Schöne Worte
bringen es nicht
Roland Breitenbach
Die Geschichte von
der Herbergsuche des Heiligen Paares in Bethlehem, das
sein Kind erwartete, ist kein historischer Bericht,
sondern ein literarisches Mittel des Evangelisten Lukas:
Gott hat zu allen Zeiten Mühe, seinen Platz in unserer
Welt zu finden.
Abgewiesen von den
Reichen und Mächtigen bekommt er nach der
Weihnachtsgeschichte erst weit draußen vor der Stadt bei
einfachen Menschen eine mehr als bescheidene Unterkunft.
Aber weil er eben nicht in einem Palast geboren ist,
steht seine Menschwerdung allen, die guten Willens sind,
offen. Matthäus liefert dazu den Beweis: Hirten wie
Könige sind vereint und versammeln sich in einem Stall
vor einem Futtertrog.
Einsame Hirtenfelder
Heute ist es
einsam geworden auf den Hirtenfeldern vor Bethlehem. Die
Pilger bleiben seit sechs Jahren aus. Was die Stärke des
Islam ausmacht, fehlt offenbar den Christen:
Solidarität. Die Minderheit der Christen verschiedenster
Konfessionen, die noch in der Geburtsstadt Jesu
aushalten, bräuchte zum Überleben hinter der monströsen
israelischen Betonmauer und der systematischen
Aushungerung vor allem die weltweite religiöse wie
politische Solidarität.
"Lasst uns nach
Bethlehem gehen", fordern die Hirten im Evangelium des
Lukas auf. Wie eine lebensrettende Infusion könnten
beispielsweise die Wallfahrten von 27 deutschen
Bistümern werden, wenn sich die Christen - ihre Bischöfe
wie selbstverständlich an der Spitze - jeweils für eine
Woche nach Bethlehem aufmachen würden. Nicht um, wie es
üblich ist, sich im zwei Stundentakt an den Heiligen
Stätten vorbeischleusen zu lassen, sondern eine Woche
lang in der Stadt zu wohnen, die heute den Eindruck
eines überdimensionalen Gefängnisses macht. Ganz
abgesehen von dem großen Flüchtlingslager, das seit
1946(!) besteht.
Keinen Platz in der Welt
gefunden
Auch die
Palästinenser haben - wie das neugeborene Gotteskind -
noch keinen Platz in ihrer Welt gefunden.
Zu sehen und zu
veranstalten gäbe es in dieser Woche genug: Gottesdienst
mit den wenigen buchstäblich Hinterbliebenen feiern; das
Babyhospital besuchen, den Stern der Hoffnung in der
palästinensischen Trostlosigkeit; einen ermunternden
Besuch in den verschiedenen Werkstätten für Behinderte
machen; mit den hoffnungslosen Menschen auf der Straße
sprechen, mit ihnen essen, Holzschnitzereien einkaufen,
schlicht Geld und Zeichen der Solidarität in dieser
Stadt zu lassen, bevor der letzte Christ ausgewandert
ist.
27 Bischöfe mit
ihren Pilgern, das wären allein aus Deutschland 27
Wochen der Hoffnung und der Chance, zu überleben. Doch
die christlichen Wallfahrtsziele der Christen und die
Besuchsreisen der Bischöfe gehen in andere, harmlosere
und unverbindlichere Richtungen. Wer möchte für eine
Woche beklommen hinter Mauern sein, selbst wenn er sie -
im Gegensatz zu den Palästinensern - jederzeit frei
passieren kann? Wer möchte mit der Armseligkeit und der
Hoffnungslosigkeit von Menschen konfrontiert werden, die
alle Weihnachtsseligkeit zerstört?
Jesus wäre heute
ein Palästinenser, wie der Titel meines neuen Buches
heißt. Nicht nur weil die Geburtsstadt Jesu auf
palästinensischem Gebiet liegt. Noch immer findet die
Menschwerdung Gottes bei den einfachen Leuten statt, bei
den Benachteiligten und Ausgegrenzten, wie es die Hirten
zur Zeit Jesu waren, Menschen der untersten Kaste.
Seit dem Jahr 354
feiert die Christenheit im Westen am 25. Dezember
Weihnachten. Es stellt sich die Frage, ob sie das Fest
mit Blick auf Bethlehem noch guten Gewissens feiern
kann? "Wir dürfen keinesfalls zulassen, dass Bethlehem
langsam ausgeblutet wird", sagt der anglikanische
Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu.
Aber mit kirchlichen Fensterreden, wie sie an
Weihnachten üblich sind, ist den Menschen hinter
Betonmauer und Sperranlagen, ohne Zugang zu den eigenen
Wasserquellen und Olivenfeldern, aber auch ohne
Arbeitslosen-, Krankenversicherung und Altersfürsorge,
nicht gedient.
Weihnachten wird
in den Kommentaren wieder als "Fest des Friedens"
gepriesen. Der Friede ist ohne Gerechtigkeit und
Solidarität nicht denkbar. Es genügt nicht, dem Gesang
der Engel auf den Feldern weihnachtsselig zuzuhören und
die alten erbaulichen Lieder zu singen.
Solidarisches Handeln
Weihnachten,
Menschwerdung Gottes ist keine erledigte Sache, ein
historisches Ereignis, das 2000 Jahre zurückliegt.
Seither bringen Menschen mit ihrem solidarischen Handeln
Gott zur Welt.
Die Solidarität
für Schwache lässt auch kein Bild von Gott zu, das ihn
fremd macht, uninteressant, gar feindselig. Noch heute
kommt Gott in die Welt, wo mit Menschen menschenwürdig
umgegangen wird. Schließlich lautet die zentrale
Weihnachtsbotschaft, die Paulus im Brief an Titus
überliefert: "Erschienen ist uns die Güte und die
Menschenfreundlichkeit unseres Gottes."
An der
Verwirklichung des göttlichen Erbarmens werden sich die
Christen hierzulande und in aller Welt messen lassen
müssen. Schöne Worte bringen es nicht.
Von Pfarrer
ROLAND BREITENBACH |