ist acht Meter hoch. Unsere Mauer
ist auch fünf Mal so lang und geht im Zickzack
durch das Land.” Ein Blick auf die Landkarte
zeige, dass die Mauer in Israel “nichts, aber
auch gar nichts zu tun hat mit Sicherheit und
Selbstverteidigung, sondern nur die Absicht
verfolgt, den Palästinensern das Leben in der
Zone C unerträglich zu machen”.
3. Israel und die besetzten Gebiete sind
tatsächlich schon ein Staat – ein
Apartheid-Staat - Israel habe faktisch im
Land des historischen Palästinas schon jetzt
einen Staat vom Mittelmeer bis zum Jordan
geschaffen. Es gäbe in diesem Gebiet nur eine
wirklich Regierung, es existiere nur eine Armee,
eine Währung, ein Autobahn-, ein Wasser- und ein
Elektrizitätssystem. Es wäre allerdings kein
normaler Staat, weil ohne jede internationale
Legitimation. Dieser Staat wäre – in der
präzisen völkerrechtlichen Bedeutung des Wortes-
ein Apartheid-Staat. Jeff Halper, der Israeli
ist, dazu bitter: “Das ist die Lösung, die wir
haben wollen. Wir haben die Macht, wir haben
gesiegt, es ist vorbei. Wir haben das ganze Land
des historischen Palästina und üben die totale
Kontrolle aus. Die Palästinenser leben mehr oder
weniger befriedet auf kleinen Inseln, die wir
ihnen gelassen haben. Wir sind ein erfolgreicher
Apartheid-Staat, denn wir haben immer noch die
internationale Unterstützung, vor allem die der
USA, Deutschlands und der EU.” Israel könne die
internationale Öffentlichkeit immer noch davon
überzeugen, dass seine Politik ausschließlich
seiner Sicherheit und der Selbstverteidigung
gegen den Terrorismus diene. “Aber Israel stellt
den wahren Sachverhalt auf den Kopf”, so Halper.
“Wir sind die viertstärkste Nuklearmacht der
Welt. Wir haben neun U-Boote aus Deutschland
bekommen, die atomwaffentauglich sind. Wir sind
eine Besatzungsmacht seit 50 Jahren. Aber wir
sind Juden, wir sind die Opfer.”
Die Zwei-Staaten-Lösung wäre mausetot. Ein
“Rückbau” der 200 Siedlungen mit ihren
inzwischen 600.000 Siedlern politisch nur um den
Preis eines Bürgerkriegs in Israel, den keiner
will, möglich. Für die Opposition in Israel und
außerhalb Israels bleibe angesichts dieser
“facts on the ground” nur eine sinnvolle
Forderung: Israel müsse sich grundlegend
verändern und zu einem demokratischen,
säkularen, multiethnischen und multikulturellen
Staat werden, der allen seinen Bürgern die
gleichen Rechte garantiert. Weil die
Apartheid-Politik allen westlichen Werten und
allen religiösen Überzeugungen von der
Gleichheit aller Menschen widerspreche.
Wie der Blick durch ein geöffnetes Fenster
offenbart die systematische Politik der
Hauszerstörungen die Politik Israels in den
palästinensischen Gebieten. Jeff Halper
schilderte mit großer Eindringlichkeit und mit
einigen Fotos auf der Leinwand das Schicksal
einer Familie, das hier in einigen dürren Worten
wiedergegeben werden soll. Salim Shawamreh und
seine Frau Arabiya gingen nach ihrer Heirat nach
Saudi-Arabien, wo Salim 10 Jahre als
Bauingenieur arbeitete. Der Osloer
Friedensprozess 1993 ließ die Familie mit ihren
sieben Kindern auf Frieden hoffen; sie kehrten
zurück und kauften ein Stück Land in Anata in
der unmittelbaren Nähe von Jerusalem. Die
Genehmigung für den Bau eines Hauses erhielten
sie nicht. Sie bauten es illegal und erhielten
prompt von den israelischen Behörden die
berüchtigte “order of demolition”, die
Abrissverfügung. Diese kann sofort oder auch
erst Jahre später und dann zu jeder Tages- und
Nachtzeit vollstreckt werden kann. Eines Mittags
im Juli 1998 kam dann die von Soldaten und einem
Bulldozer unterstützte sogenannte Zivilbehörde
und verlangte die Räumung des Hauses innerhalb
einer Viertelstunde. Als die Familie sich
weigerte, wurde sie unter Einsatz von Tränengas
gewaltsam vertrieben, Möbel und die Einrichtung
auf den Hof geworfen und das Haus vom Bulldozer
abgerissen. Das ein Jahr vorher von Jeff Halper
und anderen gegründete ICAHD wurde
benachrichtigt, konnte einigen Protest
organisieren und versuchte, Widerstand zu
leisten. Einige Aktivisten ketteten sich an,
setzten sich vor den Bulldozer, stiegen aufs
Dach. Journalisten, Diplomaten und weitere
Aktivisten wurden benachrichtig. Aber: alles
umsonst. Das Haus wurde abgerissen, aber wenig
später an der gleichen Stelle wieder aufgebaut.
Das ganze wiederholte sich in den folgenden
Jahren sieben Mal! Was die wiederholte
Zerstörung des Hauses für eine Familie, für den
Mann, die Frau und die Kinder an seelischen
Verletzungen aus den Erfahrung des Verlustes,
der absoluten Machtlosigkeit und Erniedrigung
mit sich bringt, schilderte Jeff Halper
sozusagen als Anthropologe. Die
Traumatisierungen wären für immer.
Das Beispiel der Familie Shawamreh steht für
viele. Seit 1967 wurden von den Israelis 60.000
palästinensische Häuser abgerissen. Der vom
ICAHD organisierte und inzwischen international
unterstützte Wiederaufbau von vielen Häusern
habe zwar nur letztendlich symbolischen
Charakter, wäre aber sehr wirksam. Denn die
Zivilbehörde und die Armee fürchteten würden
nichts mehr als die Öffentlichkeit und den
öffentlichen Protest fürchten.
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