Noch ein Acre*
und noch eine Ziege
Amos Gvirtz, 5.5.10
Während meiner Kindheit in den
50er-Jahren hörte ich noch das Echo der Argumente ( aus der
vorstaatlichen Zeit) zwischen der zionistischen Arbeiterbewegung
und der zionistischen Bewegung. Die Leute der Arbeiterbewegung
kritisierten die zionistische Rechte, dass sie die Absicht der
zionistischen Bewegung erklärte, sie wolle das Land Israel erben.
Sie behaupteten, dass diese Erklärungen, den arabischen Widerstand
gegen das zionistische Unternehmen auslösen würden. Ihrer Ansicht
nach, sollte der „Staat im Werden“ im Stillen aufgebaut werden, nach
dem Slogan „noch ein Acre und noch eine Ziege.“
Wenn man sieht und hört, was in den
besetzen Gebieten heute vor sich geht, kann man nur feststellen,
dass dieselbe Methode auch unsere Zeit kennzeichnet, zusammen mit
demselben Argument von stiller Aktion und erklärten Absichten. Doch
anstelle von Landkauf wird heute das Land mit Gewalt genommen :
zusammen mit dem Siedlungsbau werden Palästinenser aus ihren Häusern
vertrieben und ihre Häuser zerstört. All dies geschieht in kleinem
Umfang – schließlich hängt unsere ganze Existenz von der
internationalen Gemeinschaft ab, die uns unterstützt. Wenn Israel in
großem Umfang handeln würde, würde die Unterstützung nachlassen.
Nur im Zusammenhang mit einem Krieg erlaubt sich Israel eine massive
Aktion, wie es bei der Operation „Cast Lead“ im Gazastreifen 08/09
war als die IDF 1400 Menschen tötete und mehr als 4000 Häuser
zerstörte.
Wer diesen Dingen in den Nachrichten
folgt, hört von Zeit zu Zeit von kleinen Landenteignungen in der
Nähe von Siedlungen, aus Sicherheitsgründen oder um eine Straße zu
bauen. Die bloße Existenz der Trennungsanlage („die Mauer“) dient
als Mittel des Landraubs. Nach dem Bau der Mauer und nachdem Jahre
vergingen, wird weiteres Land von den palästinensischen Besitzern
genommen – unter dem Vorwand, es sei nicht bewirtschaftet worden.
Es gibt nämlich keine Möglichkeit, es
zu bearbeiten, da vielen Landbesitzern der Zugang zu ihrem Land
jenseits der Mauer nicht genehmigt wird. Und wenn die IDF das Land
nicht enteignet, dann greifen landgierige Siedler palästinensische
Bauern an. Die IDF schützt die Angreifer und vertreibt die Bauern.
Nach drei Jahren, wenn Palästinenser nicht in der Lage waren oder
nicht wagten, ihr Land zu betreten, wird das Land offiziell zu
„Staatsland“ erklärt, weil es nicht kultiviert worden sei.
Genau so ist es mit den
Hauszerstörungen: zunächst „konfiszieren“ sie das Gewähren von
Baugenehmigungen für die Palästinenser, in dem sie dem
Palästinensischen Bau- und Planungskomitee die bürgerlichen Rechte
entziehen. Danach gewährten die israelischen Behörden praktisch
keine Baugenehmigungen mehr an Palästinenser. Und als dann Tausende
von palästinensischen Familien keine andere Wahl mehr hatten, als
ohne Genehmigung zu bauen, wurden ihnen Abrissorder zugesandt. Die
Zerstörungen der Häuser wurden nach und nach ausgeführt, so dass die
Medien das Interesse daran verloren.
Die Politik der Vertreibung arbeitet
auf ähnliche Weise. Das permanente Wohnrecht wird Personen
verweigert, die lokale palästinensische Bewohner heiraten, selbst
wenn sie in Zone A ( Pal. Städte) leben, die unter voller
Kontrolle der PA steht. Selbst nach Jahrzehnten der Ehe müssen diese
Ehepartner ohne Residenzrecht alle drei Monate ins Ausland fahren
und dann als Touristen zu ihren Familien zurückkehren. Zuweilen wird
es ihnen gar nicht mehr erlaubt, zurückzukehren. Es scheint, als ob
der Staat Israel wolle, dass diese Familien – mit dem Ehepartner
ohne Residenzrecht - ihre Häuser in den besetzten Gebieten ganz
verlassen.
Und so scheint es, dass wir zu den
vorstaatlichen Zeiten zurückgekehrt sind. Israel hat seine Grenzen
zu den besetzten Gebieten ausradiert, das internationale Gesetz und
die internationalen Normen ignoriert und agiert systematisch, um die
Westbank und die Golanhöhen zu annektieren. Zu diesem Zweck stiehlt
der Staat Land, baut Siedlungen, zerstört Häuser und vertreibt
Menschen.
In den 80ern war das Land empört: dem
Rassisten Rabbi Meir Kahane war es gelungen, in die Knesset zu
kommen. Er verkündete mit lauter Stimme, was Israel so nach und
nach tun wird. Der Schock war groß. Das Gesetz gegen rassistische
Hetze wurde verabschiedet – Kahanes Partei wurde für illegal
erklärt. Wenn ein Gesetz gegen rassistische Aktionen erlassen worden
wäre, würden wir in Gefahr sein, die israelischen Regierungen
außerhalb des Gesetzes zu stellen.
Am Vorabend des Holocaustgedenktages
informierte uns die Schlagzeile der israelischen Zeitung Haaretz von
einer Militärorder, die vom Chef des militärischen Zentralkommandos
erlassen wurde, dass diese die Vertreibung von Zehntausenden von
Palästinensern von der Westbank ermögliche. An dieser Stelle wage
ich etwas sagen, das unter uns eigentlich verboten ist: So begann es
in Deutschland. Sie sprachen über den Transfer von Juden aus Europa.
Erst als ihnen klar wurde, dass dies unmöglich war, entschlossen sie
sich zur „Endlösung“.
In diesen Tagen sind die
Knessetmitglieder eifrig damit beschäftigt, ein Gesetz
herauszugeben, das die Erinnerung der Nakba (die palästinensische
Katastrophe) von 1948 zu verbieten … Das einzige, was jetzt noch
fehlt, ist ein Gesetz, das die Fortsetzung der schleichenden und
anhaltenden Erfüllung aller Komponentn der „Nakba“ verbietet.
* ein Acre =
4046,8qm
amosg@shefayim.org.il
(dt. Ellen Rohlfs)
|