Straubinger Tagblatt - 27. Mai 2006
"Pflanze einen Olivenbaum in deinen Garten"
Julia Bachl
Blühende Bananenplantagen,
betende Menschen und die Betonmauer im Land der Bibel
Pilgergruppe zwischen Gegenwart und Vergangenheit im Heiligen Land
Pflanze einen Olivenbaum in deinen Garten. Das sagte mein Vater
immer, erzählt Reiseleiter Hassan Al-Ahmad während er mit seinen
großen braungebrannten Händen sanft über die süßduftend zartgelbe
Blütenrispe streicht: "Der Olivenbaum ist ein Zeichen des Friedens,
und er bringt Nahrung." Jede Familie im Heiligen Land habe deshalb
einen Olivenbaum im Garten - "Ich auch", sagt der 39-Jährige und
seine dunklen Augen strahlen. Das tun sie immer, wenn er von seiner
Familie erzählt, immer dann, wenn er sich an sie erinnert. Er lässt
den Olivenzweig los. Die Erinnerung an seine Frau Wesam und die drei
Kinder ist oft das Einzige, was ihm über Monate hinweg bleibt. Denn
Hassan ist Palästinenser und kann deshalb trotz kurzer Entfernungen
im Heiligen Land nach Dienstschluss nicht nach Hause fahren. Die
vielen Checkpoints der israelischen Soldaten hindern ihn daran, in
seinem Land dorthin zu gehen, wo er wohnt, wo sein Olivenbaum steht.
Touristen dagegen können sich nahezu frei im Land bewegen, Heilige
Stätten besuchen und sich über betonierte Checkpoints und
Stacheldrahtzäune wundern, blühende Naturparadiese genießen ebenso
wie schmutzige Hinterhöfe begutachten und durch geschlossene und
bunte Souks streifen. Je nachdem, was das Pilgerherz begehrt. Die
24-köpfige Pilgergruppe von Pater Rainer Fielenbach vom
Karmelitenkloster wollte das Land Jesu besuchen, mit den Spuren, die
Christus auf dieser Erde hinterließ und denen, die die Menschen in
seinem Land täglich neu hinterlassen: Israelis und Palästinenser.
Ihr Jeep wirbelt Staub auf
Ein alter Militärjeep düst mit rund 100 Stundenkilometer auf das
Löwentor in der Altstadt von Jerusalem zu. Es ist 28 Grad heiß,
Hassan erklärt uns gerade die Legende zu den zwei 800 Jahre alten
Steinlöwen, als der Jeep wenige Meter vor ihm eine Vollbremsung
hinlegt. Die Reifen quietschen. Beifahrertür und Seitentüren werden
aufgerissen. Vier junge jüdische Soldaten mit Gewehren springen aus
dem Fahrzeug. Sie mustern und zielen auf die herumstehenden
Menschen. Sekunden später steigen die Soldaten zurück in ihren Jeep
und brausen davon. Ihr Jeep wirbelt den Staub der Straße auf.
Einige Meter weiter beginnt die Via dolorosa und Pilger mit großen
Holzkreuzen drängen sich, begleitet von bettelnden Kindern,
verschleierten Frauen mit Plastiktüten, vorbei an immer lächelnden
Händlern die rund zwei Meter breite Gasse zur Grabeskirche hinauf.
Fast gegenüber ist es absolut ruhig, dort im Garten Gethsemane, dort
wo Jesus in der Nacht seiner Verhaftung betete, dort wo die Kirche
der Nationen und 2 000 Jahre alte Olivenbäume stehen, umrahmt von
duftenden Rosensträuchern, die mit Blüten in gelb, rosa, orange und
rot übersät sind.
"Maklube isst man mit Joghurt"
Rosen,
Bougainvillea, blühende Olivenhaine, wilder Hafer, ein süß-würziger
Duft und immer den Blick ins Auge Gottes, den See Genezareth. Die
ersten drei Tage der Pilgerreise führten in die Vergangenheit, zu
den Wunderorten Jesu rund um und auf den See. Sie begannen mit einem
gemeinsamen Gottesdienst am Seeufer, brachten uns zu Fuß durch
blühende Bananenplantagen und wilde Blumenwiesen zu vielen Orten, an
denen Jesu Wunder wirkte.
"Maklube isst man mit Joghurt", erklärt Abeer, reißt das Alupapier
von einem Becher und kippt den Inhalt auf ihren Teller zu Reis,
Hähnchen und Blumenkohl. In der Mitte eines kleinen Raums liegt ein
strahlend weißes Tischtuch am Boden, eingerahmt von sechs alten
dunkelblau gemusterten Matratzen, auf denen wir es uns gemütlich
gemacht haben. Abeer sitzt neben mir, gegenüber lächelt uns Jassir
Arafat von einem vergilbten Poster an. Ihre Mutter kochte den ganzen
Vormittag, um die Pilger aus Deutschland bewirten zu können, erklärt
mir Abeer auf Englisch. Sie konnte nicht helfen, da sie an der
Universität war. Heute stand eine Geschichtsvorlesung auf dem Plan.
Abeer ist 19 Jahre alt, palästinensische Muslima, lebt mit ihren
Eltern und fünf jüngeren Geschwistern am Rande der Stadt Hebron. Die
Eltern seien glücklich und stolz, dass die Touristen ihrer Einladung
gefolgt seien, sagt sie und lädt noch einmal einen großen Löffel
Reis auf ihren Teller. Ihr Zimmer teile sie sich mit der kleinen
Schwester, erzählt Abeer. Welche Musik man in Deutschland höre,
möchte sie noch von mir wissen. Sie liebt die palästinensische
Sängern Alisa, ein Poster hängt über ihrem Bett. Abeer zupft an
einer dunklen Haarsträhne und steckt sie wieder zurück unter das
schwarze Kopftuch. "Noch etwas Joghurt?"
Etwa 140 000 Palästinenser leben in Hebron. In der
Altstadt wohnen abgeschottet von ihnen 400 jüdische Siedler, die von
3 000 Soldaten beschützt werden, Tag und Nacht. "No", die kleinen
schwarzen Augen des jungen Soldaten fixieren Hassan, die Hände
umklammern sein Gewehr. Palästinenser müssen draußen bleiben.
Touristen können sich das Grab des Urvaters Abraham in der Altstadt
gerne ansehen, allerdings erst, nachdem sie zwei Drehkreuze und zwei
Sicherheitstüren passierten sowie außerdem noch zweimal ihren Pass
zwischen Reiseführer, Pilgerbuch und Wasserflasche aus der Tasche
gekramt haben.
"Heiliges Land im Jahr 2 000"
Ein
grauhaariger Mann mit langem Bart kommt lächelnd auf die Deutschen
zu und bietet Ansichtskarten mit dem Schriftzug "Heiliges Land im
Jahr 2 000 an", außerdem schleppt er noch bunte muslimische
Gebetsketten und einige Keramikschüsseln mit sich herum. Die Pilger
seien seit vier Wochen wieder die ersten Besucher, murmelt er auf
arabisch zu Hassan. Vor Freude über die kleinen Einkäufe der
Touristen schenkt er jedem Kunden noch eine weitere Ansichtskarte,
eine zweite Tasse oder einen kleinen Glücksbringer. Um zurück zum
Bus zu kommen, werden Drehkreuze, Sicherheitstüren und
Passkontrollen in umgekehrter Reihenfolge passiert, vorbei an der
jüdischen Siedlung. Fünf junge Männer sitzen dort auf Holzmöbeln im
Schatten eines Olivenbaumes, am Gartentor steht ein jüdischer Soldat
und grüßt uns freundlich. Plötzlich beginnt einer der Männer zu
brüllen. Der Soldat und Hassan schauen hilflos und verwirrt auf den
Siedler. Dieser fuchtelt mit den Händen quer über seine Kehle und
brüllt immer wieder: "Germans, six millions killed, never forget."
Es gibt vieles, was Pilger nach ihrem Besuch im Heiligen Land nie
vergessen werden, die vielen Wirkungsstätten Jesu, das Gedränge auf
der Via dolorosa, die fruchtbare Gegend um den See Genezareth, den
Badespaß am Toten Meer, die Gastfreundlichkeit vieler Menschen und
die acht Meter hohe Mauer um Beth lehem. Junge Mädchen in Uniform
kontrollieren an einem kleinen Tor in der Mauer jeden der passieren
will. Palästinenser kommen nicht raus, Israelis nicht rein, der
Touristenbus hat freie Fahrt. Die 50 000 Einwohner-Stadt wurde von
einer Pilgerhochburg zu einer verlassenen Stadt. Bethlehem, der
Geburtsort Jesu, wurde samt Kirchen, Souvenirläden, Hotels,
Einwohner und Ziegen eingemauert. Das graue Betonmonster hat sich
durch die Landschaft um Bethlehem und in die Herzen der Menschen
gefressen. Bisher verschlang es 1,4 Millionen gesunde Olivenbäume
und pro Kilometer täglich rund 1,6 Millionen Dollar.
"Kaltes Wasser?"
Nach drei Übernachtungen am See Genezareth bezog die
Pilgergruppe ein bereits zweimal zerstörtes und immer wieder
aufgebautes Hotel in Bethlehem. "Kaltes Wasser?", spricht mich ein
kleiner Junge erst in Englisch und dann in Deutsch an. Er steht vor
einem winzigen Geschäft und seine kleinen Hände umklammern eine
Plastikflasche mit Trinkwasser. Er beginnt zu lächeln, als ich in
meiner Tasche nach Geld krame. Er stellt die Wasserflasche auf den
Boden vor seine nackten, schmutzigen Zehen und winkt mich in den
Laden. Dort stapeln sich Cornflakes, Kinder Schokobonbons,
Konservendosen gefüllt mit Ravioli und Aprikosen sowie frische
Pistazien und literweise Trinkwasser in Kanistern und
Plastikflaschen. Außer einem Liter Wasser kaufe ich noch zwei
Packungen Kaugummi. Der Junge strahlt und mit ihm sein Vater, der
Kaugummis und Wasserflasche behutsam in eine weiße Plastiktüte legt.
Beim Hinausgehen folgt der Junge, nimmt seine Wasserflasche vom
Boden und stellt sich wieder vor das Geschäft. Bevor ich die Straße
weiter gehe, greife ich in meine Tüte und halte dem kleinen Araber
eine Packung Kaugummis entgegen. Er lässt die Wasserflasche zu Boden
fallen, nimmt den Kaugummi, schiebt ihn flink in die rechte
Hosentasche und rennt weg. Ein bisschen verwirrt schlendere ich die
Straße entlang weiter. Plötzlich kommt der Junge von hinten
angelaufen, überholt mich und bleibt vor mir stehen. Er lächelt. Mit
der rechten Hand hält er mir einen kurzen blühenden Olivenzweig
entgegen. Julia Bachl
Straubinger Tagblatt – 27.05.2006
Reise
ins Heilige Land
"Lasst uns nach Bethlehem gehen und sehen, was dort
geschehen ist." (Lk. 2,15). Wegen endloser Schikanen durch die
israelische Armee und aus Angst würden kaum mehr Pilger das Heilige
Land besuchen, weiß Pater Rainer Fielenbach. Bis vor fünf Jahren
habe Bethlehem beispielsweise fast ausschließlich von den Touristen
gelebt. Die Abschottung durch den Bau der acht Meter hohen Mauer
bedeute für die Stadt eine wirtschaftliche und menschliche
Katastrophe, macht Pater Rainer deutlich. Pilger sollten sich gerade
von der derzeitigen Situation nicht abschrecken lassen. Eine
zehntägige Pilgerreise ins Heilige Land zu den Heiligen Stätten
sowie zu karikativen Einrichtungen und mit eingeplanter Zeit für
Gespräche mit Einheimischen bietet Pater Rainer Fielenbach in
Zusammenarbeit mit der christlichen Reiseagentur crown-tours
Bethlehem wieder vom 19. bis 28. September an. Weitere Informationen
und das Programm bei Pater Rainer Fielenbach unter Telefon
09421/843713 oder unter karmel.straubing@t-online.de.
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