US-Präsident Trump und sein Schwiegersohn Jared Kushner
haben es geschafft, dass weitere arabische Staaten –
Bahrein, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), der
Sudan und jetzt auch Marokko – die Blockade Israels
durchbrechen und Beziehungen zum jüdischen Staat
aufnehmen. Wenn Trump selbst diesen Vorgang gleich als
„historischen Schritt zum Frieden“ bezeichnete, dann hat
das eher mit seiner überheblichen, narzisstischen
Großmäuligkeit zu tun als mit der Realität. Aber auch
andere Regierungen und die Mainstream-Medien stimmten in
den Friedenschor ein. Waren das wirklich Schritte zum
Frieden im Nahen Osten?
Was
war geschehen? Trump hatte Milliarden schwere Deals mit
Bahrein und den VAE vereinbart: Diese arabischen Staaten
bekommen neueste amerikanische Waffentechnik – vor allem
F 35-Bomber – ein fantastisches Geschäft für die
amerikanische Rüstungsindustrie. Die diplomatischen
Beziehungen zwischen diesen Staaten und Israel sind
sozusagen nur ein Nebenprodukt dieses Geschäfts. Mit
anderen Worten: Der Nahe Osten wird weiter gefährlich
aufgerüstet, und dass diese Aufrüstung sich ganz
eindeutig gegen den Iran richtet, ist auch kein
Geheimnis. Israel droht dem Iran schon lange mit einem
Angriff und hat für dieses Vorhaben – mit den ebenfalls
hoch gerüsteten Saudis im Hintergrund, die auch mit von
der Partie sind – nun vor Waffen starrende Verbündete
gefunden. Das militärische Gleichgewicht in der Region
wird sich damit gefährlich verschieben.
Es
gibt noch weitere Gründe, warum von „Frieden“ im Nahen
Osten keine Rede sein kann. Für Trumps Deal mit den
arabischen Staaten haben die Betroffenen zum Teil hohe
Preise zu zahlen: Bahrein und die VAE müssen – wie
erwähnt – für viele Milliarden Dollar Waffen kaufen.
Gegenüber dem Sudan heben die Amerikaner die wegen
Terrorismus verhängten Sanktionen auf, dieser Staat muss
aber 335 Millionen Dollar für Terroropfer an die USA
zahlen – ein großer Betrag für ein so armes Land. Nur
Marokko profitiert von dem Deal, denn Washington erkennt
die Souveränität des Königreiches über die Westsahara an
– ein großer Triumph für König Mohammed VI., aber
genauso wie Trump den Palästinensern die Hoffnung auf
Selbstbestimmung versagt hat, müssen nun wohl auch die
Sahauris diese Hoffnung begraben.
Wirkliche Schritte zum Frieden also? Wohl kaum. Die
Vereinbarungen, die Trump zwischen den arabischen
Staaten und Israel eingefädelt hat, sind auf der
arabischen Seite ausschließlich Abmachungen mit
erzkonservativen politischen Eliten, die Völker sind
daran nicht beteiligt. Es handelt sich bei Trumps
„historischen Erfolgen“ also um einen „kalten Frieden“,
ähnlich wie bei den Friedensverträgen zwischen Israel
und Jordanien sowie Ägypten. Auch da hatten die Völker
nicht mitzureden. Wie unstabil die Lage in den
arabischen Staaten ist, hatte der „arabische Frühling“
vor zehn Jahren bewiesen. Die Situation in diesen
Staaten hat sich seitdem keineswegs verbessert, der
erneute Ausbruch von Rebellionen, ja Revolutionen ist
nur eine Frage der Zeit, und das würde eine völlig neue
Lage schaffen.
Und
noch ein Moment bedarf in diesem Zusammenhang der
Erwähnung: Israel und viele arabische Staaten – auch die
genannten – unterhalten seit sehr langer Zeit schon
inoffizielle Beziehungen. Sogar die Geheimdienste
arbeiten eng zusammen. Die Anhebung der Beziehungen auf
einen offiziellen Status ist also keineswegs so
überraschend und sensationell, wie es dargestellt wurde.
Die Geheimdiplomatie zwischen Israel und den Arabern hat
zudem eine lange Tradition.
Das
berühmteste Beispiel ist der Geheimvertrag zwischen den
Zionisten und dem jordanischen König Abdallah vor der
Staatsgründung Israels. Abdallah sicherte den Zionisten
1947/48 zu, seine Arabische Legion – die stärkste
arabische Armee damals – im abzusehenden Krieg Israels
mit den Arabern nicht einzusetzen, wenn er dafür das
Westjordanland bekommen würde. So geschah es dann auch.
Wer weiß, wie der Krieg ausgegangen wäre, wenn die
Arabische Legion voll in ihn eingegriffen hätte. Israel
verdankt seine Existenz vielleicht dem Geheimabkommen
mit König Abdallah.
Die
großen Verlierer von Trumps und Netanjahus Deal mit den
arabischen Staaten sind natürlich die Palästinenser,
obwohl der Konflikt Israels mit ihnen den Kern des
Nahost-Problems ausmacht. Nach der Verlegung der
US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem (also der
Anerkennung dieser Stadt als Israels Regierungssitz),
der amerikanischen Anerkennung der Golanhöhen als zum
israelischen Staat gehörig, der Streichung der
Hilfsgelder für die Palästinenser und zuletzt der
Legalisierung der Siedlungen im Westjordanland durch die
US-Regierung (was einer Anerkennung von Israels
Annexionsabsichten gleichkommt), können die
Palästinenser zur Zeit nicht sehr hoffnungsvoll in die
Zukunft blicken, zumal Israels politische Elite ganz
ernsthaft über ihre endgültige Vertreibung aus dem Land
diskutiert. Ihre einzige noch verbliebene Hoffnung ist
die Ein-Staaten-Lösung, an der sie als gleichberechtigte
Bürger teilhaben würden. Aber für diese Lösung wird es
in absehbarer Zukunft im zionistischen Israel keine
Zustimmung geben.
Trumps ursprünglicher „Jahrhundert-Deal“, der die
Schaffung eines palästinensischen „Staates“ im
Westjordanland vorsah, der eher einem ringsum von Israel
bewachten und kontrollierten Reservat oder Bantustan
gleichkommen sollte, ist nicht realisiert worden. Und
Israel hat auch seine Absicht, das Westjordanland zu
annektieren, nicht wahrgemacht, um die Abmachungen mit
den arabischen Staaten nicht zu gefährden. Aber das hat
nichts an der Gesamtsituation geändert: Israel forciert
den Bau und Ausbau der Siedlungen und der Infrastruktur
im Westjordanland. Die offizielle Annexion kann es dann
einstweilen verschieben, ohne damit irgendetwas aufgeben
zu müssen. Man muss es so hart sagen: Die arabischen
Staaten, die es so eilig hatten, in das israelische Bett
zu springen, haben die Palästinenser schlicht verraten!
Schritte
zum Frieden also? Davon kann auch noch aus einem anderen
Grund keine Rede sein. Man muss wissen, was die
Zionisten unter Frieden verstehen. Die israelische
Historikerin Tamar Amar-Dahl hat diesen Tatbestand in
ihrem Buch Das zionistische Israel. Jüdischer
Nationalismus und die Geschichte des Nahost-Konflikts
genau beschrieben. Zunächst: Die Araber sind in
zionistischer Sicht nicht nur die je nach der aktuellen
politischen Konstellation zeitweiligen Feinde Israels,
sondern seine ewigen Feinde, weil sie die neuen Gojim
sind. Die Araber sind das große „Andere“. Die
Palästinenser ebenso wie die „arabische Welt“ werden
abwechselnd zum Erzfeind bzw. zum geduldeten Gegner
erklärt, mit dem Verhandlungen nur bedingt, doch
keineswegs auf gleicher Ebene möglich sind. Eine
Annäherung oder sogar eine Integration in einer
„rückständigen und gewalttätigen“ Region werden erst gar
nicht angestrebt.
Der
Konflikt mit den Arabern bzw. den Palästinensern wird
deshalb von den Zionisten als gegeben und unveränderlich
verstanden und wird so letztlich entpolitisiert und
enthistorisiert. Das bedeutet, dass der Kern des
Konflikts nicht etwa in der eigenen Politik, Kriegs-,
Siedlungs- und Bevölkerungspolitik gesehen wird, sondern
in der umfassenden Feindseligkeit, in der Mentalität der
„Anderen“. Die „Gewalt der Anderen“ bzw. der arabische
Vernichtungswille bilden im israelischen Bewusstsein die
Grundlage für den israelisch-arabischen Konflikt.
Aus
diesen Prämissen ergibt sich automatisch die
zionistische Konzeption von Frieden. Er ist nur möglich,
wenn Israel sich Respekt verschafft, in dem es die
arabischen Staaten von seiner militärischen Stärke und
Unbesiegbarkeit überzeugen kann. (Ariel Sharon hat das
in der kurzen Formel zusammengefasst: „Sie [die Araber]
müssen Angst vor uns haben!“) Nach dieser Logik ist
Frieden eine Folge der eigenen Sicherheit und die kann
nur militärisch hergestellt werden. Von der
militärischen Überlegenheit hängt also die
nationalstaatliche Existenz ab. Das heißt: Israel muss
ständig hochrüsten und die modernste Waffentechnik sowie
die stärkste Armee besitzen, um die militärische
Hegemonie und Kontrolle über die arabischen Staaten zu
haben. (Genau aus diesem Grund musste Trump Israel
jetzt, als er die diplomatischen Beziehungen mit den
arabischen Staaten einfädelte, zusichern, dass es die
hegemoniale Militärmacht in der Region bleibt, was die
Lieferung der neuesten modernen Waffentechnik bedeutet.)
Tamar
Amar Dahl fasst die Sicherheitskonzeption Israels, die
die Politik dieses Staates bestimmt, so zusammen: „Der
Sicherheitsmythos basiert auf einer aus der jüdischen
Leidensgeschichte erwachsenen Auffassung der
Unauflösbarkeit der feindseligen Verhältnisse zwischen
den Juden und den Gojim. Damit einher geht die
Vorstellung von der Notwendigkeit einer unschlagbaren
militärischen Macht, deren Einsatz immer wieder
innenpolitisch legitimiert wird, weil er zum Schutz der
Juden gegen ihre allgegenwärtigen Feinde gerichtet ist.“
Die Araber sollten sich also keiner Täuschung über ihr
neues Verhältnis zu Israel hingeben.
Mit
anderen Worten: Solange der Satz „Die ganze Welt ist
gegen uns!“ als Dogma der israelischen Juden gilt, und
jegliches Vertrauen in eine echte Partnerschaft mit den
Nachbarn fehlt, wird Israel zum Frieden unfähig sein.
Nichts Neues also im Jahr 2020 an der Friedensfront im
Nahen Osten!
Anhang
Es
häufen sich bedrohliche Nachrichten aus dem Nahen Osten.
Vor Tagen gab das Pentagon bekannt, dass es einen
Flugzeugträger in den Persischen Golf entsandt hat,
außerdem hat es B52-Bomber in die Arabischen Emirate
geschickt. Ein israelisches U-Boot mit
Mittelstreckenraketen an Bord hat jetzt den Suez-Kanal
passiert und ist auf dem Weg in den Persischen Golf.
Planen Trump und Netanjahu vor ihrem, politischen Abgang
(der eine ist abgewählt, der andere könnte die
bevorstehende Wahl verlieren) noch den Krieg gegen den
Iran? Die Situation ist hoch brisant. Der israelische
General Ephraim Eitan stellte jetzt Überlegungen über
Israels Zukunft an. Er kam zu dem Ergebnis: Neben der
möglichen endgültigen Vertreibung der Palästinenser
müsse Israel ganz anders mit dem Iran umgehen.
26.12.2020 |