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Ehemaliger Mossadchef:
„Zum ersten Mal fürchte ich um die Zukunft
des Zionismus
Die Nation Israel galoppiert gerade blind
in Richtung Bar Kochbas Krieg gegen das römische Reich. Das
Ergebnis des Konfliktes waren 2000 Jahre des Exils.“
Von Shabtai Shavit, veröffentlicht am
24.11.14
Seit Beginn des Zionismus im späten 19.
Jahrhundert ist die jüdische Nation im Land Israel in Bezug auf
Demographie und Land trotz des anhaltenden Konfliktes mit den
Palästinensern stärker gewachsen. Uns ist dies gelungen, weil
wir mit Weisheit und List gehandelt haben, anstatt einen
stupiden Versuch zu unternehmen, unsere Feinde davon zu
überzeugen, dass wir im Recht waren.
Zum ersten Mal, seit ich damit begann, mir
meine eigene Meinung zu bilden, bin ich heute wirklich besorgt
um die Zukunft des zionistischen Projektes. Ich bin besorgt
aufgrund der kritischen Massenbedrohungen gegen uns einerseits
und der Blindheit und politischen und strategischen Lähmung der
Regierung andererseits. Obwohl der Staat Israel von den
Vereinigten Staaten abhängig ist, hat die Beziehung zwischen den
beiden Ländern einen bisher nicht gekannten Tiefpunkt erreicht.
Europa, unser größter Markt, ist unser überdrüssig geworden und
steuert auf die Verhängung von Sanktionen gegen uns zu. Für
China ist Israel ein attraktives Hochtechnologie-Projekt, und
wir verkaufen ihnen unsere nationalen Vermögenswerte aus reiner
Profitgier. Russland wendet sich sukzessive gegen uns,
unterstützt und assistiert unseren Feinden.
Antisemitismus und Hass gegen Israel haben
Dimensionen erreicht, die
seit dem Zweiten Weltkrieg unbekannt
waren. Unsere öffentliche Diplomatie und die Pressearbeit sind
kläglich gescheitert, während die der Palästinenser viele
bedeutende Errungenschaften in der Welt erzielt haben. Die
Universitätscampus im Westen, besonders in den USA, sind
Treibhäuser für die zukünftige Führung ihrer Länder. Wir werden
den Kampf um die Unterstützung für Israel in der akademischen
Welt verlieren. Eine wachsende Anzahl jüdischer Studenten wendet
sich von Israel ab. Die globale BDS-Bewegung (Boykott,
Desinvestitionen, Sanktionen) gegen Israel, die auf Israels
Delegitimierung hin arbeitet, ist gewachsen, und ziemlich viele
Juden sind Mitglieder.
In diesem Zeitalter der asymmetrischen
Kriegsführung nutzen wir nicht unsere gesamte Stärke, und das
hat schädliche Auswirkungen auf unsere Abschreckungsmacht. Die
Debatte über den Preis von Milky-Pudding-Snacks und seiner
zentralen Bedeutung im öffentlichen Diskurs beweisen eine
Erosion der Solidarität, die eine notwendige Bedingung für
unsere weitere Existenz hier ist. Die Eile der Israelis, einen
fremden Pass zu erwerben, was auf dem Verlangen nach einer
fremden Staatsangehörigkeit basiert, zeigt an, dass das Gefühl
der Sicherheit bei den Menschen zu bröckeln beginnt.
Ich bin besorgt, dass ich zum ersten Male
Hochmut und Arroganz mit einem nicht geringen messianischen
Denken gepaart sehe, was den Konflikt in einen Heiligen Krieg
umwandelt. Wenn es bisher ein politischer Konflikt war, den
zwei kleine Nationen um ein kleines und definiertes Stück Land
geführt haben, so tun die führenden Kräfte in der religiösen
zionistischen Bewegung törichterweise alles, was sie können, um
ihn in die grausamsten Kriege umzuwandeln, in denen wir mit der
gesamten islamischen Welt konfrontiert sein werden.
Im selben Ausmaß sehe ich auch ein
Sichablösen und einen Mangel an Verständnis für internationale
Prozesse und deren Bedeutung für uns. In seiner Blindheit und
Dummheit drängt dieser rechte Flügel die Nation Israel in die
unwürdige Position von: „Die Nation soll alleine wohnen
(verweilen) und nicht zu den Heiden gerechnet werden“ („Numbers“
23:9).
Ich bin besorgt, weil ich sehe, dass die
Geschichte sich selbst wiederholt. Die Nation Israel ist dabei,
blindlings in einen Zeittunnel bis ins Zeitalter von Bar Kochba
und seinem Krieg gegen das Römische Imperium zu galoppieren. Das
Ergebnis des Konfliktes waren mehrere Jahrhunderte der
nationalen Existenz im Lande Israels, denen 2000 Jahre im Exil
folgten.
Ich bin besorgt, weil, so wie ich die Dinge
verstehe, das Exil nur für den säkularen Sektor des Staates
wirklich angsteinflößend ist, dessen Weltanschauung in der
politischen Mitte und links gelagert ist. Das ist der gesunde
und liberale Sektor, der weiß, dass das Exil die Vernichtung des
jüdischen Volkes symbolisiert. Der Haredi-Sektor lebt nur aus
Gründen der Zweckmäßigkeit in Israel. Im Hinblick auf das Gebiet
sind Israel und Brooklyn dasselbe für ihn. Sie werden weiterhin
als Juden im Exil leben und geduldig auf die Ankunft des Messias
warten.
Im Vergleich dazu glaubt die religiöse
zionistische Bewegung, die Juden seien „von Gott auserwählt“.
Diese Bewegung, die das Land über alle Werte heiligt, ist
bereit, alles zu opfern, sogar zum Preis des Scheiterns und der
Gefahr für den Dritten Commonwealth. Wenn die Zerstörung
stattfinden sollte, werden sie diese aus dem Glauben heraus
erklären, indem sie sagen, wir hätten versagt, weil „wir gegen
Gott gesündigt hätten“. Deshalb werden sie sagen, dies sei nicht
das Ende der Welt. Wir werden ins Exil gehen, unser Judentum
bewahren und geduldig auf die nächste Gelegenheit warten.
Ich erinnere an Menachem Begin, einer der
Väter der Vision eines „Größeren Israels“. Er kämpfte sein Leben
lang für die Erfüllung dieses Traumes. Und dann, als das Tor
sich für Frieden mit Ägypten, unserem schlimmsten Feind,
öffnete, gab er den Sinai – ein ägyptisches Gebiet, das dreimal
größer ist als Israels Gebiet innerhalb der Grünen Linie – um
des Friedens willen auf. Mit anderen Worten, einige Werte sind
heiliger als Land.
Der Frieden, der das Leben und die Seele
wahrer Demokratie ist, ist wertvoller als Land.
Ich bin besorgt, dass große Segmente der
Nation Israel die ursprüngliche Vision des Zionismus vergessen
oder beiseite gelegt haben: die Errichtung eines jüdischen und
demokratischen Staates für das jüdische Volk im Lande Israel.
Keinerlei Grenzen wurden bei dieser Vision definiert, die
aktuelle polemisierende Politik arbeitet gegen sie.
Was kann und sollte getan werden? Wir müssen
ein archimedisches Druckmittel schaffen, das die aktuelle
Verschlechterung aufhält und die Realität von heute unverzüglich
umkehrt. Ich schlage vor, dieses Druckmittel zu schaffen, indem
wir den Vorschlag der Arabischen Liga aus 2002 nutzen, der
teilweise von Saudi Arabien erstellt wurde. Die Regierung muss
die Entscheidung treffen, diesen Vorschlag als Basis für
Gespräche mit den moderaten arabischen Staaten zu nehmen, unter
Leitung von Saudi Arabien und Ägypten.
Zur Vorbereitung dieser Ankündigung sollte
die Regierung drei Dinge tun:
1.
Sie sollte für sich selbst eine
zukünftige Verhandlungsstrategie bestimmen.
2.
Sie sollte einen geheimen Kanal
für den Dialog mit den Vereinigten Staaten einrichten, um den
Plan zu prüfen und im Voraus zu vereinbaren, was unsere roten
Linien sind und welchen Input die Vereinigten Staaten in einen
solchen Prozess investieren wollen.
3.
Sie sollte einen geheimen
amerikanisch-israelischen Kanal für den Dialog mit Saudi Arabien
einrichten, um im Voraus Absprachen über die Grenzen der Themen
zu treffen, die bei den Gesprächen aufkommen werden, und die
Erwartungshaltung koordinieren. Sobald die geheimen Prozesse
abgeschlossen sind, verkündet Israel öffentlich seine
Bereitschaft, die Gespräche auf der Basis des Dokumentes der
Arabischen Liga wieder aufzunehmen.
Ich habe keinerlei Zweifel, dass die
Vereinigten Staaten und Saudi Arabien - jeder aus eigenen
Gründen - positiv auf die israelische Initiative reagieren
werden. Die Initiative wird zu einem Druckmittel, das zu einer
drastischen Änderung der Situation führt. Bei aller Kritik, die
ich in Bezug auf den Oslo-Prozess habe, lässt sich nicht
leugnen, dass, zum ersten Mal in der Geschichte des Konflikts,
fast jedes arabische Land direkt nach Unterzeichnung der
Oslo-Abkommen mit uns Gespräche aufgenommen -, seine Tore für
uns geöffnet und begonnen hat, sich in noch nie da gewesenen
Kooperationen auf wirtschaftlichem und anderem Gebiet zu
engagieren.
Obwohl ich nicht so naiv bin, zu glauben,
dass solch ein Prozess den lang ersehnten Frieden bringen
könnte, bin ich sicher, dass dieser Prozess, der lang und
ermüdend sein wird, zuerst vertrauensbildende Maßnahmen ergeben
kann und später Sicherheitsabkommen, mit denen beide
Konfliktparteien bereit sind, zu leben. Voraussetzung für einen
Fortschritt der Gespräche wird natürlich die Bewahrung der Ruhe
im Sicherheitsbereich sein, zu der beide Seiten verpflichtet
sind. Im Falle eines Fortschritts könnte es sein, dass beide
Seiten vereinbaren, gegenseitige Kompromisse zu prüfen, die den
Plan einer Koexistenz Seite an Seite fördern. Sollte sich
gegenseitiges Vertrauen entwickeln – und unter amerikanischer
und saudi-arabischer Führung sind die Chancen dafür ziemlich
hoch – könnte mit Gesprächen zur vollständigen Lösung des
Konfliktes begonnen werden.
Eine Initiative dieser Art erfordert eine
aufrichtige und mutige Führung, die im Augenblick kaum erkennbar
ist. Aber wenn der Premierminister das Ausmaß der
Massenbedrohung gegen uns in dieser Zeit, die Torheit der
aktuellen Politik und die Tatsache verinnerlicht, dass die
Urheber dieser Politik bedeutende Elemente der religiösen
zionistischen Bewegung und deren verheerenden Konsequenzen sind
- bis hin zur Zerstörung der zionistischen Vision – dann wird
er eventuell den Mut und die Entschlossenheit finden, die
vorgeschlagene Vorgehensweise in die Tat umzusetzen.
Ich habe die obigen Meinungen aufgeschrieben,
weil ich glaube, dass ich sie meinen Eltern schulde, die ihr
Leben der Erfüllung des Zionismus gewidmet haben, meinen
Kindern, meinen Enkeln und der Nation Israel, der ich Jahrzehnte
gedient habe.
Der Autor ist ein ehemaliger Generaldirektor
des Mossads.
Aus dem Englischen übersetzt von Inga Gelsdorf
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