ANTISEMIT -
Rätselraten um die Identität des
Israel-Kritikers und Sachbuchautors Israel Shamir
Im deutschsprachigen Raum war der
israelische Autor und Journalist Israel Shamir bis zur
Veröffentlichung seines Buches Blumen aus Galiläa im Wiener
ProMedia Verlag selbst für Insider ein Nobody. Erst mit der
zunehmenden Brutalität während der Al-Aqsa-Intifada Ende September
2000 tauchte sein Name 2001 im israelisch-palästinensischen Diskurs
auf. Unmittelbar darauf folgten erste kritische Stimmen im Internet,
die Shamir eine "antijüdische", ja sogar "antisemitische"
Einstellung attestierten.
Auf den ersten Blick kamen auch dem Autor dieser Zeilen Shamirs
Artikel und sein Buch intellektuell durchaus anspruchsvoll vor. Sie
offenbarten philosophischen, theologischen, literarischen und
gesellschaftspolitischen Sachverstand und gaben Einblicke in die
palästinensische Kultur und Geschichte. Doch dazwischen gibt es
immer wieder Formulierungen, die bedenklich stimmen. So sind seine
hauptsächlich in zwei Kapiteln des Buches vorgetragenen aggressiven
Attacken gegen die jüdische Religion und den Einfluss des
amerikanischen Judentums auf die Politik der USA völlig inakzeptabel
und offenbaren judeophobes, verschwörungstheoretisches und
antisemitisches Denken. Als Rezensent dieses Buches (Freitag
22/2005) war ich überrascht, dass es auch israelische
Antisemiten gibt, hatte aber als Deutscher Skrupel, einem Israeli
Antisemitismus vorzuwerfen.
Die Frage, wer eigentlich Shamir ist, lässt sich nicht sofort und
eindeutig beantworten. Über seine Identität kursieren die
unterschiedlichsten Versionen im Internet. Die geläufigste ist Jöran
Jermas; andere sind Schmerling (vielleicht sein Geburtsname), Robert
David und Vassili Krasevsky. Seit Ende Mai 2005 wird er laut Meldung
der schwedischen antifaschistischen Zeitschrift Monitor im
Stockholmer Einwohnermeldeamt als Adam Ermash geführt. Laut
Wikipedia und der Website Answers.com hat Shamir
Verbindungen zur Neo-Nazi-Szene und faschistischen Sympathisanten
wie Horst Mahler, Martin Webster, David Irving und David Duke. Nach
Angaben schwedischer Behörden war er von 1984 bis 1993 unter dem
Namen Jöran Jermas in Schweden registriert. Nach Ausbruch der ersten
Intifada 1987 ging er nach Russland und schrieb über die dortigen
politischen Umwälzungen bis 1993; von dort kehrte er nach Israel
zurück. Seine Beiträge erschienen in der Tageszeitung Prawda
und der extrem-nationalistischen russischen Zeitung Zawtra
(Morgen), die Aleksandr Prokhanow, "dem einflussreichsten
antisemitischen Verleger" Russlands, gehört. 1998 kehrte er nach
Schweden zurück.
Im Juni desselben Jahres kontaktierte Shamir den englischen
Historiker und Holocaustleugner David Irving von Schweden aus, um
ihm Dokumente wie zum Beispiel Himmlers Tagebuchaufzeichnungen und
andere Schriftstücke von Nazi-Größen anzubieten, die er über
russische Kollegen vermitteln könne, wie auf verschiedenen Websites
zu lesen ist. "Ihre und meine Interessen sind rein wirtschaftlich",
schrieb er an Irving. Der E-Mail-Verkehr, der von Schweden aus
geführt wurde und bis zum 5. Juli dauerte, nahm zunehmend
aggressivere Töne an. Ende August kontaktierte Shamir Irving
telefonisch, um ihm mitzuteilen, dass er nach Moskau fahre. Irving
wünschte ihm britisch cool "Gute Reise". Ein Deal kam nicht
zustande.
Shamir gehört der Organisation "Deir Yassin Remembered" (DYR) an,
dessen Direktorium mit Juden und Nicht-Juden besetzt ist, und die
das Gedenken an das Massaker an den Bewohnern des palästinensischen
Dorfes Deir Yassin von 1948 wach hält; verübt wurde es durch die
Untergrundgruppen Irgun und Stern-Bande. Einige Mitglieder haben die
Organisation inzwischen wegen Shamir verlassen. So traten Michael
Warschawski vom "Alternativen Informationszentrum" und seine Frau,
die renommierte Menschenrechtsanwältin Lea Tsemel, aus DYR aus, weil
sie Shamir für einen "Rassisten" und "Antisemiten" halten, wie
Warschawski gegenüber dieser Zeitung erklärte. Auch Jeff Halper, der
Leiter des "Komitees gegen Häuserzerstörungen" trat zurück, weil die
Aufnahme Shamirs zu "einer Verschärfung des Tons" geführt habe. Er
betrachte "alle Juden" als "Täter". Uri Davis, ein in Großbritannien
lehrender israelischer Politikwissenschaftler, erhielt von Shamir
die Antwort, "dass ein Jude nach den jüdischen Gesetzen aufgefordert
ist, demjenigen größten Schaden zuzufügen, der sich zu Christus
bekennt". Roni Ben Efrat, die Chefredakteurin der Zeitschrift
Challenge und ebenfalls DYR-Mitglied, hält Shamir für eine
"kontroverse Figur, die eine klare Linie vermissen lässt", wie sie
in einem Gespräch mitteilte.
Die ersten, die Shamirs fragwürdige Rolle bereits 2001 öffentlich
gemacht haben, waren Ali Abunimah, der für die Website
Electronic Intifada schreibt, und Hussein Ibish, Pressesprecher
des "Amerikanisch-Arabischen Antidiskriminierungskomitees". Sie
gaben die Warnung aus, dass Shamir kein "Anti-Israeli", sondern ein
"Anti-Semit" sei. Sie begründeten dies mit seiner dubiosen Identität
und seinen rassistischen Statements bei Vorträgen in den USA, die
Shamir niemals öffentlich korrigierte. So habe er "die Juden mit der
niederträchtigen Stigmatisierung als Christusmörder" bezeichnet, so
Abunimah und Ibish. Seine Agenda sei nicht "anti-zionistisch",
sondern eher "anti-jüdisch". Er präsentiere sich als "jüdischer
Linker".
Die in Mailand lebenden Journalistin Susanne Scheidt, die einige
Kapitel für die italienische Ausgabe des Buches Blumen aus
Galiläa übersetzte und Shamir in Italien bekannt gemacht und
mehre Male getroffen hat, nannte ihn in einem Gespräch mit dieser
Zeitung einen "agent provocateur". Jeder direkten Frage zu seiner
Person und Identität weiche er aus oder er beantworte sie je nach
Gesprächspartner.
Scheidt gewann aus mehreren persönlichen Gesprächen sogar den
Eindruck, als rechtfertige, ja mystifiziere Shamir den
Nationalsozialismus und das Hitler-Regime, inklusive der
rassistischen Verfolgungen und militärischen Invasionen. Nach ihrem
Eindruck gingen die Nürnberger Gesetze für Shamir völlig in Ordnung,
"da die Juden einen heterogenen Teil in christlichen Gesellschaften
bilden, in denen sie als eine zerstörerische und entfremdete Macht
agierten, um sie von innen heraus zu zerstören". Und weiter äußerte
sich Shamir Susanne Scheidt gegenüber, "dass die Juden die Kirche
hassten und durch den amerikanischen Imperialismus, dessen Anstifter
und Motor sie sind, versuchen, die Weltherrschaft zu erringen, in
der die Juden die Rolle einer Priesterkaste inne haben, welche die
Masse der Goyim (Nicht-Juden L.W.) beherrschen".
Scheidt warnte davor, Shamir einzuladen, da jeder "zwangsläufig in
eine Diskussion über Juden und nicht über Palästinenser oder Israel
hineingezogen werde". Shamir schade dem Anliegen der Palästinenser,
weil er seine Zuhörerschaft gezielt desavouiere, indem er sie genau
in die Ecke bugsiere, in der sie die israelische Propaganda und ihre
US-amerikanischen Unterstützer haben wollten, in der antisemitischen
nämlich. Dass Shamir nicht bereit ist, Fragen zu seiner Identität,
seinen Motiven und Kontakten zur rechtsextremen Szene zu
beantworten, musste der Autor dieses Artikels feststellen, als er
ihm Anfang Oktober 2005 einige Fragen dazu stellte. Barsch wies er
sie als "unverschämt" zurück.
Selbst in seinem, auf Shamirs Website veröffentlichten Vortrag über
Juden und das Imperium vor dem "House of Lords" in London
am 23. Februar 2005, zu dem ihn Lord Nazir Ahmed eingeladen hatte,
griff Shamir die "jüdische Herrschaft" erneut an. "Die Juden haben
einen besonderen Platz im imperialen Bewusstsein." Das neue Imperium
sei erfüllt "mit jüdischen Werten auf einem ideologischen und
theologischen Niveau". Die Affäre um israelkritische Äußerungen des
Londoner Bürgermeisters, so Shamir in dieser Rede, zeige, dass "eine
mysteriöse Beziehung zwischen Juden und dem neuen Imperium" bestehe.
Mit diesen anti-jüdischen Obsessionen zeigt Shamir nicht nur seine
judeophobe Haltung, sondern fügt auch der progressiven israelischen
und palästinensischen Gemeinschaft und ihrem Anliegen großen Schaden
zu. Sie jedenfalls haben ihre Zusammenarbeit mit ihm beendet. Wer
dies immer noch nicht begriffen hat, sind viele Palästinenser und
einige jüdische Intellektuelle.
Quelle
Homepage Dr. Ludwig Watzal