„Die Besatzung nimmt uns die Luft zum Atmen -
sie muss endlich aufhören“.
Begegnungsreise nach Israel/Palästina
vom 8. November bis 20. Dezember 2022
Von Georg Stein
Wie bei meinen anderen Reisen nach
Israel/Palästina so standen auch bei der
jüngsten Reise die israelische Besatzung und die
Zukunftsperspektiven im Vordergrund. Maßgeblich
bestimmt waren dieses Mal jedoch alle
Begegnungen von der israelischen Parlamentswahl
am 1. November letzten Jahres. Zum blanken
Entsetzen für das säkulare Israel bescherte
diese dem Land eine rechtsextreme,
ultraorthodoxe Regierung – so weit rechts
stehend und ultranationalistisch wie nie zuvor.
Die Riege aus verurteilten, homophoben und
rassistischen Politikern ist für viele Israelis
ein Albtraum. Die ersten Gesetzesvorlagen lassen
Schlimmes erwarten, vor allem auch für die
Palästinenser.
So zeichnet Moshe Zuckermann, Soziologe und
emeritierter Professor für Geschichte und
Philosophie an der Universität Tel Aviv, ein
düsteres Zukunftsszenario. „Das Übelste ist die
mittlerweile extreme Klerikalisierung des
Landes. Das links-liberale politische Spektrum
existiert praktisch nicht mehr. Dass eine
Bütgerrechtspartei wie Meretz aus dem Parlament
geflogen ist, ist unfassbar“. Aus Protest gegen
den rechtsextremen Trend besteht er auf dem
Treffen mit ihm in Tel Aviv. „In das
ultraorthodoxe Jerusalem fahre ich nur noch im
alleräußersten Notfall“. Zutiefst bedauert er,
dass auch an seiner Uni in Tel Aviv sehr viele
der Studenten mittlerweile „sehr angepasst,
nationalistisch und rechts sind“.
Ähnlich negativ ist auch die Einschätzung von
Gideon Levy, bekannter Journalist der
linksliberalen israelischen Tageszeitung Haaretz
und seit vielen Jahren einer der schärfsten
Kritiker der israelischen Besatzungspolitik.
Besonders düster sieht er die weitere
Entwicklung im Konflikt mit den Palästinensern.
„Die Annexionspläne der neuen Regierung werden
zu noch mehr Gewalt und Eskalation führen. Die
Zweistaatenlösung ist zudem nun noch
unrealistischer. Faktisch sind wir bereits in
der Einstaatenrealität angekommen, wobei Israel
in den Palästinensergebieten eine
Apartheidspolitik betreibt. Ich weiß, dass viele
Deutsche mit dieser Bezeichnung ein Problem
haben, aber es ist eine Tatsache“. Bedroht durch
die neue Regierung sieht Levy auch die
Pressefreiheit. „Es kann durchaus sein, dass es
künftig verboten sein wird, Soldaten bei ihren
Übergriffen zu fotografieren oder das Militär zu
kritisieren“. Ähnliches sieht er auf das
kulturelle Leben zukommen. Kritischen
Kultureinrichtungen wie dem hebräisch-arabischen
Theater in Jaffa habe man bereits angedroht, die
Förderung zu entziehen.
Auch wichtige israelische
Menschenrechtsorganisationen sehen mit Sorge in
die Zukunft. B`Tselem ist die international
wohl bekannteste von ihnen. Seit 1989
dokumentiert die Organisation akribisch
Menschenrechtsverletzungen Israels in den
besetzten Gebieten, sowohl von Seiten des
Militärs als auch der Siedler, deren gewaltsame
Übergriffe gegen die Palästinenser immer mehr
zunehmen – im Jahr 2022 waren es etwa 1500. Roy
Yellin, Leiter der PR-Abteilung, erläutert im
Gespräch, dass aber auch
Menschenrechtsverletzungen auf palästinensischer
Seite festgehalten werden. „Unterstützt werden
wir auf deutscher Seite u.a. von Brot für die
Welt, Misereor und Medico International“, sagt
Yellin und erinnert noch an 2017, als sich
Außenminister Gabriel mit Mitgliedern von
B`Tselem getroffen hat und Ministerpräsident
Netanjahu daraufhin einen Gesprächstermin mit
ihm absagte. Die Organisation sitzt heute
übrigens in einem videoüberwachten, nur mit
Zifferncode betretbaren Gebäude in Jerusalem,
ohne Klingel oder Firmenschild am Haus. Der
Grund: 2020 wurde das alte Büro durch einen
Brandanschlag zerstört. „Rechte Hetze gegen uns
sind wir gewohnt“, sagt Yellin, „Anfeindungen
als Lügner, Landesverräter oder Feinde Israels
gehören zu unserem Alltag. Zugenommen haben
diese, als wir 2021 unseren Bericht über Israel
als Apartheidsstaat veröffentlicht haben“.
Nahezu gleiche Anfeindungen und Beleidigungen
kennt auch Ori Givati von „Breaking the Silence“
(Das Schweigen brechen). „Wir streiten uns mit
B`Tselem daüber, wer von den beiden
Organisationen in Israel mehr angefeindet wird“,
witzelt der ehemalige Panzerkommandant beim
gemeinsamen Frühstück in Tel Aviv. Der von ihm
mit geleiteten Nichtregierungsorganisation
gehören ehemalige und aktive Soldaten der
israelischen Armee an. Seit 2004 sammeln sie
Aussagen und Dokumente von Soldaten über deren
Militärdienst in den besetzten Gebieten.
„Angefangen hat es mit der Zweiten Intifada in
Hebron, als die Angehörigen der Soldaten nichts
über die miltärischen Übergriffe der Armee hören
wollten“, sagt Givati. Mit der Fotoausstellung
„Wir bringen Hebron nach Tel Aviv“ gingen die
Soldaten dann an die Öffentlichkeit. Schulen,
Medien und Diplomaten berichten sie seither von
ihrer Arbeit – auch in Form von Touren mit
Soldaten in die besetzten Gebiete. Eine ihrer
Ausstellungen wurde 2012 auch im
Willy-Brandt-Haus in Berlin gezeigt. „Schon vor
Jahren forderte Netanjahu unsere ausländischen
Geldgeber auf, uns nicht weiter finanziell zu
unterstützen. Mal schauen, wie es mit der neuen
Regierung weiter geht“, sagt Givati zum
Schluss.
Einen anderen friedenspolitischen Schwerpunkt
hat die in Jaffa ansässige Organisation Zochrot
(Wir erinnern uns). „Sie wurde 2002 von
jüdisch-israelischen Aktivisten gegründet, um in
Israel die Anerkennung der Vertreibung der
Palästinenser 1948 (Nakba) und des
Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge
zu fördern“, so Yaara Benger Alaluf. Sie hat an
der FU in Berlin in Geschichte promoviert und
ist die Koordinatorin der Organisation für
politische Bildung. „Einer unserer Schwerpunkte
liegt auf den etwa 500 palästinensischen Dörfern
und Orten, die 1948/49 im Krieg zerstört
wurden“. Sehr interessant ist in diesem
Zusammenhang ihr Hinweis, dass das meiste Land
der damaligen arabischen Ortschaft Zarnuqa heute
zu Rehovot, der Partnerstadt Heidelbergs,
gehört. Alle 2761 palästinensischen Bewohner
wurden 1948 vertrieben und die meisten ihrer
Häuser zerstört. Erstmals darüber berichtet hat
der israelische Historiker Benny Morris in
seinem Buch „The Birth oif the Palestinian
Refugee Problem Revisited“, einem Standardwerk
über die Vertreibung und Flucht der
Palästinenser 1948 (Nakba). Zu jedem der
zerstörten Dörfer gibt es auf der App „iReturn“
– einer digitalen Landkarte - ausführliche
Informationen. Unterstützt wird Zochrot u.a. von
Medico International, Misereor und der
Rosa-Luxemburg-Stiftung. Wie B`Tselem und „Breaking
the Silence“ so wünscht sich auch Zochrot mehr
ausländischen Druck auf die israelische
Regierung zur Beendigung der Besatzung.
Tel Aviv gilt ja bekanntlich als
Gute-Laune-Stadt - überall Party rund um die
Uhr. Das ist die eine Seite. Viele Israelis in
Tel Aviv und andernorts leben aber auch in einer
selbst gebastelten Blase, nach dem Motto: Der
Konflikt mit den Palästinensern und deren
verzweifelte Lage sind hinter der Trennmauer
sehr weit weg; die bittere Alltagsrealität in
den besetzten Gebieten wird von vielen nicht
wahrgenommen bzw. verdrängt. In einer Tel Aviver
Strandbar sagt mir ein junger Israeli gar: „Es
gibt gar keinen Konflikt zwischen uns und den
Palästinensern. Wir werden alle nur
manipuliert...“.
Doch die aktuelle Situation der Palästinenser
ist in der Tat verheerend, egal ob in Jerusalem,
Bethlehem, Ramallah, Nablus, Hebron oder Gaza.
Drastisch beschreibt das Nazmi al-Jubeh beim
Gespräch am Rande der Jerusalemer Altstadt. Er
hat in Tübingen promoviert, spricht nahezu
perfekt Schwäbisch und unterrichtet an der
palästinensischen Universität Bir Zeit
Geschichte und Archäologie. „Überall entstehen
in Ostjerusalem und den besetzten Gebieten neue
israelische Siedlungen und wir Palästinenser
erhalten nur höchst selten neue
Baugenehmigungen. Im Gegenteil: Israel hat
allein im Jahr 2022 etwa 900 palästinensische
Häuser abgerissen, angeblich wegen fehlenden
Baulizenzen oder einfach, weil das Land für
eigene Zwecke beansprucht wird“.
Zu den Opfern der israelischen Landenteignungen
zählt auch Ali Qleibo, Maler, Anthropologe und
Buchautor. Ihm gehört zusammen mit zwei anderen
palästinensischen Familien das Land auf dem die
neue US-Botschaft in Jerusalem errichtet werden
soll. „Das Gelände wurde einfach konfisziert.
Unsere Klagen dagegen werden wohl abgewiesen,
wie meist in solchen Fällen“. Die subtile
Verdrängung der Palästinenser und die
schleichende Judaisierung Ostjerusalems, das ja
eigentlich als Hauptstadt für einen künftigen
Palästinenserstaat vorgesehen ist, ist überall
sichtbar. Selbst die christlichen Gemeinschaften
klagen über die zunehmenden Angriffe
extremistischer Israelis, die ihnen die zum Teil
Jahrhunderte alten Land- und Immobilienansprüche
streitig machen.
Auch Sumaya Farhat-Naser, Biologin, Aktivistin
und bekannte Buchautorin, die zu Vorträgen auch
schon in Heidelberg war, sieht in der Besatzung
das Hauptübel des Konflikts. „Sie nimmt uns
unser Land, unser Wasser, unsere Würde, die Luft
zum Atmen. Wir haben sie einfach satt – sie muss
endlich aufhören. Wir wollen endlich
Gerechtigkeit und ein Leben ohne
Ausgangssperren, Razzien, Ausweisungen,
permanenten Menschenrechtsverletzungen und die
nahezu täglichen Erschießungen“, schildert sie
eindringlich. Wer einmal die demütigenden
Kontrollen durch das israelische Militär an
einem der Hunderten von Checkpoints beobachtet
hat und wer von der schikanösen alltäglichen
Behördenwillkür und Einschränkung der
Bewegungsfreiheit weiß, wird dies nachempfinden
können. Allein 2022 wurden vom israelischen
Militär über 150 Palästinenser erschossen - die
höchste Zahl seit 2005, als die UNO mit der
jährlichen Zählung begonnen hat.
Im annektierten Ostjerusalem leben mittlerweile
rund 230000 Israelis in völkerrechtswidrigen
Siedlungen und im Westjordanland etwa 400000.
Wie sehr diese Siedlungen eine künftige
Friedenslösung unter Einschluss eines eigenen
Palästinenserstaats „verbauen“, wird besonders
auf einer Fahrt von Jerusalem nach Bethlehem
deutlich. Das hier noch bis zur Jahrtausendwende
weitgehend von Wald bedeckte Hügelland ist nun
komplett bebaut. Die entstandene Siedlung Har
Homa rückt immer näher an den Geburtsort Jesu
und dessen Nachbargemeinde Beit Sahour heran.
Getoppt wird das Ganze noch durch die circa 10
Meter hohe Betonmauer, die Bethlehem und die
angrenzenden Ortschaften immer mehr in kleinen
territorialen Enklaven isoliert. Insgesamt hat
die von vielen als Apartheidsmauer bezeichnete
und vom Internationalen Gerichtshof als
völkerrechtswidrig deklarierte Sperranlage eine
Länge von fast 800 Kilometern. Auch sie schränkt
den Lebensraum der Palästinenser mehr und mehr
ein.
Deutlich zu spüren bekommt das seit vielen
Jahren auch Daoud Nassar. Er betreibt zusammen
mit seiner Familie einen Weinberg und ein
internationales Friedens- und Begegnungszentrum
(Tent of Nations) etwa 10 Kilometer südlich von
Bethlehem. Das Grundstück ist wegen mehrerer vom
israelischen Militär aufgetürmter Straßensperren
nur zu Fuß erreichbar. Seit vielen Jahren führt
die Familie einen juristischen Kampf um dieses
Land, obwohl ihr das Gelände seit über
einhundert Jahren gehört und sie dies mit
Besitzpapieren auch belegen kann. Durch die
rasche Ausdehnung der angrenzenden israelischen
Siedlung und häufig gewalttätige Übergriffe der
Siedler fühlt sich Daoud hier aber mehr und mehr
bedroht. „Oft hacken sie uns einfach die Reben
und Ölbäume ab“, sagt er. „In den letzten Jahren
haben wir bereits 25 Räumungsbefehle erhalten,
konnten diese jedoch dank internationaler
Unterstützung immer wieder zurück weisen. Ob das
aber auch in Zukunft noch gelingen wird, ist
höchst ungewiss“.
In Bethlehem lebt auch Khouloud Daibes,
ehemalige palästinensische Tourismusministerin
und von 2013 bis 2021 Jahre Botschafterin
Palästinas in Deutschland. Sie ist jetzt
Direktorin der „Bethlehem Development Foundation“,
einer Einrichtung, die mit verschiedenen
zivilgesellschaftlichen Projekten den harten
Überlebenskampf der Palästinenser etwas
erleichtern will. Offen spricht Daibes über die
momentan in Palästina weit verbreitete
Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit. „Die
resultiert natürlich primär aus der Besatzung“,
sagt sie.
Enttäuscht sind viele Palästinenser allerdings
auch von der eigenen politischen Führung, die
als abgewirtschaftet gilt. Viele sehen in ihr
nur noch den verlängerten Arm der
Besatzungsmacht, so eine Art Subunternehmen
Israels. Weit verbreitet ist in Palästina in der
Tat der Wunsch nach Wahlen und einer neuen
politischen Führung. Die ist momentan jedoch
nicht in Sicht - auch weil Mahmoud Abbas viele
seiner Gegner politisch ausgeschaltet hat.
Ergebnis ist eine weitreichende Radikalisierung
der jüngeren Generation, die mit der alten
Politikergarde gebrochen hat und sich verstärkt
dem militanten Widerstand zuwendet. Als Zentren
dieses Protests gelten heute vor allem Jenin und
Nablus im Norden des Westjordanlandes. Für viele
Beobachter hat bereits eine Art dritte Intifada
begonnen, also ein weiterer Aufstand gegen die
Besatzungsmacht.
Brennpunkt des palästinensischen Widerstands
gegen die israelische Besatzungsmacht ist bis
heute vor allem auch der Gazastreifen, der 1967
im Junikrieg von Israel besetzt wurde. Das
israelische Militär zog sich zwar 2005 aus Gaza
zurück, durch die Verhängung einer totalen Land-
und Seeblockade 2007 gilt der Gazastreifen
jedoch de facto immer noch als besetztes Gebiet
– mit verheerenden Konsequenzen für die etwa 2,3
Millionen dort lebenden Palästinenser. Bezogen
auf die Fläche von gerade einmal 360
Quadratkilometern zählt der Küstenstreifen am
Mittelmeer zu den am dichtesten bevölkerten
Gebieten der Erde. Umgeben ist er von einer 65
Kilometer langen und 6 Meter hohen Mauer.
Ausreisegenehmigungen, deren Bearbeitung oft
monatelang dauern, erteilt Israel nur in wenigen
Ausnahmefällen.
Nach Gaza zu gelangen ist für Ausländer nahezu
unmöglich; Israelis ist der Besuch dort absolut
verboten. Lediglich Diplomaten, Mitarbeiter von
internationalen Hilfsorganisationen und –
sporadisch – ausländische Journalisten können
mit einer Sondererlaubnis des israelischen
Innenministeriums das Gebiet besuchen. In meinem
Fall erfolgte die Erteilung des „Entry Permit“
über eine deutsche medizinische
Hilfsorganisation, die in Gaza verschiedene
humanitäre Projekte betreut.
In Gaza-Stadt lebt Abed Schokry mit seiner Frau
und fünf Kindern. Er hat an der TU in Berlin in
Ingenieurwissenschaften promoviert, unterrichtet
jetzt an einer Uni in Gaza und begleitet
gelegentlich deutsche Besucher durch „das größte
Freiluftgefängnis der Welt“, wie er sagt. „Da
Israel die absolute Kontrolle über nahezu alle
Lebensbereiche von uns hat, fühlen wir uns wie
in einem Würgegriff“. Und in der Tat: Das Leben
der Menschen im Gazastreifen, von denen etwa die
Hälfte in acht großen Flüchtlingslagern lebt,
kann nur als absolut desolat und ausweglos
bezeichnet werden. Es herrscht ein Mangel an
nahezu allem. Regelmäßigen Strom, sauberes
Trinkwasser und geklärte Abwässer gibt es nur
sehr unzureichend. Überall türmt sich der Müll –
auch direkt am Strand.
„Durch die Wirtschaftsblockade liegt die
Arbeitslosigkeit je nach Altersgruppe bei 40 bis
60%, was wiederum zu einer weitreichenden
Verarmung der Bevölkerung führt – 70% der
Menschen leben unter der Armutsgrenze, womit
Gaza zu den ärmsten Regionen der Welt gehört“,
erläutert Schokry. Das durchschnittliche
Monatseinkommen liegt bei etwa 250 Euro, und 80%
der Familien sind auf humanitäre Hilfe
angewiesen. Schon 2015 kam ein UN-Bericht zu der
Schlussfolgerung, dass der Gazastreifen in
Zukunft unbewohnbar werden könnte, falls sich
die wirtschaftliche Situation nicht verbessert.
Die katastrophale humanitäre Lage zeigt sich
auch in der Gesundheitsfürsorge. „Aus
Sicherheitsgründen dürfen zum Beispiel nicht
alle Medikamente und technischen Geräte
eingeführt werden, so dass wir oft Patienten
nicht ausreichend versorgen können“, sagt Dr.
Basil von der „Palestine Medical Relief
Society“, deren Laborausrüstung von Medico
International finanziert wurde. „Und für jeden
Patienten, der in Israel oder im Westjordanland
behandelt werden muss, benötigen wir von Israel
eine Sondererlaubnis, auf die wir häufig lange
warten müssen“. Dramatisch verschlimmert hat
sich die Versorgungslage zudem durch die fünf
verheerenden israelischen Militäroperationen
gegen Gaza zwischen 2008 und 2021, Offensiven,
die ausschließlich der militärischen
Machtdemonstration Israels dienten und gegen die
Genfer Konventionen bzw. das Kriegsvölkerrecht
verstießen. Neben der Zerstörung ganzer
Stadtviertel fielen ihnen etwa 4000
Palästinenser zum Opfer – auf israelischer Seite
starben circa 40 Personen. 90% der Kinder im
Gazastreifen leiden seither unter
Kriegstraumata.
All das erklärt den recht großen politischen
Rückhalt für die radikalislamische Hamas, die
2006 demokratisch gewählt an die Macht kam und
den Gazastreifen seit 2007 regiert. Dr. Basim
Naim war ihr erster Gesundheitsminister und ist
heute zuständig für die auswärtigen Beziehungen
der Organisation. Er empfängt seine Gäste in
einem sogenannten „safe house“ - angeblich
sicher vor israelischen Drohnen- und
Raketenangriffen. Der Chirurg hat in Münster
Medizin studiert und weist darauf hin, dass der
UN-Teilungsplan für Palästina 1947 auch einen
Palästinenserstaat vorgesehen hat. „An diesem
Recht halten wir fest. Mit der neuen
israelischen Regierung wird es jedoch keine
Lösung geben. Wir erwarten das Schlimmste, eine
Explosion – es ist nur eine Frage der Zeit“.
Wie überall in Palästina so wünschen sich auch
die Menschen in Gaza eine bedeutendere Rolle der
EU und Deutschlands im Konflikt mit Israel.
Sowohl der EU-Repräsentant in Jerusalem, der
deutsche Diplomat Sven Kühn von Burgsdorff, als
auch der Vertreter Deutschlands in Palästina,
Oliver Owcza, betonen im persönlichen Gespräch
zwar ihre „Unterstützung für die
Zweistaatenlösung“. Angesichts der von beiden
realisierten „De-facto-Annexion“ der besetzten
Gebiete wirkt dieses Bekenntnis aber eher wie
ein ewig wiederholtes, wirkungsloses Mantra. Ob
die EU und die Bundesregierung künftig wirklich
mehr politischen und wirtschaftlichen Druck auf
Israel ausüben werden, bleibt abzuwarten.
Leider sind die Aussichten für eine gerechte und
friedliche Lösung des Konflikts zwischen
Israelis und Palästinensern momentan eher
düster. Umso hoffnungsvoller ist es, dass es
noch Versöhnungsprojekte gibt wie „Combatants
for Peace“ (Kämpfer für den Frieden). Der
Organisation gehören Palästinenser und Israelis
an, die in dem blutigen Konflikt auf brutale
Weise Angehörige verloren haben. „Durch
persönliche Begegnungen und gemeinsames Gedenken
wollen wir den gegenseitigen Hass überwinden und
den Kreislauf der Gewalt durchbrechen“, sagt
Rana Salman, die palästinensische Vorsitzende
der Vereinigung. Ähnlich sieht es auch Suhaila
Tarazi, die beeindruckende Verwaltungsdirektorin
des Ahli-Arab-Krankenhauses in Gaza. „Wir
sollten uns zusammensetzen und eine Lösung
finden. Wir müssen Brücken bauen, keine Mauern.
Falls uns das nicht gelingt, wird es nur
Verlierer geben“.
Georg Stein, studierte in Heidelberg Politische
Wissenschaft und Geographie. Seit 1989 leitet er
den von ihm gegründeten Palmyra Verlag mit dem
Schwerpunkt israelisch-palästinensischer
Konflikt sowie das dem Verlag angeschlossene
Nahostarchiv Heidelberg. Seit 1973 reist er
regelmäßig nach Israel/Palästina.
Der Palmyra Verlag im "Das Palästina Portal"
Georg Stein - Palmyra Verlag
Hauptstraße 64
69117 Heidelberg
E-Mail: palmyra-verlag@t-online.de
www.palmyra-verlag.de
Dem Palmyra Verlag sind
das Journalistenbüro Stein und das Nahostarchiv
Heidelberg angeschlossen,
mit u.a. etwa 4000 Büchern, einer großen
Videoabteilung sowie verschiedenen Recherche-
und Serviceeinrichtungen.
|