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Meron Benvenisti

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Seit 90 Jahren Einseitigkeit
Meron Benvenisti, Haaretz, 28.7.05

 

Die seltsamste Behauptung, den Abzugsplan zu rechtfertigen, enthält eine interessante Metapher aus der Welt des Tau-ziehens. Diejenigen, die sie anwenden, beschreiben den Plan als eine einseitige Bemühung, um ein kaputtes Vehikel, das als „Palästinensische Behörde“ bekannt ist, aus dem Schlamm der Gewalt zu ziehen und es in die Richtung des Dialoges zu bewegen.

Es ist ein  missglückter Versuch der Verschleierung: der israelische Rückzug aus Gaza geschehe wegen  palästinensischer Gewalt. Man stellt die Evakuierung deshalb lieber  als eine sogenannte einseitige Initiative dar. Der einseitige Aspekt jedoch ist nicht  Sache der Verschleierung oder  Entschuldigung. Er geht vielmehr zu den Ursprüngen der Bemühungen zurück, den einzig richtigen und erprobten Weg  zugehen, der von Israel (und dem jüdischen Jishuv schon vor der Errichtung des Staates) seit 90 Jahren praktiziert wurde  - und von dem man nur eine kurze tragische Periode abgewichen ist: es war die Oslo-Periode und die kurze Zeit danach.

Es ist klar, warum Ariel Sharon  ( und seine Anhänger) den „einseitigen“ Aspekt betonen; denn auf diese Weise zerstört er die letzte Spur des Osloprozesses, der auf Anerkennung der Palästinenser als  legitime Entität begründet war, die ein Kollektiv mit dem Selbstbestimmungsrecht und den Mitteln, dies zu erhalten, vertritt . Die „Einseitigkeit“ ist ein Versuch, das Rad (der Geschichte) in eine Periode zurückzudrehen, in der Israel versuchte, den Palästinensern ihre Fähigkeit zu nehmen, über ihre eigene Geschichte zu entscheiden: man behauptete, dass sie keine legitime kollektive Entität, sondern „Terroristen“ seien.

Aber wie kommt es, dass Gruppierungen, die Sharons Haltung gegenüber den Palästinensern nicht teilen, mit dieser Einseitigkeit einverstanden sind, die jede Bemühung, einen normalen Dialog zwischen  beiden Konfliktparteien zu führen, ablehnen?

Die  allgemein akzeptierte Erklärung ist, dass der Zusammenbruch des Friedensprozesses, die Zurückweisung der ( zum Frieden) ausgestreckten (israelischen) Hand  und der Terror bewiesen haben, dass es keinen Partner gebe oder dass die palästinensische Führung für solch eine Rolle mindestens noch nicht reif  sei. Aber diese Einstellung ist all zu simpel. Wenn die Palästinenser tatsächlich noch nicht bereit wären, wie soll dann schließlich das „Tau-ziehen“ gelingen?

Allgemein  klar ist, dass es keine „einseitigen“ Maßnahmen gibt, sondern das, was einmal als „Dialog des Handelns“ bekannt war. Jede Seite  reagiert auf Maßnahmen der anderen Seite mit einer eigenen Maßnahme und dieses Duell des Blutvergießens geht so lange weiter, bis eine von beiden Seiten erschöpft ist.

Es scheint, dass der Slogan der „Einseitigkeit“, der sich auf das (angebliche) „Fehlen eines Partners“ gründet, bedeutet, dass es nicht mehr nötig ist, sich mit den legitimen Forderungen der anderen Seite auseinander zu setzen und die Anwendung von  - unermesslich größerer – Gewalt durch die israelische Seite  rechtfertigt.

Es ist nicht das erste Mal, dass moderate Kreise, die sich ( sonst) zu Dialog und Frieden bekennen, dem aggressiven Konzept des Zionismus nachgegeben haben, das die Notwendigkeit, mit den Palästinensern einen Dialog zu führen, zurückwies und „einseitige“ Schritte förderte, die die ( tiefe) Kluft der Macht ( und vielleicht sogar die der israelischen Arroganz)  reflektiert.

 

Das bekannteste Beispiel eines Unterstützers für Kompromiss war Arthur Ruppin. Dieser Kompromiss führte bei ihm bis zur  Mutlosigkeit und wegen der Gewalt  zu ideologischem  Zusammenbruch. Als Führer des Brit Shalom unterstützte er die jüdisch-arabische Annäherung und verabscheute Ze’ev Jabotinskys Kriegslust. Der arabische Aufstand  in den späten 30er Jahren führte ihn dahin, an jeder Verhandlung mit den Arabern zu zweifeln und adoptierte eine „einseitige“ Politik. „Was wir bekommen können, ist nicht das, was wir benötigen, und was wir benötigen, können wir nicht bekommen,“ sagte er.

 

Moshe Dayan zitierte gern Ruppin, da seine Bemerkungen zu Dayans Weltsicht passten – ohne ein Partner der ideologischen Krise zu sein, die Ruppin vertrat. Dayan interpretierte Ruppin  in seiner eigenen Weise: „Ich bin gegen jegliche Konzessionen, und wenn die Araber  deshalb einen Krieg wünschen, dann bin ich nicht dagegen.“

 

Und nach langem Gewissenskampf kam Dayans großer Gönner, David Ben Gurion, zur Schlussfolgerung, dass Verhandlungen mit den Arabern unwichtig sind, da es offensichtlich die militärische Macht ist, die letzten Endes entscheidet. Deshalb maß er der Verhandlung mit den Arabern keine Bedeutung zu, sondern richtete seine Bemühungen darauf, die Mandatsregierung zu beeinflussen, dass sie die Juden  begünstigt oder vermittelt. 1949 zögerte er nicht, festzustellen, dass „Frieden  äußerst wichtig sei, aber nicht um jeden Preis“, und wenn wir den Frieden  wollen/ (hinter dem Frieden herjagen) , fordern die Araber einen Preis von uns – Grenzen, oder (  die Rückkehr der ) Flüchtlinge oder beides. Wir werden also ein paar Jahre warten.“

 

Sharon vertritt die klassische „Einseitigkeit“ und er weist auf die lange Geschichte des aggressiven Zionismus für die Rechtmäßigkeit hin, die ihm die Unterstützung des Friedenslagers gewährt, das den Glauben verloren hat und in den Schoß des alten zionistischen Konsenses zurückkehrte. Die direkte Verbindung zwischen der Einseitigkeit und der Aggressivität, die zu Gewalt führt, schreckt Sharon nicht ab.  Im Gegenteil, er erfindet nichts Neues, wie der Historiker Motti Golani schrieb: „ Es passte  der israelischen Führung besser in ihren Plan, den Weg des Krieges zu gehen. Der Weg des Friedens verursachte ihr große Probleme ... in vieler Hinsicht ist es leichter, in den Krieg zu gehen, als die Alternative der Zurückhaltung zu praktizieren und Konzessionen verschiedener Art zu machen.“

 

Es ist immer möglich, der anderen Seite die Schuld für Gewalt zu geben, weil es dort ja „keinen Gesprächspartner gibt“, aber wenn die palästinensische  Gewalt zu einem Alibi für „Einseitigkeit“ wird, wird auch die Entschuldigung aufgedeckt und die Heuchelei wird deutlich. Die Evakuierung aus dem Gazastreifen ist nicht ein Akt, um ein Vehikel aus dem Schlamm zu ziehen, sondern eher eine Reaktion auf  den Sumpf, in den der Initiator und Anstifter selbst gefallen ist. Und es ist nur ein Glied in der Kette von Herausforderungen und aggressiven Reaktionen beider Seiten im Laufe eines mehr als 100 Jahre andauernden Konfliktes.

 

Und was noch bedrückender ist als die Fortsetzung der Gewalt, ist die Tatsache, dass Einseitigkeit noch immer als einigender Faktor ( innerhalb der isr. Gesellschaft) dient und als Entschuldigung für die unkontrollierte Anwendung von Militärgewalt – 100 Jahre nachdem sie erfunden wurde.

 

(dt. Ellen Rohlfs)

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