Oktober 2006
Der Traum bleibt lebendig und das Feuer lodert noch immer -
Der blutige Krieg und die Zeit danach
Liebe Freunde und Freundinnen!
Wir leben noch und sind voller Hoffnung. Wir
suchen nach Wegen, die Hoffnung wach zu halten und Wärme zu finden
inmitten der Trostlosigkeit dieses grausamen, verrückten und
unerklärlichen Krieges. Es war vorher schon schwierig oder gar
unmöglich, ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen, in dem sich
Israel und Palästina befand. Die Situation schien sich zu
verschlimmern, ohne ein Fünkchen Hoffnung. Niemand achtete mehr auf
die alltäglichen Tragödien, die sich in Palästina abspielen wegen
der „demokratischen Wahlen“ die der Westen so dringend wollte. Als
es dann tatsächlich demokratisch zuging, wurde das Ergebnis von
ebendiesen „Demokratiewilligen“ nicht anerkannt. Wir stecken fest –
Juden und Palästinenser. Wir stecken gemeinsam fest, anstatt
gemeinsam zu leben und uns gegenseitig zu ergänzen. Es sieht so aus,
als ob wir uns gegenseitig zerstören wollen. Weil jegliches
politisches, wirtschaftliches und militärisches Gleichgewicht
zwischen beiden Konfliktparteien fehlt, schwindet die Hoffnung auf
ernstzunehmende Verhandlungen zusehends. Auf der einen Seite
militärische Überlegenheit und eine starke internationale Lobby, auf
der anderen Seite Verzweiflung, Enteignungen und vieles mehr. Was
wir wirklich brauchen ist Frieden und Gerechtigkeit. Es gibt keinen
Traum mehr, keine Vision für Israel-Palästina. Haben die anderen
Staaten eine Idee? Eigentlich kennen wir den Weg, aber wir wehren
uns und wollen ihm nicht folgen. Der Weg wurde uns schon von den
Propheten der drei monotheistischen Religionen offenbart. Sie sagen
uns: willst du Sicherheit und Frieden, dann sorge für Gerechtigkeit
und Ehrlichkeit. Es scheint, als wolle niemand diesen Weg. Die eine
Seite möchte Frieden und Sicherheit, aber ohne Gerechtigkeit, die
andere Seite möchte Gerechtigkeit und nichts anderes. So hat eben
niemand irgend etwas von dem, was sie eigentlich wollen.
Nach dem
letzten Krieg zwischen Israel und dem Libanon wurden neue Fakten
geschaffen. Dieser Krieg zerschlug viele alte Ideen und sicher
geglaubte Konzepte, er zerstörte viele Legenden und Mythen und
veränderte viele Überzeugungen. Nun fürchten viele Nationen im
Mittleren Osten um ihr Überleben. Alle müssen nun besonders acht
geben und sehr vorsichtig sein, was die Zukunft anbelangt. Alle
müssen ehrlicher über ihren Unbesiegbarkeitswahn und über nationale
Sicherheit nachdenken. Wir sind völlig erblindet vor lauter
Tapferkeit oder Verzweiflung. Der Eindruck der Unbesiegbarkeit der
israelischen Armee und des Staates Israel wurde zerstört. Und die
Überzeugungund Sicherheit, dass Israel jeden Krieg jenseits seiner
eigenen Grenzen führen kann, löste sich in Rauch auf.
Der
Krieg endete nach 34 Tagen
ergebnislos, außer dass tausende Gebäude zerstört und Millionen von
Menschen auf der Flucht sind. Die Wirtschaft liegt am Boden, viele
Menschen erlitten psychische Schäden, viele israelische Soldaten
ließen ihr Leben und die ganze Region droht ins Chaos zu stürzen.
Nach dieser Apokalypse sind wir wieder am Nullpunkt angelangt: Der
Verhandlungstisch. Hätten wir nicht besser sofort mit Verhandlungen
begonnen, um die beiden Soldaten zu befreien und die
Kriegsgefangenen in Israel loszuwerden? Hier liegt der Hund
begraben. Doch welcher Politiker hat Ohren um zu hören? Nur sehr
wenige, eher haben sie alle ein großes Maul und zerstörerische
Macht. Das konnte nicht klappen. Es stellte sich als kontraproduktiv
heraus. Es ist wie immer: Krieg kann keinen Frieden schaffen. Gewalt
erzeugt immer das Gleiche: mehr Gewalt. Das ist der aller schlimmste
Teufelskreis. Es gibt keine gerechten Kriege. Jeder Krieg ist ein
Krieg.
Ich
hatte am 20. Juli einen Termin in
Korea für eine Konferenz des methodistischen Weltkirchenrats, doch
leider musste ich diese Reise absagen, weil ich meinem Volk
beistehen und seine Ängste teilen wollte. Ich trauerte mit den
Familien, die Angehörige und Freunde im Krieg verloren hatten.
Wie
war die Lage in den MEEI vor, während und nach dem Krieg?
Kurz vor
Kriegsausbruch konnten wir die Abschlussfeier von 300
Schülern und Schülerinnen unseres Gymnasiums begehen. Wir feierten
am 9. Juni auf dem Grundschulhof. Zwei Wochen später konnten wir zum
ersten Mal zwei 8. Klassen unserer Miriam Bawardi Grundschule im
Niwano-Saal verabschieden. Diese Schülerinnen und Schüler begannen
ihre Laufbahn in unserem Kindergarten; nun sind sie die ersten, die
bei uns durchgehend bis zur 8. Klasse unterrichtet wurden. Sie
werden nun auch die nächsten 4 Jahre an unserem Mar Elias Gymnasium
unterrichtet werden.
Die
SchülerInnen und Schüler hatten, wie alle anderen Kinder in Israel,
Sommerferien. Unsere kleinen Unterkünfte wurden von vielen Familien
benutzt, die aus Haifa und aus den Dörfern in Nord-Galiläa geflohen
sind. Die Schule war ein sicherer Ort. Als wir die Gebäude
errichteten, planten wir Bunker und Sicherheitsräume mit ein. Bisher
wurden sie noch nie gebraucht, aber diesmal wurden sie viel genutzt.
Wir fragten uns, ob wir das Schuljahr pünktlich beginnen werden
können. Bis zum Ende dieses teuflischen Krieges konnte nichts in
Ordnung gebracht werden. Unsere Hausmeister, einige Lehrer und
Freiwillige arbeiteten außergewöhnlich hart, um alles für den
Schulbeginn zu richten und um die Kinder zu begrüßen.
Unsere
Lehrkräfte kamen zu einer dreitägigen Konferenz zusammen, um sich
auf die Kinder vorzubereiten, die mit ihren Kriegserfahrungen,
Schocks und Geschichten zur Schule kommen. Einige Kinder würden
sicherlich Geschichten erfinden, übertreiben und ihre Erlebnisse
schildern. Die Lehrer und Lehrerinnen machten sich Sorgen, denn auch
sie hatten ihre eigenen Stories und Erfahrungen mit ihren Familien.
Einige verloren gar ein oder mehrere Angehörige. Wir brauchten große
Hilfe. Wir fanden diese Hilfe, indem wir als Gruppe zusammen waren
und reflektierten, zusammen beteten und schwiegen. Diese drei Tage
waren für uns Erzieher immens wichtig für unser eigenes Wachsen und
Reifen. Alles hat seine Zeit. Es gibt eine Zeit für den Krieg und
auch eine Zeit für den Frieden. Die Zeit für den Frieden hat
scheinbar begonnen.
Am
Morgen des 4. Septembers war es soweit und die Schule öffnete ihre
Pforten. Kindergartenkinder, GrundschülerInnen und Gymnasiasten
kletterten hinauf auf den Berg des Lichts. Während dieser Tage
rannte Abuna, der Erzbischof, zwischen den Schulen hin und her, um
die Lehrer und Lehrerinnen zu ermutigen, die Hoffnung nicht zu
verlieren und sich für eine bessere Zukunft stark zu machen. Am
ersten Tag trafen sich alle MitarbeiterInnen um die gemeinsamen
Elemente für das kommende Schuljahr 2006/2007
zu planen. Am zweiten Tag teilten wir uns in Gruppen auf. Jede
Gruppe arbeitete an ihrem speziellen Stundenplan und den besonderen
Bedürfnissen je nach Altersstufe. Ich bemerkte, dass sie diesen Weg
alleine gehen können. Ich brauche gar nicht immer dabei sein, um die
Schule am Laufen zu halten. Sie legen ein derartiges
Verantwortungsbewusstsein an den Tag, dass ich sie bewundere. Ich
kann leichten Herzens sagen: „ Herr, nun kannst du deinen Diener in
Frieden ziehen lassen.“
Wir sind
den „Pilgrims of Ibillin“ sehr dankbar für unseren neuen
Computer-pool. Er wurde von unseren Technikern eingerichtet. Wir
benötigen immer noch ein weiteres Computerlabor für das Gymnasium.
Dort sind die Computer veraltet und manche funktionsuntüchtig. Bald
müssen wir sie wegschmeißen. Viele Bücher wurden für die Grundschule
angeschafft. Dieses Jahr möchten wir die Bibliothek mit weiteren
arabischen, hebräischen und mit englischen Büchern bereichern.
Wir
müssen uns noch um viele weitere Dinge kümmern, so auch um die
Sportabteilung für die Grundschule und fürs Gymnasium. Bislang sind
wir optimistisch, dass wir nicht mit weiteren Kürzungen im Bereich
Bildung und Erziehung zu rechnen haben. Wir haben eine gute
Bildungsministerin. Sie bemüht sich um eine gute Bildungsqualität.
Abuna hatte die Ehre sie zu treffen. Er hatte den Eindruck, dass sie
sich in besonderer Weise für die Bedingungen der arabischen Schulen
in Israel stark macht und dass sie sich auch für private Schulen wie
die MEEI und andere christliche Schulen einsetzt. Gewiss schäumen
wir nicht vor Freude über. Unsere Erfahrung lehrt, nicht eher zu
tanzen als die Hochzeit tatsächlich statt gefunden hat. Wir
vergessen nicht, dass wir im Land der (leeren) Verheißungen leben.
Sollten wir besser abwarten? Wird die aktuelle Regierung sich halten
können und die Kritik am Krieg überleben? Der Plan für
Bildungsreformen hat sich in Luft aufgelöst. Jetzt gibt es gerade
einen anderen gut gemeinten Plan. Was wird als nächstes kommen? Wir
hoffen, dass die guten Vorsätze bald umgesetzt werden. Wir müssen
die Entwicklungen abwarten.
Neues aus unerer Universität
Auch
diesen Sommer reisten etwa 50
StudentInnen für fünf Wochen nach Indianapolis. Die Berichte, die
wir bekamen, klangen sehr positiv – sogar noch besser als
vergangenes Jahr. Wir sind sehr dankbar für die Hilfe der
Universität von Indianapolis und für die besondere Unterstützung des
Vorstands der ‚Pilgrims of Ibillin‘ in Chicago. Die Erfahrungen, die
die StudentInnen in amerikanischen Familien sammeln konnten, werden
ihr Leben verändern. Sie werden sich immer an Erfahrungen, die
Freude, das Teilen und die Entdeckungen erinnern. Sie reden mehr
über ihre Gastfamilien als über ihre Studien und ihre Erfolge. Sie
hätten genausogut in Ibillin studieren können, doch dann hätten sie
niemals das tägliche Leben einer amerikanischen Familie kennen
gelernt. Dafür möchte ich Gott danken. Danke auch für eure
Unterstützung und für das Teilen eures Lebens mit unseren
StudentInnen.
Zukunftsmusik
für unsere Universität!?
Israel
hat die Schließung aller ausländischen Universitätszweige
beschlossen. Um zu überleben, müssen wir nun zu einer voll
entwickelten, israelischen, akademischen Einrichtung werden. Die CHE
(Concil for Higher Education – Hochschulkonferenz) legte uns nahe,
unseren Status als ausländische Zweiguniversität zu einem
israelischen akademischen Institut zu ändern. Das ist genau das, was
wir von Anfang an wollten, doch wir fanden keine Beachtung. Nun wird
uns ‚Beachtung‘ geschenkt und wir beantragen die Anerkennung zu
einer israelisch akademischen Einrichtung. Die CHE versprach uns
ihren Segen und damit die Anerkennung noch vor Weihnachten. Sind wir
bereits das, was wir werden wollen? Noch nicht! Verprechungen wurden
gemacht, aber wir befinden uns auch hier wieder im Land der (leeren)
Verheißungen. Wenn sie uns wie versprochen anerkennen, werden wir
drei weitere Hauptfächer anbieten; Humanbiologie (pre-med?), Jura
und Bibelkunde. Das würde uns einen großen Schritt voran bringen.
Unsere Beziehungen zu der Universität in Indianapolis soll weiterhin
in besonderer Weise bestehen bleiben. Wir werden die Unterstützung,
die sie uns gaben und immer noch geben, niemals vergessen. Ohne
diese Hilfe wären wir juristisch nicht in der Lage gewesen, diese
drei Jahre zu arbeiten und uns so zu entwickeln. Dieses Jahr hatten
wir die Ehre, zwei Gastprofessoren aus Indianapolis zu begrüßen, Dr.
Roger Sweeta und Dr. Russ Maloney.
Uns
wurden, wie allen ähnlich strukturierten Schulen im Land, viele
verschiedene Versprechungen gemacht. Viele wurden öffentlich
ausgesprochen oder auch privat, doch keine Einzige wurde auch
eingelöst. Es war immer die gleiche Ausrede: Das Geld steht bereit,
aber wir wissen nicht, wie es zu ihnen kommen soll? Das Geld ist da,
aber jemand muss unterschreiben und diese Person ist auf nicht
absehbare Zeit abwesend. Entschuldigungen sind scheinbar schnell zu
finden, aber Wege, die Versprechungen einzulösen, sind immer
unmöglich. Wir stehen da, gehen langsam zu Grunde und alles, was wir
haben, sind großartige Versprechen. Unterdessen brauchen wir Geld,
um die Gehälter unserer LehrerInnen zu bezahlen. Einige Menschen aus
Galiläa und besonders aus Nazareth, die zukünftig als Direktoren
unseres Instituts mitarbeiten sollen, engagierten sich sehr, Geld
bei den Einheimischen zu sammeln. Sie begannen mit ihren eigenen
Taschen. Zum Ende dieses Monats möchten sie mindestens
200.000 Nis zusammen
haben. Mit diesem Betrag könnten wir einige der noch ausstehenden
Gehälter bezahlen.
Abuna
Elias wurde zum Erzbischof von Galiläa. Aber er ist immer noch ABUNA.
Er kann diesen Namen nicht hergeben. Er bat seine Priester, ihn „Abuna
- den Bischof“ zu nennen und nicht ‚Sayedna‘ – „unseren Fürstbischof“.
Er möchte ein Diener bleiben und unterstreichen, dass wir nur einem
Fürsten dienen. Alle Leute kennen ihn als ABUNA. Viele kennen ihn
unter keinem anderen Namen. Immer wenn die Rede ist von Elias
Chacour, Pfarrer Chacour, dem Präsidenten von Mar Elias, denken alle
automatisch an ABUNA. Wir haben zuviele ‚Fürsten‘ in unserer
Gesellschaft. Wir brauchen einen ‚Vater‘ der zu uns gehört. Das
möchte der neue Erzbischof sein. Er hisst die Fahne des Mitleids,
der Liebe und des hoffnungsvollen Lachens.
Zu guter
Letzt möchte ich mich bei all jenen besonders bedanken, die unsere
Gemeinschaft während des letzten Krieges finanziell unterstützten.
Vielen bedürftigen Familien konnte mit Büchern und Schulmaterial
ausgeholfen werden. Wir waren wirklich vor harte Prüfungen gestellt
und wenn wir diese überstehen, dann nur durch die Gnade und Größe
Gottes.
Mit
herzlichen Grüßen
Abuna
Elias Chacour
Erzbischof von Galiläa-Israel
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